Streit über das meistverkaufte Pestizid: Glyphosat: Krebsgefahr im Essen?

Für die Weltgesundheitsorganisation ist der Stoff „wahrscheinlich krebserregend“, für deutsche Prüfer kein Problem. Was treibt sie?

Auch da kann das umstrittene Pestizid Glyphosat drin sein: leckere Weintrauben. Foto: reuters

LYON/BERLIN/NEULEWIN taz | Im März sieht es dann auf einmal so aus, als könnte jemand Hugo Bettiol glauben. Bettiol arbeitet als Arzt in der argentinischen Kleinstadt Monte Maíz. Er ist 72 und beklagt schon lange, dass ein Pestizid, das die Flugzeuge auf die Sojafelder am Rande der Stadt sprühen, die Menschen in der Gegend krebskrank machen könnte. In den vergangenen fünf Jahren, sagt er, hätten fünf seiner 15 Kollegen Tumoren entwickelt – darunter Bettiols Frau, die nur eine Nierenoperation retten konnte. Zwei Kollegen starben. „Und auch unter den Patienten sind viele Krebsfälle“, erzählt Bettiol.

Am 20. März nun deutete sich zum ersten Mal an, dass eine offizielle Institution seine Beobachtungen bestätigen könnte. Die Weltgesundheitsorganisation WHO brandmarkte Glyphosat – das weltweit und auch in Deutschland meist verkaufte Pestizid – als “wahrscheinlich krebserregend“. Sie empfand die Beweislage als so gut, dass sie den Unkrautkiller in der zweithöchsten der fünf Kategorien für Krebsgefahren einstufte. Darüber gibt es nur noch „krebserregend“ – ohne „wahrscheinlich“.

Es dauerte einige Monate, bis die Nachricht Hugo Bettiol in seinem kleinen Krankenhaus mit den 25 Betten erreichte. Sie fühlte sich an wie ein Sieg. „Allmählich“, sagt Bettiol, „kommt die Wahrheit ans Licht.“

Kurt Straif, der Mann der hinter der Warnung steht, arbeitet in einem Büroturm im Südosten Frankreichs, 13 Stockwerke hoch: bei der Internationalen Agentur für Krebsforschung in Lyon, einem WHO-Institut. Vor dem Eingang flattern an weißen Masten Fahnen aller Staaten, die die Agentur finanzieren. Straif leitet die Abteilung, die Stoffe oder Tätigkeiten daraufhin untersucht, ob sie Tumoren verursachen.

Dank einer Gesetzeslücke testen Chemiekonzerne ihre eigenen Stoffe einfach selbst

Monatelang haben 17 von Straifs Forschern Untersuchungen zu dem Pestizid analysiert. Sie fanden: Tierversuche, in denen Glyphosat Krebs erzeugte und das Erbgut schädigte. Und Vergleichsstudien zwischen Menschen mit und ohne Kontakt zu der Chemikalie, die erhöhte Raten an Lymphdrüsenkrebs ergaben. Nach den Gesetzen der Europäischen Union müssen Stoffe mit solchen Eigenschaften verboten werden.

Roland Solecki allerdings beurteilt Glyphosat etwas anders. Er ist Chef der Abteilung „Sicherheit von Pestiziden“ am Bundesinstitut für Risikobewertung, der Behörde, die für die Deutschen ermittelt, wie sehr sie sich vor bestimmten Stoffen in Acht nehmen müssen. Die Beamten arbeiten in einem Klinkerbau im Berliner Stadtteil Charlottenburg, zufällig gleich neben einem Unternehmen des Pestizidkonzerns BASF. Wie die Kollegen in Frankreich haben Soleckis Leute gerade Hunderte Untersuchungen zu Glyphosat analysiert – im Auftrag der Europäischen Union. Denn der US-Hersteller Monsanto und andere Chemieunternehmen haben beantragt, dass die EU das Mittel mindestens weitere zehn Jahre zulässt. Die aktuelle Zulassung läuft im Juni 2016 aus. Soleckis Amt sieht “keine gesundheitlichen Auswirkungen auf Anwender, Anwohner und Verbraucher“, wenn Glyphosat so benutzt wird, wie das die hiesigen Gesetze vorsehen. Die Behörde hält den Stoff sogar für so harmlos, dass sie vorgeschlagen hat, einen wichtigen Grenzwert für das Pestizid zu erhöhen.

Wie kommen zwei Forscher bei ein und demselben Stoff zu so unterschiedlichen Einschätzungen?

Das ist es: Glyphosat ist ein Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln. Die Chemikalie wird gemischt mit Hilfssubstanzen etwa zu dem Unkrautvernichter Roundup des US-Herstellers Monsanto. 2014 wurden in Deutschland laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 5.426 Tonnen Glyphosat verkauft, 98 Prozent an berufliche Anwender.

Da findet es sich: Die Überwachungsämter von 21 EU-Ländern fanden Glyphosat 2013 in 8 Prozent aller Lebensmittelproben, zum Beispiel in Hafer, Äpfeln oder Wein. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Denn alle beteiligten Länder analysierten nach Angaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit nur 2.866 Proben.

So wirkt es: Der Stoff blockiert einen zentralen Stoffwechselweg in den Pflanzenzellen. Nach einigen Tagen sterben sie ab. Glyphosat kann gegen fast alle Unkräuter angewandt werden. Allerdings sind immer mehr Pflanzen wegen des häufigen Gebrauchs resistent. JMA

Zweifel am Zulassungsverfahren für Pestizide

Es geht bei dem Streit nicht um irgendein Pestizid, sondern um eines, das auf rund 40 Prozent der deutschen Ackerfläche und in vielen Gärten oder Grünanlagen gespritzt wird. In Nord- und Südamerika etwa hat der Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten gentechnisch veränderten Pflanzen – vor allem die von Monsanto – gegen den Stoff resistent sind. Das heißt: Die Bauern können beliebig oft Unkraut totspritzen, ohne die Soja- oder Maispflanzen zu zerstören. Ein Milliardengeschäft für Chemieunternehmen, Saatgutkonzerne und Großgrundbesitzer.

Hinter der Diskussion über Glyphosat verbirgt sich also auch der Kampf für oder gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft. Wenn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit auf Grundlage von Risikobewerter Soleckis Recherchen empfiehlt, Glyphosat weiter zuzulassen, dürfte das Signalwirkung für die Regulierungsbehörden überall auf der Welt haben. Das Amt soll seine Bewertung bis Freitag abschließen.

Glyphosat ist nicht nur ein Unkrautvernichter, der zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten beiträgt, weil er die Nahrung vieler Lebewesen zerstört. Da sind sich Behörden und Umweltorganisationen weitgehend einig. Naturschützer machen die Substanz etwa für das Amphibiensterben mitverantwortlich. Auch die Gesundheit von Verbrauchern und Landarbeitern könnte gefährdet sein. Denn sie kommen mit Glyphosat in Berührung: auf dem Feld oder über Rückstände in Lebensmitteln. Da der Stoff schon jahrzehntelang auf dem Markt ist und von den Ämtern durchgewunken wurde, nährt der Fall auch Zweifel an der Verlässlichkeit der Zulassungsverfahren.

    Den Bauern geht es ums Geld

    Neulewin in Brandenburg: Wie ein Raubvogel breitet die Spritzmaschine der Firma Agrarproduktion Oderbruch ihre beiden metallenen Flügel aus. 32 Meter breit ist das Gestänge, an dem Düsen hängen. Der Motor dröhnt, der Fahrer dreht das Gefährt mit den riesigen Reifen und drückt auf den Steuerknüppel in der Kabine. Sofort schießt eine klare Flüssigkeit aus dem 5.000-Liter-Tank hinter dem klimatisierten Cockpit durch die Ventile: ein Pestizid mit Glyphosat.

    Das Gift regnet auf den Boden: auf Raps, der die letzte Ernte überlebt hat, auf Unkräuter, auf Ackerhellerkraut, Ehrenpreis und Ackerwinde – alles, was grün ist und wächst, wird in zwei bis drei Wochen gelb und tot sein. „Wir machen einmal reinen Tisch“, sagt Wilfried Daue. So hat das Getreide, das der Chef des Agrarunternehmens nach dem Spritzen säen lässt, kaum noch Konkurrenten um Nährstoffe, Licht und Boden.

    Daue, 64 Jahre alt, hat gut gebräunte Haut, markante Falten und kräftige Bauernhände. Er arbeitete schon zu DDR-Zeiten auf diesem Land nahe der polnischen Grenze. Heute leitet er den mit 3.500 Hektar sehr großen Betrieb, der pro Jahr 5 Millionen Euro einnimmt. Ohne Glyphosat, erzählt Daue, müssten sie das Unkraut mit Pflügen oder anderen Maschinen durchschneiden und aus dem Boden reißen. „Das wäre ein Arbeitsgang mehr: mehr Zeit, mehr DK, also Dieselkraftstoff.“ Kostenpunkt: mindestens 30 bis 50 Euro mehr pro Hektar. Das könnte etwa bei Brotweizen schon mal ein Viertel des Gewinns verschlingen. Bei Glyphosat geht es also den konventionellen Landwirten genauso wie den Chemiekonzernen vor allem um Geld.

    Deshalb reagiert Monsanto sofort, als Kurt Straif am 20. März die Warnung der Krebsforschungsagentur auf der Internetseite der Fachzeitschrift The Lancet Oncology veröffentlichen lässt. Gentechnikgegner schicken sie als „Breaking News“ über ihre E-Mail-Verteiler, die internationale Presse berichtet. In einer schriftlichen Stellungnahme diskreditiert der Konzern Straifs Urteil als „Junk Science“, Schrottwissenschaft.

    In Straifs Büro im fünften Stock der Agentur in Lyon hört man, wie der Wind an den Fenstern rüttelt. Straif – 58 Jahre alt, Facharzt für Innere Medizin mit Abschlüssen der Universitäten Frankfurt am Main, Münster und Kalifornien – trägt ein blaues Jackett, darunter ein rostrotes T-Shirt. Sein Vollbart ist ein wenig struppig, das passt zu ihm. Kühles Neonlicht fällt von der Decke. Die Wände sind kahl, hinter Straif stehen große Papierablagen.

    Schrottforschung?

    Straif verzieht keine Miene. Die Bewertungen seiner Agentur seien „seit mehr als 40 Jahren weltweit dafür bekannt, dass sie der Goldstandard sind in der Gefährdungseinschätzung von möglicherweise krebserregenden Substanzen“, sagt er.

    Er kennt solche Lobbykämpfe, bei denen der Schutz der Gesundheit gegen die Interessen einer ganzen Branche steht. Straif hat schon die Einstufung von Dieselabgasen als eindeutig krebserregend gegen die Autoindustrie aufrecht erhalten. Nun eben die Chemiefirmen. „Wir sind gewohnt, dass unsere Bewertungen auf Interesse stoßen“, sagt Straif und lächelt. „Das ist hier sicher eine relativ starke Reaktion, weil es direkt in das Businessmodel von Monsanto trifft.“

    Seine Leute seien beim Thema Glyphosat „weltweit führend“. Außerdem glaubt Straif, das Richtige zu tun: Er wolle, sagt der Mediziner, dass seine Wissenschaft angewandt wird, zum Nutzen der Menschen.

    Bei Krebsgefahr spielt die Dosis für ein Verbot keine Rolle

    Da ähnelt er Roland Solecki dem deutschen Risikobewerter. „Mein Wunsch“, erzählt der Beamte in seinem Büro im Berliner Bundesinstitut, „war es immer, die Gesundheit der Menschen zu schützen.“ Anders als der Arzt Straif hat der Biologe Solecki aber immer auch die Interessen der Landwirtschaft im Blick gehabt: Ab 1977 arbeitete er im Institut für Pflanzenschutzforschung der DDR, das Pestizide entwickelte, bevor er zu einer Vorgängerbehörde des Bundesinstituts wechselte. Hinter Soleckis Schreibtisch steht ein Chefsessel mit Kopfstütze. An den Wänden hängen Gemälde und Kunstgrafiken. Er ist 61 Jahre alt, trägt ein sportliches beiges Jackett und dazu passende Jeans.

    Im Gegensatz zu den Experten in Lyon, sagt Solecki, berücksichtige sein Team auch, wie viel Glyphosat im Körper ankommt, wenn die Chemikalie ordnungsgemäß angewendet werde. Wie hoch also die Rückstände in Lebensmitteln und die Mengen sind, die die Bauern auf dem Feld abbekommen. Die Glyphosatmengen, die in der EU zulässig sind, halten Soleckis Leute für harmlos.

    Allerdings: Falls eine Chemikalie auch nur „wahrscheinlich krebserregend“ ist, gilt jede Dosis als gefährlich und muss verboten werden. So steht es in der EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen.

    Kurt Straif ist Wissenschaftler. Er würde nie sagen: Die Berliner haben Quatsch gemacht. Aber er sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass all die Studien, die wir einbezogen haben, vom Bundesinstitut miteinbezogen wurden. Man kann mit diesen Studien eigentlich nicht zu einer anderen Schlussfolgerung kommen.“

    Tatsächlich räumen Soleckis Mitarbeiter ein, dass sie mehrere Untersuchungen, mit denen die Krebsforschungsagentur ihre Einstufung begründet hat, nicht berücksichtigt hatten.

    Andere Tierversuchsstudien, die über erhöhte Krebsraten bei Mäusen berichteten, tauchten zwar von Anfang an in seinen Analysen auf. Aber Soleckis Team stufte sie als unwichtig ein, unter anderem weil die Glyphosatdosis ihnen zu hoch erschien. Menschen wären seiner Meinung nach längst daran gestorben. „Wir machen doch die Risikobewertung für den Menschen. Mit dieser Dosis wird man normalerweise nicht exponiert“, argumentiert der Beamte. Er beruft sich dabei auf Regeln der Industrieländerorganisation OECD.

    Niemand wisse aber so genau, welche Dosis tödlich ist, sagt Ivan Rusyn, Toxikologe an der texanischen A&M University und einer der Wissenschaftler der Krebsforschungsagentur. Im Übrigen seien gerade die Experimente am aussagekräftigsten, deren Dosierungen so hoch ist, dass bei den Versuchstieren Effekte zu beobachten sind.

    Wegen solcher Widersprüche werfen Kritiker Soleckis Leuten Manipulationen vor. Das Bundesinstitut halten sie für zu industrienah. Das Zulassungsverfahren der EU sei so aufgebaut, dass die Hersteller zu viel Einfluss nehmen könnten. Außerdem hat Solecki es mitgestaltet, er bestreitet das auch nicht.

    Laut EU-Verordnung Nummer 1107/2009 dürfen die Pestizidhersteller die Studien selbst machen, die überprüfen, wie giftig ihre Wirkstoffe sind. Sie müssen die Untersuchungen noch nicht einmal veröffentlichen. Unabhängige Wissenschaftler können sie kaum kontrollieren. Lediglich Zusammenfassungen der Analysen finden sich in einem Bericht des Bundesinstituts, der nach Abschluss des Verfahrens publiziert wird. Diese Inhaltsangaben übernehmen Soleckis Leute nach eigener Darstellung von der Industrie, sie korrigieren nur noch offensichtliche Fehler.

    Kurt Straif schüttelt den Kopf, wenn er das hört. Der Arzt hat nichts gegen Studien, die von der Industrie kommen. Aber er nutzt sie nur, wenn sie öffentlich zugänglich sind – damit alle Bewertungen der Krebsforschungsagentur „durch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind“, wie er erklärt.

    Ende September ist die Kritik an Soleckis Bewertung so laut geworden, dass er in den Bundestag muss, in den großen, zweistöckigen Sitzungssaal 3.101, in dem vor allem Untersuchungsausschüsse arbeiten. Heute befragen hier die Abgeordneten des Agrarausschusses öffentlich Experten zu Glyphosat. Sie grillen vor allem Andreas Hensel, den Präsidenten des Bundesinstituts. Aber es geht um Soleckis Arbeit. Er sitzt zwei Reihen hinter seinem Chef, einen dicken Aktenordner auf dem Schoß, immer wieder reicht er Hensel kleine Zettel mit Stichwörtern über die Schulter.

    Solecki nickt. Das Argument könnte ihn retten

    Hensel verteidigt sich unter anderem damit, dass Soleckis Leute laut Gesetz ja nur den puren Wirkstoff prüfen müssten. Also nicht die fertigen Pestizide, die außer Glyphosat immer auch Hilfssubstanzen enthalten. Die sollen etwa das Eindringen in die Pflanze erleichtern. Sie könnten aber auch giftiger sein als Glyphosat selbst, erzählt Hensel. Möglicherweise ist also nicht Glyphosat, sondern ein Beistoff krebserregend. Solecki nickt. Dieses Argument könnte ihn mit seiner Unbedenklichkeitserklärung für das pure Glyphosat aus der Schusslinie bringen.

    Es offenbart sich damit aber auch eine Lücke im Zulassungssystem: Derzeit werden die Hilfsstoffe nicht genügend kontrolliert, was Soleckis Chef im Bundestagsausschuss indirekt einräumt. Hensel spricht sich dafür aus, über „gesetzgeberische Maßnahmen“ bei der Zulassung der Mischungen nachzudenken, weil “auch die Beistoffe vernünftig mitgeprüft werden sollten“.

    Auf der Besuchertribüne sitzt die Toxikologin Anita Schwaier. Früher hat sie in der Pharmaindustrie gearbeitet. Sie ist 78, lange in Rente und sieht ein noch größeres Problem: „Eine von der EU-Kommission initiierte Metastudie kommt zu dem Schluss, dass sich die schädlichen Veränderungen der Einzelsubstanzen in Pestiziden addieren, teilweise sogar potenzieren“, sagt die Wissenschaftlerin. „Mischungen müssen aber für die Zulassung nicht experimentell geprüft werden.“

    Solecki bestätigt, dass mögliche Kombinationswirkungen der Inhaltsstoffe bei der Zulassung lediglich „berücksichtigt“ würden, „soweit dies auf Basis der vorliegenden Daten möglich ist“. Das nutzt den Herstellern: Wenn nur die einzelnen Bestandteile im Tierversuch geprüft werden müssen, dürfen sie die Chemikalien ohne teure Tests immer wieder zu neuen Produkten kombinieren.

    Wie unabhängig agieren die Menschen, die an solchen Gesetzen mitgewirkt haben und sie nun anwenden?

    In seinem Büro holt Roland Solecki den Ausdruck einer 32-seitigen Studie aus einer Aktenmappe. Unter den Autoren steht sein Name, aber auch der von Monsanto- und Syngenta-Mitarbeitern – also von Pestizidherstellern, deren Antrag auf Wiederzulassung von Glyphosat er jetzt bewertet hat. Initiiert wurde die Studie, das steht auf der zweiten Seite, von der Industrieorganisation Ilsi. Der Inhalt ist denn auch im Sinne der Industrie: ein Vorschlag für Prüfvorschriften, der den Aufwand für Tierversuche im Zulassungsverfahren von Pestiziden reduzieren könnte. Es gehe beispielsweise darum, „hohe Dosierungen zu vermeiden, die unnötige Sorgen der Öffentlichkeit verursachen“.

    Der Text erschien bereits 2006. Tagungsunterlagen zufolge nahm Solecki aber 2009 und 2011 als Redner an Workshops des Ecetoc teil. Dieser Verband, in dem sich unter anderem die Konzerne BASF, Bayer und Syngenta zusammenschließen, entwickelt auch Konzepte zur toxikologischen Bewertung von Chemikalien. Dazu kommt: Das Bundesinstitut lässt sich nach eigenen Angaben bis heute in seiner „Kommission Pflanzenschutzmittel“ unter anderem von Industrievertretern beraten – beispielsweise über Strategien zur Einschätzung von Pestiziden.

    „Da entsteht viel zu viel Nähe“, kritisiert Heike Moldenhauer, Gentechnikexpertin der Umweltorganisation BUND. „Diejenigen, die kontrolliert werden sollen, werden in gemeinsamen Arbeitsgruppen zu den Kontrollen konsultiert.“ Und das nicht nur sporadisch, sondern „institutionalisiert“. Für Moldenhauer ist diese Zusammenarbeit mit den Pestizidherstellern „ein klarer Interessenkonflikt“.

    Die Hälfte der Namen hat er grün angestrichen

    „Nein, das möchte ich aufs Schärfste zurückweisen“, antwortet der Beamte darauf und guckt entsetzt. Er zeigt auf die Autorenliste der Ilsi-Studie. Ungefähr die Hälfte der 19 Namen hat er grün angestrichen: Mitarbeiter von Behörden aus Frankreich, Kanada und den USA. Soll heißen: Das macht doch jeder. Er habe auch kein Geld für seine Mitarbeit erhalten.

    „Glauben Sie mir“, sagt Solecki. „Ich habe mein Leben lang für den Verbraucherschutz gearbeitet. Die Mehrheit meiner Mitarbeiter sind Bundesbeamte. Da macht es mich extrem traurig, wenn Bundesbeamten unterstellt wird, die werden von der Industrie beeinflusst.“

    Daue, der Bauer aus Brandenburg, vertraut Solecki. Ohne Glyphosat würde Deutschland noch mehr Billigware aus dem Ausland importieren, wo weiter mit dem Pestizid produziert wird, warnt er. Außerdem gehe mehr Boden durch Erosion verloren, wegen der dann nötigen Unkrautbekämpfung per Pflug. Und seine Ernten wären kleiner.

    Daue könnte Glyphosat auch durch andere Pestizide ersetzen. Allerdings bräuchte er dann mehrere Wirkstoffe, denn keiner tötet so effizient fast alle Unkrautarten. „Dieses Zeug ist ja ein halbes Wundermittel“, sagt Daue. Und man müsse auch mal fragen, ob andere Chemikalien für Umwelt und Gesundheit besser seien.

    Aber: Andere Pestizide, die als krebserregend gelten, sind sowieso verboten.

    Bio-Landbau statt Glyphosat

    Es gäbe auch die Alternative, die Früchte auf dem Feld so abzuwechseln, dass Unkraut möglichst gar nicht erst entsteht. Man kann zwischen Maisreihen Hülsenfrüchte säen, die es verdrängen. Solche Biolandbausysteme verhindern Erosion und sind klimafreundlich. Die Ernten wären etwas geringer. Aber 2014 produzierte Deutschland laut Bundesagrarministerium 40 Prozent mehr Weizen, als es selbst verbraucht.

    Bis Mitte 2016 muss die EU-Kommission nun gemeinsam mit den Mitgliedstaaten über die Zukunft von Glyphosat entscheiden. Sollte sie es verbieten, würde das auch für Konkurrenten der deutschen Bauern etwa in Frankreich gelten. Extrem niedrige Grenzwerte für Rückstände des Pestizids könnten Importe von mit Glyphosat angebauten Pflanzen aus Nicht-EU-Ländern weitgehend verhindern.

    In einem Hochhaus in Lyon dürfte jemand genau darauf hoffen.

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