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Stolperstart der schwarz-roten KoalitionEine links-grüne Blockade würde nur der AfD nützen

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Die Merz-Regierung wird weiter auf Grüne und Linke angewiesen sein. Sie müssen die Chance strategisch nutzen, ohne sich erpressen zu lassen.

Auf Grüne und Linke angewiesen: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, re.) und Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) Foto: Lisi Niesner/reuters

D ie neue schwarz-rote Koalition hat ein großes Interesse daran, ihren verstolperten Start der Kanzlerwahl vergessen zu machen. Doch der Gefallen, den Grüne und Linke Friedrich Merz, seiner Union und der SPD getan haben, war dafür viel zu bemerkenswert: Indem die beiden kleinen Oppositionsfraktionen einen zweiten Wahlgang am selben Tag ermöglichten, haben sie eine grauenvolle Blamage verhindert und dafür gesorgt, dass Merz seine symbolträchtigen Reisen nach Paris und Warschau antreten konnte.

Damit könnte der Ton für ein Leitmotiv der Legislaturperiode gesetzt worden sein. Schon die Aufweichung der Schuldenbremse Mitte März funktionierte nur dank der Grünen. Nun brauchten Union und SPD für das Prozedere des Kanzlerwahltags auch noch die Stimmen der Linksfraktion. CDU und CSU haben damit endlich ihr albernes Kooperationsverbot mit der Linkspartei abgeräumt. Und: Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die kleine Koalition auf Grüne und Linke angewiesen ist, damit die AfD außen vor bleibt. Ja, diese wird das für ihre Wir-gegen-alle-anderen-Erzählung nutzen. Ebendas ist das Dilemma, in das die Rechtsex­tremen die De­mo­kra­t*in­nen weltweit gestürzt haben.

Grüne und insbesondere die Linke lassen sich damit auf eine Form der Zusammenarbeit ein, die sich anfühlen wird wie das eher von der Sozialdemokratie sattsam bekannte, zähneknirschende Mitmachen um des großen Ganzen willen. Das spiegelt einen unter außerparlamentarischen Linken weitverbreiteten und zugleich widersprüchlichen Impuls: Als am Dienstag zunächst unklar blieb, wie es nach dem verpatzten ersten Wahlgang weitergehen würde, waren viele von sich selbst verblüfft – denn statt Schadenfreude verspürten sie eher Entsetzen darüber, dass die neue Koalition einen Fehlstart hingelegt hatte.

Jetzt muss man diesem Kanzler und seinen Leuten, die jüngst mangels eigener Ideen vor allem gegen links und grün gepöbelt haben, auch noch einen reibungslosen Geschäftsbetrieb wünschen? Diesen Leuten, die stets behauptet hatten, Ordnung und Disziplin für sich gepachtet zu haben – und nun bei den simpelsten Beschlüssen ihre Truppen nicht beisammenhaben?

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Es braucht alle De­mo­kra­t*in­nen

Doch genau so sieht es aus. Merz, Klingbeil und ihr Hühnerhaufen brauchen Hilfestellung aus dem linken Spektrum, um das Chaos zu vermeiden, das aktuell nur der AfD nützt. Dabei geht es nicht nur um Geschäftsordnungen. Grüne und Linke sollten sich jedoch nicht erpressen lassen – so, wie es sich in der Rhetorik des neuen Unions­frak­tions­chefs Jens Spahn andeutet, Motto: Macht ihr nicht mit, müssen wir halt mit der AfD arbeiten.

Denn die Geschichte funktioniert natürlich nur andersherum: Wenn diese Koalition den Aufstieg des nächsten Faschismus bekämpfen will, braucht sie dafür alle De­mo­kra­t*in­nen – linke, grüne, andere. Und die können dafür auch Forderungen stellen, vernünftige Forderungen: für Klimaschutz, für sozialen Schutz, für demokratischen Zusammenhalt – zum Beispiel.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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13 Kommentare

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  • Ein Schneider fing 'ne Maus, Akademische Festouvertüre -



    (Johannes Brahms)



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    Was nützt der AfD? Was nützt der AfD?



    Egal, was jemand tut in D - Es nützt der AfD.



    Und wenn mensch etwas fragt -



    Und wenn mensch etwas sagt -



    Und wenn Mensch wieder einmal klagt - Es nützt der AfD"



    Ob CDU, ob SPD - Es nützt der AfD



    Linksgrün scheißt sich selbst in den Zeh.



    Das nützt der AfD.

  • Es gibt ja auch Gegenleistungen für die Grünen z.B. die Aussage von Frau Reich das Kernkraft entgültig Tod ist in Deutschland.

  • Auch bei diesem Artikel öffnet sich teilweise ein Zwiespalt, wenn man eher linker ist. Ja es ist gut die parlamentarische Demokratie zu schützen. Nur scheint man sich mit der AfD mittlerweile daran gewöhnt zu haben, dass Konsens im Parlamentarismus der einzige Weg zu sein scheint. Da gibt es aber tatsächlich noch andere Wege bzw. sollte es sie geben. Vor allem muss man sich bei Merz besonders fragen wie hoch der Nutzen ist "um jeden Preis mit ihm zusammenzuarbeiten". Denn wenn die Linke sich auf zu starke Sozialkürzungen einlässt die Merz fordert, hilft sie auch wieder der AfD umso stärke an die Macht zu kommen! Es braucht also auch andere Wege: Es braucht eine zivilgesellschaftliche und gegen rechts gerichtete Bewegung auf der Straße und Widerstand in den Institutionen. Und vor allem muss sich die demokratische Kultur, der BRD ändern, dass auch mal gestritten wird und auch mal keine Regierung zustande kommt (was Staaten wie Belgien schon lange kennen und trotzdem gut funktionieren). Denn nur so kann man für gute und progressive Sozialpolitik ohne "faule Kompromisse" kämpfen. Unter Merz wird es aber leider nur faule Kompromisse in der Sozialpolitik geben.

  • Interessant wie " wahre Demokraten " aus SPD & CDU ihre " private " Zeit verbringen...



    ARD Kontraste vom 08.05.2025 ab Min. 10.45 - Stichwort Petersburger Dialog







    Gleich nach dem Beitrag zu aktuellen Einblicken in der Sendung zu aktiven rechtsextremistischen Entwicklungen in Jugendorganisationen. Auch zu empfehlen.

  • Da soll die Linke die AfD-isierung von Politik und Gesellschaft ausgerechnet dadurch begegnen, indem sie einer sogenannten demokratischen Mitte die Hand reicht, die die AfD halbieren wollte, in dem sie deren Positionen übernimmt? Um die Brandmauer abzubauen oder nach rechts zu verschieben? Um an der Macht zu partizipieren?

    Wozu solche Selbstnivellierung führt, lässt sich nun schon historisch bei SPD und Grünen beobachten. Die SPD hat den Sozialismus fallen gelassen und für eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft hat sie keinen Beitrag geleistet. Die Grünen haben gezeigt, dass sie Forderungen nach mehr Demokratie, Friedenspolitik, Umweltschutz usw. im Regierungsamt zu Gunsten eines Weiter-so mit Sicherheit und Wohlstand für Deutschland hintenanstellt.

    Blockieren kann die Linke im neuen Bundestag die Regierungspolitik ohnehin nicht. Nur wenn eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, wird ihre Zustimmung vielleicht benötigt. Die gäbe es aber auch mit Stimme aus der AfD.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Es muss eine linke Opposition geben, die diesen Namen verdient. Faule Kompromisse haben die AfD stark gemacht, die Umwelt tot geschwiegen und die Gesellschaft atomisiert. Und, glauben wir Frau Winkelmann, lautet die Lösung: "Weiter so!" Der Kampfruf der Verzagten.

  • Alles richtig und wichtig, dass die Grünen und vor allem auch die Linke eine gewisse Stimme im Parlament haben.



    Allerdings müssen beide Parteien aufpassen, nicht zur neuen FDP von Schwarz-Rot zu werden.



    Den Ausdruck Hühnerhaufen finde ich auch etwas übertrieben.



    Denn bei all der Häme die Merz nach dem ersten Wahlgang erfahren musste, darf nicht vergessen werden, dass die Mehrheiten der Regierungsparteien nun mal nicht mehr so komfortabel sind wie früher.

    Also sollten alle demokratischen Parteien, auch wenn die Linke und CDU/CSU manchmal über ihren Schatten springen müssen, gemeinsam die AFD im Parlament bekämpfen.

  • Danke für diesen sehr weitsichtigen Artikel!

  • Man kann wirklich nur hoffen, dass die Koalition nicht nur Mehrheiten organisiert bekommt, sondern auch irgendwann in der Realität ankommt – also dort, wo Menschen tagtäglich mit komplizierten Formularen, Regelungen und Zuständigkeiten kämpfen.

    Es ist schon fast ironisch, dass über 50 Abgeordnete für eine Kanzlerwahl fehlen, während gleichzeitig der kleinste steuerliche Formfehler – z. B. bei einem simplen Restaurantbeleg für ein Geschäftsessen – zu Diskussionen mit dem Finanzamt führen kann. Wer sich mal durch diesen Dschungel wühlen will, bekommt hier einen Eindruck, wie absurd kleinteilig es zugehen kann: bewirtungsbeleg.ne...sbeleg-restaurant/.

    Es braucht wirklich nicht nur politische Mehrheiten, sondern auch einen Plan für mehr Klarheit – in Gesetzen, Verwaltung und Alltag.

  • Oje, kaum in Fraktionsstärke im Parlament vertreten, droht die Linke zu verbürgerlichen. Und in der taz wird das als Erfolg verkauft. Es gibt offensichtlich unzufriedene Abgeordnete in den Regierungsfraktionen. Und anstatt die Potentaten in spe nach Hause zu schicken und zu zwingen, dies parteiintern aufzuarbeiten, wurde jeglicher Diskurs durch den schnellen zweiten Wahlgang im Keim erstickt. Die Unionsfraktion schüchterte mögliche Abweichler*innen in den eigenen Reihen sogar durch Standing Ovations ein, statt ehrlich zu fragen, was die Gründe für diese Blamage waren. Die Abweichler bleiben nun weiter anonym, der Konflikt damit nicht gelöst. Entgegen der Meinung der Kommentatorin ist diese Situation sogar viel förderlicher für die AfD, als eine größere Beschädigung von Merz durch eine spätere Wahl - oder eben die Wahl eines anderen. Denn die Abweichler haben Merz gezeigt, wo der Hammer hängt, und während seiner Kanzlerschaft drohen nun Mehrheiten mit der AfD oder Neuwahlen. Dabei bräuchten wir gerade jetzt eine stabile Regierung.

  • Auch in diesem Kommentar wird wieder der Fehler begangen, der der AfD den Aufstieg beschert hat und weiter beschert:

    Das Denken in Parteien.

    Welche Partei soll mit welcher anderen zusammenarbeiten? Wer bekommt was dafür? Welcher Partei nützt oder schadet das?

    Stattdessen müsste immer von den Wählern aus gedacht werden. Welche Wähler sind zufrieden? Welche sind unzufrieden? Welche sind so unzufrieden und seit so langer Zeit unzufrieden, dass sie bereit sind, extreme Parteien zu wählen? Was muss gemacht werden, damit höchstens 10% der Menschen so unzufrieden sind, dass sie bereit sind, extreme Parteien zu wählen?



    Dann stellt man fest, dass nicht die Migration das größte Problem ist. Das glaubt man nur, wenn man von der Partei AfD her denkt. Sondern weil das Leben für immer mehr Menschen immer härter wird, wegen zu hoher Mieten, zu teurer Lebensmittel, zu teurer Energie, etc. Die AfD versteht es nur sehr gut, Migranten für all das als Sündenbock zu präsentieren.



    Und das Problem war auch nicht in 1. Linie das Chaos. Eine Regierung, die ganz unchaotisch genauso unsoziale Politik macht wie die letzte, wird der AfD fast genauso viele Wähler in die Arme treiben.

  • „Eine grauenvolle Blamage“? Für wen? Für Merz. Nicht auszudenken die „symbolträchtigen Reisen nach Paris und Warschau“ wären verschoben worden… lieb Vaterland, stets wachsam sein!

  • Schafft zwei, drei, viele Merz-Unterstützungen!