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Streik bei der BahnNerven sägen ist das Mittel

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Ein Bahnstreik ausgerechnet in der Urlaubszeit schmerzt die Reisenden besonders. Doch der Streik ist legitim und die Forderungen sind nicht überzogen.

Streik! Mitten in den Sommerferien! Foto: Carsten Koall/dpa

S treik bei der Deutschen Bahn – muss das wirklich sein? Claus Weselsky sorgt mal wieder für Empörung: Zwischen Coro­napandemie und Klimakatastrophe legen der GDL-Chef und seine unbotmäßige Lok­füh­re­r:in­nen­trup­pe doch tatsächlich jetzt einfach den Zugverkehr bis zum frühen Freitagmorgen lahm. Mitten in der Sommerferienzeit!

Als „unnötig und völlig überzogen“ bezeichnet der Bahnvorstand den Ausstand – und viele Bahn­kun­d:in­nen dürften zustimmen. Nun ja, ein Streik ist immer blöd für die, die von ihm betroffen sind. Aber deswegen ist er noch nicht unstatthaft. Wer jetzt gegen Weselsky polemisiert, macht es sich zu einfach. Zum einen sind die Forderungen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) absolut legitim.

Ein Tarifabschluss, der der Vereinbarung im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen im vergangenen Jahr entspricht, ist keineswegs ein überzogener Anspruch. Selbst in der Hochphase der Coronapandemie sind die Züge rund um die Uhr gefahren, da sind eine moderate Lohnsteigerung und ein Coronabonus in Höhe von 600 Euro nichts Unverschämtes. Wenn der Bahnvorstand demgegenüber eine Nullrunde für dieses Jahr anbietet, kann das kaum als seriöses Angebot betrachtet werden.Nicht einmal zu einem Inflationsausgleich bereit zu sein, zeugt nicht von einer ernsthaften Verhandlungsbereitschaft.

Zum anderen gibt es wie bei jedem Tarifkonflikt auch bei diesem zwei Seiten. Um genau zu sein, sind es bei der Bahn sogar drei. Denn da ist noch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), mit der der Bahnvorstand bereits im vergangenen Jahr ohne größeres Federlesen handelseinig geworden ist – auf Kosten der Beschäftigten, die einen Reallohnverlust präsentiert bekommen haben.

Jedes Zugeständnis gegenüber der GDL birgt daher die Gefahr, die handzahmere EVG zu brüskieren. Daran hat der Bahnvorstand verständlicherweise kein Interesse. Nur: Der bescheidene Abschluss der größeren Konkurrenz ist nicht die Schuld der GDL. Warum sollte sie sich also damit abspeisen lassen? „Deutschlands größte Nervensäge“, „Größen-Bahnsinniger“ oder „Chaos-Claus“ – mit welchen Bezeichnungen ist der streitbare GDL-Chef nicht schon überzogen worden.

Mit dem aktuellen Streik dürfen noch ein paar weitere Beschimpfungen hinzukommen. Trotzdem ändert das nichts: Dass die Lok­füh­re­r:in­nen nun ihre Muskeln spielen lassen, ist mehr als nachvollziehbar. Nein, Weselsky muss einem nicht sympathisch sein. Aber es sollte anerkannt werden, dass es das gute Recht der GDL ist, für die Interessen der bei ihr organisierten Beschäftigten zu kämpfen. Es liegt nun am Bahnvorstand, den gordischen Knoten zu durchschlagen.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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13 Kommentare

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  • Ich bin absoluter Fan vom ÖV und habe aus Umwelt- und anderen Gründen kein Auto mehr. Für mich ist die Situation natürlich beschissen. Können sich die StreikbefürworterInnen vorstellen, einmal mehrere Tage alle Autostraßen und speziell die Bundesstraßen und Autobahnen zuzusperren oder - noch besser, das Auto wegzunehmen? Ich bin dafür, dass die Bahn als Basisinfrastruktur wieder verstaatlicht wird, damit die dort Arbeitenden wieder Beamte ohne Streikrecht werden.

    • @resto:

      Super Vorschlag. Aber leider faseln die Verantwortliche eher in die andere Richtung, in die Privatisierung.

    • @resto:

      Super Vorschlag. Aber leider faseln die Verantwortliche eher in die andere Richtung, in die Privatisierung.

  • Sorry, aber ein Coronabonus in Höhe von 600 Euro ist leider doch unverschämt. Anders als Viele in der Veranstaltungsbranche oder Menschen im Hotelgewerbe durften die LokführerInnen weiter arbeiten und haben regulär Ihr Geld bekommen. Und anders als bei den "Helden der Pflege" gab es auch keine außergewöhnliche Belastungen - für ZugführerInnen dürfte sich null geändert haben und die ZugbegleiterInnen habe ich letztes Jahr auch eher entspannt erlebt angesichts der übersichtlichen Fahrgästezahlen.

    Wenn Herr Weselsky in seiner Ansprache neidisch auf die Einkommen des Bahnvorstandes verweist, zeigt es mir, woher das eigentlich kommt: Wenn von den Chef-Etagen bis hin zum Verkehrsminister Habgier und Machtmissbrauch vorgelebt wird, dann kann natürlich ein Gewerkschftsfunktionär nicht andern....

  • Während der Corona-Pandemie sollten solche Streiks nicht stattfinden. Die wenigen fahrenden Züge dürften hoffnungslos überfüllt und ein Seuchenherd sein. Das kann viele Menschenleben kosten!

    • @VanessaH:

      "Während .....[1] sollten solche Streiks nicht stattfinden."



      Wann ist Ihrer Ansicht nach (und nach Ansicht der Arbeitgeber) ein geeigneter Zeitpunkt für einen Streik?



      [1] Nach Belieben ausfüllen!

    • @VanessaH:

      Aha, also Notstandsgesetze. Da haben wir ja viel geschichtliche Erfahrung damit in Deutschland.



      Streiken sollte immer möglich sein. Egal ob bei der Bahn oder in der Wirtschaft.



      Die ungerechte Verteilung der Renditen im Neokapitalismus, rührt ja auch daher, dass Arbeitnehmer und Gewerkschaften viel zu lange stillgehalten haben, weil:



      "Standort Deutschland hat zu hohe Lohnkosten"



      "Wir haben gerade eine Finanzkriese"



      "Wenn ihr nicht spurt, wir die Produktion ausgelagert"



      "Die Rendite letztes Quartal war gerade knapp +20%. Also da können wir es den Shareholer nicht zumuten da noch was abzugeben"



      Und die neueste Version haben sie gerade gebracht:



      "Also nee, das geht gar nicht. Wir haben Pandemie. Finger weg von den Töpfen"

  • Jedes Mal, wenn jemand über die GDL schimpft, denke ich an die Tarifverhandlungen bei uns.



    Angeboten wurde: 2% mehr Lohn, dafür Wegfall des Urlaubsgeldes und Weihnachtsgeld nur, wenn Gewinn erwirtschaftet wurde.



    Verdi streikte, Ende vom Lied: 4% mehr Lohn, weiterhin Urlaubs- und Weihnachtsgeld. (Wobei das Urlaubsgeld geringer ausfällt, sollte kein Gewinn erwirtschaftet werden.)



    Wir haben ein Streikrecht und streiken bringt nur etwas, wenn die Unternehmensleitung merkt: Oh, wenn die Arbeiter nicht zu Arbeit gehen, dann machen wir ja keinen Gewinn. Da bezahlen wir die mal lieber anständig.

    Und was die Einschränkungen betrifft, zitiere ich die Aussage eines Freundes beim letzten Streik.



    „Ob der Zug nun wegen ‚technischer Probleme‘ oder ‚Streik‘ ausfällt, es ändert sich doch nur Anzeigetext.“

  • Die DB ist praktisch ein Staatskonzern, dieser hat 2020 5,7 Milliarden Euro Verlust gemacht. Alle Lohnerhöhungen sowie Boni werden ebenfalls über die Steuerzahler finanziert. So ehrlich sollte man gegenüber seinen Lesern sein. Wäre die DB ein "normales" Unternehmen, dann würde man nicht über Lohnerhöhungen reden, sondern über betriebsbedingte Kündigungen, Sozialpläne und Insolvenz.

    • @Dorian Müller:

      Öffentlicher Personen- und Güterverkehr sollten auch vom Staat unterstützt werden.



      Ihrer Logik folgend, könnte man sagen: "Polizisten kosten uns nur Geld. Die Polizei sollten wir abschaffen."

    • @Dorian Müller:

      Was soll das heißen? Dass Arbeitnehmer in dieser Lage stillhalten sollen? Falls ja dann verstehe ich diesen Punkt, teile ihn indes keineswegs. Es steht in der Macht der Bahn, ggf des Staates, für eine attraktive Bahn zu sorgen, so dies bei diesem Gut überhaupt möglich ist. So ich Ihre Bemerkung richtig verstanden habe, kann man schon nicht unter solchen Umständen, in welchen sich die Bahn bewegt, die geleistete Arbeit abwerten.



      Der dt. Arbeitsmarkt ist inklusive der daraus folgenden gesellschaftlichen



      sowie umweltspezifischen Verhältnisse nahe faschistoid, aber zumindest zerstörerisch ungerecht.



      "Chaos-Claus" hat meinen Respekt.

  • "Nicht einmal zu einem Inflationsausgleich bereit zu sein, zeugt nicht von einer ernsthaften Verhandlungsbereitschaft." Lese ich hier im Text von Herrn Beucker. Mal ganz ab vom Lockführersreik und als jemand der auch Gehaltsverhandlungen (allerdings auf der Arbeitgeberseite) führen musste. Derlei Argumente sind totaler Nonsens. Nirgends gibts ein Recht auf Inflationsausgleich.



    Preise bilden sich aus anderen Gründen und dann kann es eben zu Preissteigerungen kommen die konkrete Ursachen haben (neues innovatives Produkt was jeder haben will, oder auch Havarie von Ölpipelines usw). Das sollte auch für Gewerkschaften gelten. Bietet als Arbeitnehmer was an wovon der Betrieb oder die Kunden was haben. Das hat dann einen bestimmten Wert (qua Umsatzsteigerung / Gewinnnsteigerung) und davon gibts dann den monetäten Anteil der ausdiskutiert werden muss. Das normalste der Welt... oft nicht verstanden, bzw. verstehen wollen.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Udn wenn die Bahn das Hauptreisemittel sein wird wegen dem Klimawandel, kann eine Kleinst-Gewerkschaft eine ganze Industrienation zum erliegen bringen!

    Gut das ich noch ein Auto habe. Und in Zukunft dann halt Elektro!