Streiks bei Amazon: Verdi will „Black Friday“ lahmlegen
Mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen: Auch in diesem Jahr streiken Mitarbeiter des Online-Versandhändlers. Amazon lässt das kalt.
Seit mehr als vier Jahren kämpft die Gewerkschaft dort für bessere Arbeitsbedingungen. Seit Donnerstagabend streiken Teile der Belegschaft in den sechs Logistikzentren Leipzig, Koblenz, Bad Hersfeld, Rheinberg, Werne und Graben.
Die Forderung: Amazon soll endlich in den Einzel- und Versandhandelstarifvertrag eintreten. „Im Durchschnitt würden die Beschäftigten etwa 250 Euro mehr kriegen, wenn Amazon den Tarifvertrag übernehmen würde“, rechnet Voß vor.
Darauf will sich der US-Konzern allerdings nicht einlassen. Die Pressestelle teilt am Freitag mit, Amazon beweise jeden Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber sein könne. „Wir bezahlen in unseren Logistikzentren am oberen Ende dessen, was für vergleichbare Tätigkeiten üblich ist.“
Dreimal höhere Krankheitsrate
Verdi-Mann Voß schildert allerdings wenig faire Bedingungen. Bei Amazon herrsche ein hoher Leistungsdruck. „Wenn Mitarbeiter zum Beispiel einmal zwei Minuten länger brauchen, um ein Paket in den riesigen Lagerhallen vom Regal zum Versand zu bringen, droht schon ein Gespräch mit dem Vorgesetzten“, sagt Voß. Dort werde Mitarbeitern dann vorgehalten, dass es nicht zur Unternehmensphilosophie passe, wenn man bei der Arbeit mit den Kollegen schwatze. Aufgrund der hohen Belastung sei die Krankheitsrate dreimal höher als im Schnitt der deutschen Wirtschaft.
Dass Verdi ausgerechnet an diesem Wochenende streikt, ist kein Zufall. Beim so genannten „Black Friday“ werben Amazon und andere Online-Händler mit großzügigen Rabatten – eine Tradition, die der deutsche Einzelhandel aus den USA übernommen hat. „Amazon hofft auf Rekordgewinne“, sagt Thomas Voß. „Wir kämpfen dafür, dass auch die Mitarbeiter etwas davon abbekommen.“
Doch es geht nicht nur um Lohn, sondern auch um die Arbeitsbedingungen. Laut Verdi klagen Mitarbeiter über die monotone und psychische belastende Arbeit in den Logistikzentren. Deshalb fordert die Gewerkschaft einen Tarifvertrag für „gute und gesunde Arbeit“. Die Belastungen müssten minimiert und die Erholungszeiten ausgebaut werden.
Geringe Chancen auf Erfolg
Wie groß der Streikdruck auf den Konzern wirklich ist, lässt sich kaum bestimmen. Voß sagt, beim letzten Streik hätten sich bis zu 30 Prozent der Belegschaft beteiligt, diesmal rechne man mit einer noch höheren Beteiligung. Vom Amazon-Standort Leipzig habe er erfahren, dass Amazon mehreren Premiumkunden bereits mitgeteilt habe, dass bestellte Ware erst nächste Woche ankäme.
Dem widerspricht der Online-Händler. „Der Streik hat keinen Einfluss auf die Einhaltung unseres Kundenversprechens, denn die überwältigende Mehrheit unserer Mitarbeiter arbeitet normal“, heißt es aus der Amazon-Pressestelle.
Verdi hofft dennoch, dass Amazon auf die Forderungen der Gewerkschaft eingeht. Das hofft sie allerdings schon seit dem ersten Streik. Und der war 2013.
Handelsforscher Gerrit Heinemann ist der Überzeugung, dass Amazon nicht auf die Verdi-Forderungen einschwenken werde. Stattdessen werde das Unternehmen die Automatisierung vorantreiben. „Verdi wird damit eher Arbeit verdrängen“, sagt Heinemann. Am niedersächsischen Standort Winsen setzt Amazon schon jetzt auf Lagerroboter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!