Streit über Tariftreuegesetz: „Kernelement im Koalitionsvertrag“

Frank Bsirske warnt vor einer Blockade des Tariftreuegesetz. Der Ex-Verdi-Chef hält das Bürokratie-Argument der FDP lediglich für vorgeschoben.

Frank Bsirske sitzt im Bundestag

Frank Bsirske im September im Bundestag Foto: Geisler-Fotopress

taz: Herr Bsirske, wenn der Bund einen Auftrag vergibt, ist dann davon auszugehen, dass die Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden?

Frank Bsirske: Nein. Im Prinzip werden öffentliche Aufträge vom Bund an das preisgünstigste Unternehmen vergeben. Für fair handelnde Unternehmen wird das Geschäft so erschwert, denn die sind einer Dumpingkonkurrenz ausgesetzt, die sich Wettbewerbsvorteile auf dem Rücken der Beschäftigten verschafft.

Frank Bsirske (71) sitzt für die Grünen im Bundestag. Von 2001 bis 2019 war er Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

taz: Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Tarifbindung zu stärken und will darum das Tarif­treuegesetz einführen. Was genau ist das?

Bsirske: Der Kern des Tarif­treuegesetzes bindet die Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes an die Einhaltung des repräsentativen Tarifvertrags der jeweiligen Branche.

taz: Warum ist das wichtig?

Bsirske: Seit drei Jahrzehnten erodiert die Tarifbindung. In den 90er Jahren hatten wir in Westdeutschland eine Tarifbindung bei weit über 80 Prozent der Beschäftigten. Heute sind wir auf 50 Prozent für Gesamtdeutschland zurückgefallen. Im Osten sind wir bei 45 Prozent. Das ist schlecht für die Beschäftigten. Wir wissen, Tarifverträge schützen, Tarifverträge ermöglichen bessere Arbeitsbedingungen und deutlich bessere Entlohnungsbedingungen. Das Tarifvertragssystem zu stärken ergibt also Sinn, weil es Dumpingkonkurrenz auf dem Rücken der Beschäftigten verhindert und fairen Unternehmen auch zu fairem Wettbewerb verhilft. In dem Sinne ist es merkwürdig, was wir jetzt erleben.

taz: Sie meinen sicher Bundesfinanzminister Christian Lindner – der hat bei der Verbändeanhörung zum Tarif­treuegesetz ein Veto eingelegt.

Bsirske: Ja, das hat mich überrascht. Eine Blockade des Tarif­treuegesetzes und eine Blockade des Rentenpakets II würde Kernelemente des Koalitionsvertrags treffen. Es wirft eine Brandfackel in ein Ölfass. Christian Lindner ist klug genug, um das zu wissen. Insofern muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, die Erwartung ist, dass sich alle Beteiligten, die die Koalitionsvereinbarung unterschrieben haben, koalitionsvereinbarungstreu verhalten. Und das heißt, koalitionstreu zu sein und koalitionstreu zu handeln.

taz: Aus dem Finanzministerium heißt es, man wolle erst anderswo bürokratische Hürden abbauen, um die Unternehmen nicht noch mehr zu belasten. Gegen Bürokratieabbau ist doch nichts einzuwenden, oder?

Bsirske: Das ist ein bisschen merkwürdig. Das Tarif­treuegesetz wurde in der Koalitionsvereinbarung an keine Bedingungen geknüpft. Es gab eineinhalb Jahre der Frühkoordination zwischen Bundeskanzleramt, Finanzministerium, Arbeitsministerium und Wirtschaftsministerium. Und jetzt die Bürokratiekarte zu ziehen, wenn ein Entwurf in die Ressortabstimmung geht, ist aus meiner Sicht völlig abwegig und vorgeschoben. Außerdem wollen wir gerade ein Bürokratieentlastungsgesetz miteinander verabschieden.

taz: Auch Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände, ist gegen das Gesetz. Er nennt es „wirklichkeitsfremd und wirtschaftsfeindlich“.

Bsirske: Eine Kernfunktion der Arbeitgeberverbände besteht darin, Tarifverträge auszuhandeln und zu vereinbaren. Wir erleben mit Herrn Kampeter nun einen Hauptgeschäftsführer, der gegen das Tariftreuegesetz öffentlich auftritt – also gegen ein Gesetz, das gerade dazu dienen soll, das Tarifvertragssystem zu stärken. Es ist sein Problem, wie er das mit seinen Mitgliedsverbänden ausmacht. An einem Punkt aber unterscheidet er sich fundamental von anderen: Er war an den Koalitionsverhandlungen nicht beteiligt, hat den Koalitionsvertrag nicht ausgehandelt und hat ihn auch nicht unterschrieben, im Gegensatz zu Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner.

taz: Sie erwarten Koalitionstreue von der FDP. Dabei hat diese Partei schon in der Vergangenheit bei Bürgergeld und Kindergrundsicherung blockiert, auch beim Rentenpaket bahnt sich ein Konflikt an …

Bsirske: Es gibt Leute in der FDP, die offen kommunizieren, dass sie dem Rentenpaket II nicht zustimmen wollen. Der Finanzminister erklärt hingegen, dass es zustimmungsfähig ist und auch zugestimmt werden sollte. In der FDP ist offensichtlich eine ziemliche Auseinandersetzung im Gange, die ebenfalls ein Kernelement des gesamten Koalitionsvertrages betrifft.

taz: Wenn die FDP jetzt wieder eine Brandfackel ins Ölfass wirft, wie Sie sagen, wann ist dann der Zeitpunkt gekommen, dass es explodiert?

Bsirske: Wenn sie diese beiden Gesetzesinitiativen blockieren würde. Ich erwarte, dass das nicht passiert, und mache ganz deutlich, dass es sich hier um Kernelemente der Koalitionsvereinbarungen handelt und dass es eine klare und auch öffentlich artikulierte Erwartung an den Koalitionspartner gibt.

taz: Was erwarten Sie von Ihrer eigenen, grünen Parteispitze?

Bsirske: Meine Parteispitze weiß, dass Ökologisches und Soziales zusammengedacht werden müssen, dass wir ein Mehr an sozialer Sicherheit im ökologischen Umbau der Wirtschaft ermöglichen müssen. Das Tariftreuegesetz und die Stabilisierung des Rentenniveaus sind auch aus Sicht der grünen Fraktions- und Parteispitze unverzichtbare und integrale Kern­elemente der Koalitionsvereinbarung.

taz: Sie waren fast zwei Jahrzehnte Vorsitzender von Verdi, jetzt sitzen Sie für die Grünen im Bundestag. Was bedeutet das Tariftreuegesetz für Sie persönlich?

Bsirske: Ich habe den Koalitionsvertrag an dieser Stelle mit ausgehandelt, und das war kein Zufall. Das entsprang der Erfahrung als Gewerkschaftsvorsitzender, welche Probleme für Millionen von Menschen damit verbunden sind, wenn die Tarifbindung immer weiter abnimmt. Das ist eine Situation, die man so nicht hinnehmen kann, weil sie ganz vielen Menschen schadet, die einen Anspruch darauf haben, dass Arbeit nicht arm macht und Arbeit nicht entwürdigt.

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