Stichwahlen in Frankreich: Macrons taktisches Dilemma
Im entscheidenden Durchgang der Parlamentswahlen stehen sich oft zwei Kandidat*innen gegenüber. Das bringt das Macron-Lager in eine Zwickmühle.
Das ist die Konsequenz eines Wahlsystems, das die Sitze nicht nach den prozentualen Ergebnissen von Listen zuteilt. In wenigen Fällen haben sich Drittplatzierte von Nupes freiwillig zurückgezogen, damit nicht die extreme Rechte das Rennen macht.
Vor einem Dilemma steht nun Macrons politische Allianz Ensemble, wenn in den Wahlduellen Vertreter*innen der Nupes gegen die extreme Rechte von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) antreten. Wie soll da die Wahlempfehlung für die Finalrunden ohne eigene Bewerber*innen lauten?
Für die bürgerliche Rechte ist da die Sache klar: Sie empfiehlt ihren Anhänger*innen, gar nicht zwischen „Extremisten“ von links und rechts zu wählen. Doch für die Macronisten, die sich politisch in der Mitte und sowohl links wie rechts situieren, wird die Antwort auf die taktische Frage der Wahlparole schon komplizierter.
Sollen sie generell oder nur von Fall zu Fall die linke Nupes, eine Allianz von Sozialisten, Kommunisten und Grünen mit Jean-Luc- Mélenchons France insoumise (LFI), gegen das rechtsextreme RN unterstützen? Oder sich für neutral erklären und die Wahl den Bürger*innen überlassen oder empfehlen, einen leeren Wahlzettel in die Urne einzulegen?
Macrons Mehrheit wackelt
Da für den Staatspräsidenten bei diesen Wahlen die Linke eindeutig der Hauptgegner ist, fällt es seiner Allianz erst recht schwer, der an die Macht drängenden Nupes irgendeinen Vorzug zu geben – oder sie für weniger gefährlich zu erklären als Marine Le Pens Kandidat*innen.
Wie sehr der Präsident selbst beunruhigt ist, belegt sein Appell auf seiner Reise nach Rumänien und Moldawien in den vergangenen Tagen. Vor dem Abflug ersuchte er seine Landsleute, ihm „im höheren Interesse der Nation“ am Sonntag eine „klare und solide Mehrheit“ zu geben. Diese benötige er, um seine Reformen zu verwirklichen, seine Außenpolitik fortzusetzen und den Einfluss Frankreichs in der Welt geltend zu machen.
Bei einer Nupes-Wahlveranstaltung in Toulouse am Dienstagabend höhnte Jean-Luc Mélenchon, der selbst nicht für einen Abgeordnetensitz antritt: Ob Macron nun jedes Mal einen solchen „Sketch auf der Landepiste“ vorhabe? Doch seine eigene Linie ist kaum klarer. In den 108 Wahlkreisen, in denen die Nupes ausgeschieden ist, lautet die Devise der Wahlunion lediglich: „Keine Stimme für die extreme Rechte.“
Genau das hatte Mélenchon auch für die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen gesagt, an der er als Drittplatzierter nicht teilnehmen konnte. In sieben Fällen allerdings empfiehlt die Nupes explizit, Kandidat*innen der bisherigen Regierungsmehrheit zum Sieg über den RN zu verhelfen.
Ende der „republikanischen Front“?
Lange gab es in Frankreich die stillschweigende Regel der „republikanischen Front“, um eine Wahl von Leuten der Le-Pen-Partei zu verhindern. Damit sollte verhindert werden, dass die Politiker*innen einer rassistischen Rechten die Legitimität einer parlamentarischen Vertretung erhalten. Die linken Parteien haben diese Regel konsequent respektiert.
Nach einigem Hin und Her will sich nun Macrons Allianz Ensemble grundsätzlich an diese Tradition halten, und ihre Wähler*innen auffordern, keine RN-Leute zu wählen. Ebenso wenig aber komme es in Frage, Nupes-Kandidat*innen den Vorzug zu geben, wenn diese „die Werte der Republik nicht respektieren, die Polizisten beschimpfen, die Ukraine nicht unterstützen oder aus Europa austreten wollen“. So wenigstens versuchte Premierministerin Elisabeth Borne eine Trennlinie zu definieren. Wer damit nicht zufrieden ist, muss selbst entscheiden.
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