Streamdingdienst Netflix in der Krise: Und nun zur Werbung
Netflix hat erstmals Kund:innen verloren. Auch an der Börse musste der Streamingdienst Federn lassen. Jetzt will er gegensteuern – mit drei Maßnahmen.
Bei einem expansionsgetriebenen Unternehmen, das permanent wachsen muss, sind die Folgen an der Börse verheerend. Ende Oktober 2021 war die Aktie noch knapp 700 Euro Wert, Mitte Mai 2022 liegt sie bei nur noch 188 Euro. Die Zeiten, in denen Netflix ständig wächst, Milliarden in eigene Inhalte steckt und dabei seinen Abonnent:innen niedrige Preise garantieren kann, sind vorbei.
Die Gründe für die Abwanderung von Abonnent:innen sind vielfältig, sagt der Geschäftsbericht. Menschen, die sich während der Pandemie angemeldet und ihr Abo mittlerweile wieder gekündigt haben, würden „das Gesamtbild verzerren“. Das schleppende Wirtschaftswachstum und der Krieg in der Ukraine seien Gründe für den Rückgang. Anfang März verlor Netflix über Nacht mehr als 700.000 Kund:innen, als sich das Unternehmen aus Russland zurückzog.
Auch der wachsende Konkurrenzkampf mit anderen Diensten wie Disney+ spiele eine Rolle. Doch die Abonnent:innenzahlen stagnierten bereits vor der Pandemie. Im Sommer 2019 sanken diese in den USA erstmals, der heimische Markt war bereits damals gesättigt. Nur in Asien kamen zuletzt noch neue Nutzer:innen hinzu. Für Netflix reicht das nicht, um profitabel zu bleiben.
Sharing ist nicht mehr caring
Um das dringend benötigte Wachstum wieder anzukurbeln, will Netflix bis Jahresende Werbung schalten. Damit geht es einen Schritt zurück in Richtung des klassischen Kabelfernsehens und entzieht den User:innen einen Teil des Erfolgsgeheimnisses von Streamingdiensten: die Kontrolle über das Seherlebnis. Um Kund:innen nicht zu verprellen, sollen die teureren Abomodelle, die bereits mehrere angemeldete Geräte und die beste Bildqualität ermöglichen, werbefrei bleiben.
Erst bei den günstigen Modellen soll Werbung geschaltet werden. Das soll für jene Nutzer:innen interessant sein, denen das bislang günstigste Abo in Höhe von 7,99 Euro pro Monat zu teuer ist und die sich eher berieseln lassen wollen. Mit einem durch Werbung finanziertes, noch günstigeres Modell könnten sie auf der Plattform gehalten werden oder neue Kund:innen hinzukommen.
Das sogenannte Account-Sharing soll künftig ebenfalls Geld und Abos einbringen. Der Begriff meint User:innen, die Netflix nutzen, ohne für ein Abo zu bezahlen. Anstatt diese auszusperren und damit an die Konkurrenz zu verlieren, wagt man ein Experiment. Seit März können Menschen in Costa Rica bei einem Konto für umgerechnet etwa zwei Euro zwei Unterkonten hinzufügen. Allein durch die von Netflix geschätzten 100 Millionen User:innen ohne Abo wären das viele neue Abonnent:innen auf dem Papier.
Netflix ist indes einer der letzten Streamingdienste, der Werbung schaltet. Hulu zeigt etwa seit 2015 Werbeblocks, die bis zu 90 Sekunden lang sind. Auch Disney+ wird dieses Jahr folgen, Amazon setzt mit Freevee auf einen rein werbefinanzierten Streamingdienst. Brancheninsider:innen vermuten, dass die Werbung auf Netflix aus einzelnen Clips bestehen werde. Durch Algorithmen und gesammelte Nutzer:innendaten könnte Netflix Produkte genau platzieren und von Werbekund:innen hohe Summen verlangen.
Neben dem klassischen Serien- und Filmstreaming will Netflix auch Games anbieten. Seit November 2021 gibt es mehrere Spiele, die im Abopreis in der App enthalten sind. Bislang hat Netflix drei Studios gekauft, die sich auf Mobile Games für Smartphones und Tablets spezialisiert haben. Theoretisch haben Games riesiges Potenzial für Netflix: Geschichten in verschiedenen Serien könnten dort weitergesponnen werden. Zusammen mit dem im Juni 2021 eröffneten Merchandise-Store könnte Netflix mehr Umsatz generieren und seine Marken im Game-Bereich platzieren. 50 Spiele sollen bis Jahresende im Katalog vorhanden sein.
Bislang sind das aber größtenteils nur belanglose Geschicklichkeitsspiele, die an klassische Mobile Games wie „Candy Crush“ erinnern. Kurioserweise finanzieren sich diese Spiele durch Werbung und Käufe mit Echtgeld. Womöglich schaltet Netflix ja auch bald in seinen Games Werbeanzeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“