Streit über Flüchtlingspolitik: SPD-Bürgermeister tritt aus Partei aus
Magdeburgs Bürgermeister Lutz Trümper streitet sich mit seiner Landeschefin über die Flüchtlingspolitik. Ein Dissens, der Konsequenzen hat.
Trümper begründete diesen Schritt mit Differenzen zur Führung der Landespartei in der Flüchtlingspolitik, namentlich zur Landesvorsitzenden Katrin Budde. Sie hatte ihm vorgeworfen, mit seinen Äußerungen der Partei zu schaden. Diesen Schaden wolle er mit Blick auf die im März 2016 anstehenden Landtagswahlen von der SPD abwenden, erklärte Trümper.
Der Oberbürgermeister hatte Anfang der Woche in einem Interview in der Magdeburger Volksstimme der Auffassung von Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) zugestimmt, die Belastungsgrenze durch Flüchtlinge sei für Sachsen-Anhalt erreicht. Budde hingegen hatte auch mit Blick auf den anstehenden Nachtragshaushalt als Koalitionspartnerin der Union Haseloff kritisiert.
„Ich wüsste nicht, wie wir 2016 noch einmal 30.000 Menschen vernünftig unterbringen sollten“, sagte nun Trümper der Zeitung. Schon jetzt fehle es an Zelten und Ausrüstung, die Flüchtlingshelfer seien am Limit, die Akzeptanz in der Bevölkerung sinke. In jedem Fall seien die für die Kommunen bereitgestellten Gelder viel zu niedrig angesetzt. Unter Umständen könne Magdeburg bis zu 1 000 Asylbewerber im Jahr verkraften, aber nur in geordneten Strukturen.
Jährlich eine Million Flüchtlinge
Als zentralen Dissenspunkt mit Budde benannte Trümper im MDR-Fernsehen die Aussicht, dass auch in den kommenden Jahren mit einer Million Flüchtlingen in Deutschland pro Jahr zu rechnen sei. „Wir versuchen, mit dem individuellen Asylrecht eine Völkerwanderung zu beherrschen“, entgegnete Trümper.
Am Dienstagabend hatte sich dieser Konflikt bei einem Treffen von SPD-Landes- und -Kommunalpolitikern zugespitzt. Am Folgetag verließ Trümper die Partei, in die der promovierte Chemiker 1990 eingetreten war. „Ich bin nicht bereit, mir den Mund verbieten zu lassen“, erklärte er. Oberbürgermeister von Magdeburg will der 60-Jährige aber bleiben. Im März dieses Jahres hatte er dank eines 70-Prozent-Wahlerfolges eine weitere siebenjährige Amtszeit angetreten.
Die SPD-Landes- und Fraktionschefin Katrin Budde bezeichnete den Parteiaustritt Trümpers als „einen Verlust für die SPD“ und „große menschliche Enttäuschung“. Sie bedauerte die nun fehlende kommunale Kompetenz in der Partei. Andere Teilnehmer der Sitzung am Dienstagabend empfanden die Kontroversen nicht als unüberbrückbar und hatten einen so drastischen Schritt Trümpers nicht erwartet.
CDU-Fraktionschef André Schröder zeigte geradezu Mitgefühl und gab sich „ohne Häme und Spott“. Sein Kollege Wulf Gallert von der Linken wertete den Austritt als „konsequent“, weil Trümper auch in der Vergangenheit immer häufiger CDU-Positionen vertreten habe. Einen Parteiwechsel schloss dieser aber aus und verwahrte sich gegen eine Vereinnahmung durch rechte Strömungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin