Strategie von Putin und Vučić: Schluss mit Appeasement
Die EU steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Beschwichtigungspolitik gegenüber Serbiens Präsidenten. Die Achse Serbien–Russland ist stärker denn je.
V or einigen Wochen Woche hielt Serbiens Präsident Aleksandar Vučić eine Rede vor der UN-Generalversammlung, in der er seine historischen Sichtweisen offenlegte: „Die absolute Dominanz der westlichen, kapitalistischen Art der Produktion …“ hätte die Welt „westlichen hegemonialen Ideen“ unterworfen. Als Konsequenz hätte dies sowohl die UdSSR als auch Jugoslawien „zerstört“. Dies sei kein Zufall gewesen, sondern durch die „entscheidende Mitwirkung westlicher Nachrichtendienste“ erreicht worden.
Vučić bedient hiermit ein altes serbisches Narrativ, nach dem „der Westen“, „Genscher“, die CIA und/oder wahlweise der Vatikan Jugoslawien zerstört haben sollen. Nichts von alldem kann auch nur ansatzweise historisch belegt werden. Interessant sind aber nicht nur Vučić’ zeithistorische Einordnungen, sondern die offensichtliche Trauer über den Verlust der Sowjetunion. Genau diese Trauer teilt er mit seinem engen Freund, Wladimir Putin. Der mächtige autokratische Präsident des EU-„Beitrittskandidaten“ Serbien ließ vor der Weltgemeinschaft unverkennbar wissen, wie abgrundtief er EU und Nato verabscheut – ohne sie beim Namen zu nennen – und wie sehr er Russland zugeneigt ist.
Alexander Rhotert forscht als Politikwissenschaftler zum ehemaligen Jugoslawien seit 1991. Er war 20 Jahre unter anderem für die UN, die NATO, die OSZE, das OHR und die EU tätig, zumeist zur Friedensumsetzung auf dem Westbalkan. Als Oberstleutnant arbeitete er bis vor kurzem als Interkultureller Einsatzberater der Bundeswehr für Auslandseinsätze.
Tags zuvor hatte er dem russischen UN-Botschafter den serbischen Verdienstorden verliehen, weil Russland, zusammen mit Belarus, China und Nordkorea und anderen gegen die deutsch-ruandische Resolution votiert hatte, die den 11. Juli zum Gedenktag für die Opfer des Völkermordes von Srebrenica machte. Erwähnenswert: Weder Serbien noch das serbische Volk werden in dieser Resolution genannt.
EU-Beschwichtigungspolitik scheitert
Ende August besiegelten Vučić und Emmanuel Macron ein Abkommen zur Lieferung von 12 französischen Rafale-Kampfflugzeugen. Danach reiste Vučić’ Vizepremier Aleksandar Vulin – ein erklärter Stalin-Fan – nach Wladiwostok, wo er herzlichste Grüße seines Bosses an Putin überbrachte: „Wie Sie wissen, ist Serbien nicht nur ein strategischer Partner Russlands, sondern auch ein Alliierter Russlands. Deswegen wird sehr viel Druck auf Serbien ausgeübt. Trotzdem wird Serbien niemals Nato-Mitglied werden und wird niemals Sanktionen gegen die Russische Föderation erlassen … Serbien war niemals und wird niemals Teil antirussischer Hysterie sein.“
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Putin verfolgte Vulins Ehrerbietung mit Genugtuung und weiß, dass auf Belgrad Verlass ist. Die von Vulin überbrachte Botschaft symbolisiert ein abermaliges Scheitern der EU-Beschwichtigungspolitik. Statt dies zuzugeben, verteidigte EU-Sprecher Peter Stano Serbien sogar: „Es ist nicht wirklich klar, für wen Herr Vulin spricht, speziell in Moskau, wenn er dieses Zeug über Russland und Serbien sagt.“
Die Aussage Stanos zeigt, dass die EU nichts aus den Debakeln der 1990er Jahre im Zuge der serbischen Aggressionen gelernt hat. Die nötige Krisenprävention durch Eindämmung Belgrads ist nicht existent. Brüssel wiederholt die Fehler, die es damals machte, als es gebetsmühlenartig hieß, man müsse den Aggressor, Serbiens Präsident Slobodan Milošević, und die Serben „ins Boot holen“. Brüssel, Berlin und Paris ignorieren, dass Serbien belegbar seine Nachbarn Bosnien und Herzegowina und Kosovo durch territoriale Ansprüche bedroht und seine Beziehungen zu Russland ausbaut. Die Präsidenten Bosniens und Kosovos, Denis Bećirović und Vjosa Osmani, warnten dieser Tage vor neuen serbischen Aggressionen gegen ihre Länder.
Serbien rückt der EU nicht näher
Niemand in Brüssel will zugeben, wie stark sich die Achse Moskau–Belgrad entwickelt hat. Hilflos wird versucht, den EU-„Beitrittskandidaten“ Serbien an sich zu binden, indem Milliarden Euro unkonditioniert verteilt werden. Trotz großer Demokratiedefizite und einer Ablehnungsquote des EU-Beitritts von 65 Prozent der Bevölkerung. Berlin fädelte im Juli – also exakt 33 Jahre nach dem Angriff Serbiens auf Kroatien – einen milliardenschweren Deal zur Ausbeute serbischen Lithiums für die EU ein. Dies, so das Kalkül im Kanzleramt, würde Serbien der EU näher bringen. Weit gefehlt, denn die angemahnten Sanktionen gegen Russland werden ignoriert.
Die militärische Zusammenarbeit mit Putins Regime wird verstärkt: Das russische Außenministerium gab gerade bekannt, dass durch Serbiens Kauf russischer Rüstungsgüter sich die „militärische und technische Kooperation“… „überaus dynamisch entwickelt“. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow warnte, dass „die Serben in Serbien und in der Republika Srpska“ eine „schwere Zeit“ hätten, sich deren Lage verschlechtere. Eine Abspaltung der Republika Srpska aber könnte einen neuen Krieg auslösen. Ein zweiter potenzieller Kriegsschauplatz wird von Belgrad immer wieder ins Spiel gebracht: Kosovo. Die dort lebenden Serben würden durch die Regierung in Prishtina unterdrückt, es gäbe „ethnische Säuberungen“. Solche Rhetorik wurde Ende der 1980er Jahre von Vučić’ Mentor Milošević gebraucht, um die Bevölkerung auf die Aggressionskriege vorzubereiten.
Vučić hat eine Reihe früherer Milošević-Gefährten wieder in Amt und Würden gebracht, um das damals gescheiterte großserbische Projekt zu vollenden. Um Brüssel so richtig vorzuführen, sagte Vulin in einem Interview: „Serbien und Russland sind strategische Partner und nichts kann dies ändern.
Obwohl Washington halbherzig gegen die großserbischen Pläne vorgeht, gäbe es ohne die Interventionen in Kosovo durch US-Außenminister Antony Blinken im Oktober 2023 und in Bosnien im August dieses Jahres durch CIA-Direktor William Burns wahrscheinlich nun drei Kriege in Europa. Wenn die EU nicht erneut Schiffbruch auf dem Balkan erleiden will, sollte sie aus der gescheiterten Appeasement-Politik der 1990er Jahre Lehren ziehen. Im Februar warnte Verteidigungsminister Boris Pistorius Vučić in Belgrad, dass „man nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen“ könne. Wer sich den Fakten der letzten Wochen nicht verschließt, sieht, dass Belgrad auf der Hochzeit in Moskau tanzt. Mit Brüssels finanzieller Unterstützung und heimlicher Zustimmung.
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