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Steinmeiers SelbstkritikBlicke nie zurück

Bundespräsident Steinmeier gibt Fehler in seiner Russlandpolitik zu. Ein ungewöhnliches Eingeständnis. Selbstkritik ist im Politikbetrieb selten.

Er habe sich geirrt, sagte Steinmeier im ZDF-“Morgenmagazin“ am Dienstag Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Bundeswehr war 20 Jahre lang in Afghanistan. Der Einsatz endete mit dem Sieg der Taliban. 2001 war die politische Klasse, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, felsenfest überzeugt gewesen, dass man Militär nach Afghanistan schicken musste. Als die Bundeswehr abzog, gab es keinen verantwortlichen Politiker, der bekannte, man habe sich 2001 geirrt.

PolitikerInnen folgen meist der Doktrin: Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Auch intellektuell begabte PolitikerInnen meiden den kritischen Rückblick, bei dem es offenbar nichts zu gewinnen gibt. Die Geringschätzung des Fehlers ist ein erstaunliches Alleinstellungsmerkmal des politischen Betriebes. Im modernen Management und in Konzernzentralen ist Fehlerkultur State of the Art. In komplexen, offenen Prozessen, die nie gänzlich vorhersehbar und steuerbar sind, sind Fehleinschätzungen unvermeidlich. Kompetent ist daher, wer Fehler erkennt und korrigiert – und nicht, wer dem Publikum vorgaukelt, Fehler würden nur Dummen passieren.

Selbstkritik ist in der Politik zwar kein striktes Tabu mehr, aber doch selten. Angela Merkel entschuldigte sich mal für eine unbrauchbare Coronamaßnahme. Robert Habeck, der eine gewisse Kunstfertigkeit darin entwickelt hat, eigene Zweifel in politisches Kapital zu verwandeln, redet einer „lernenden Politik“ das Wort, die Irrtümer einschließt.

Doch der Unwille, oder sogar die Unfähigkeit Rechenschaft über vergangene Irrtümer abzulegen, gehört noch immer zur habituellen Innenausstattung der Macht. Das für einen moralischen Defekt von PolitikerInnen zu halten, ist allzu kurz gedacht. Die politische Auf­merk­sam­keits­ökonomie, zu der wir, das Publikum, gehören, belohnt selbstkritische Reflexionen wenig. Wer Fehler zugibt, dem trauen wir für die Zukunft nicht mehr so recht über den Weg. Die öffentliche Meinung ist ein Säurebad. Und wer sich öffentlich korrigieren muss, steht schnell in dem Ruf, unfähig zu sein. Aus Fehlern werden in der atemlosen Rhetorik des politischen Tagesgeschäfts schnell Desaster, Katastrophen – und somit Unverzeihliches.

Banales Eingeständnis

PolitikerInnen stecken in einer unschönen Doublebind-Situation. Sie sollen aufrichtig und, bitte schön, selbstkritisch sein – aber wenn sie es sind, nimmt es das Publikum schnell übel. Ganz Raffinierte wie Jens Spahn haben angesichts dieser Falle die Vorabentschuldigung erfunden: Man werde sich am Ende viel verzeihen müssen, kündigte Spahn zu Beginn der Pandemie an. Genutzt hat ihm das am Ende allerdings auch nichts.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nun bekannt, fälschlicherweise zu lange an der Gaspipeline Nord Stream 2 festgehalten zu haben. Er habe „sich geirrt“ und nicht für möglich gehalten, dass Putin „den Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde“.

Diese Selbsterkenntnis klingt etwas banal. Derzeit glaubt nur noch die AfD an Nord Stream 2. Es ist fast in der gesamten EU Konsens, dass man, so schnell es eben geht, keine Energie mehr aus Russland kaufen wird.

Hartnäckiger Irrtum

Steinmeiers Selbstkritik spiegelt also nur das Offensichtliche wider. Angesichts der Fotos, die ihn vertraulich mit Putin und Außenminister Lawrow zeigen, folgt sie einem politischen Opportunitätskalkül. Selbstkritik von PolitikerInnen ist fast immer auch der Versuch, ein Ventil zu öffnen, um Druck aus dem Kessel zu lassen.

Der Bundespräsident steht qua Job zudem über dem machtpolitischen Alltagsgerangel. Er muss keine Listenaufstellung und innerparteiliche Konkurrenz fürchten, die ihm Fehler, die er ja selbst zugegeben hat, bei passender Gelegenheit unter die Nase reibt.

Macht Steinmeier sich also nur einen schlanken Fuß, bringt sich billig aus der Schusslinie, hoffend, dass Selbstkritik gegen Kritik imprägniert? Dieser Verdacht ist naheliegend, aber vorschnell. Er ignoriert, dass, wer Irrtümer eingesteht, erst mal ungeschützt im Offenen steht und immer ein schwer abschätzbares Risiko eingeht. Angela Merkels dürrer Satz, sie stehe zum Nein zum Nato-Beitritt der Ukraine von 2008, erklärt hingegen nichts. Ein Satz, das ist ein unguter Mittelweg zwischen Schweigen und Begründen.

Steinmeiers Selbstkritik ist vor allem ungewöhnlich. Vielleicht sollten wir, die Öffentlichkeit, generöser mit Selbstkritik umgehen. Denn die fehlerfreien PolitikerInnen sind ein Bild, an das ja kaum jemand glaubt, das aber gleichwohl enorm zählebig ist. Von Steinmeier würde man hingegen gern mehr erfahren. Nicht nur, dass er sich in Putin getäuscht hat, sondern auch, warum dieser Irrtum so hartnäckig war.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die selbstkritische Haltung des amtierenden Bundespräsidenten hebt ihn zweifelsohne aus der Masse durchschnittlicher Politiker heraus. Noch mehr Achtung erführe der Rotarier durch Rückzug ins Privatleben und angemessen zeitnahen Rücktritt zu Gunsten einer Frau Bundespräsidentin, bevor das Ansehen des Amtes noch ernsthafter und nachhaltig beschädigt wird.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Blicke nie zurück“ - sonst siehst Du, wer hinter Dir steht.

  • Steinmeier ist und bleibt eine würdige Besetzung des überflüssigen Amts des Bundespräsidenten.

    Wie wäre es mit der öffentlichen Bitte um Entschuldigung bei Murat Kurnaz?

    www.faz.net/aktuel...olen-14872950.html

  • Ehrlich, spontane und offene Selbstkritisch hat Frau Bundesverteidigungsministerin a.D. A.Kamp-Karrenbauer am 24.Februar auf Twitter geübt: "Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet haben, was Putin wirklich abgeschreckt hätte."

    Die Ausführungen unseres Bundespräsidenten Herrn Steinmeier sehen da eher nach Schadensbegrenzung in letzter Minute aus. Ich finde er sollte zurücktreten. Eine nächste Weihnachtsansprache von ihm finde ich schwer vorstellbar.

    Sehr erhellend das Interview mit Werner Schluz (Bündnis 90 / Grüne) heute im Deutschlandfunk der klar darlegt, dass der Putin von 2001 keineswegs ein völlig anderer was als heute. Hätten doch so klar sehende Leute wie Werner Schulz mehr Einfluss gehabt.

  • Liggers.

    “ Steinmeiers Selbstkritik ist vor allem ungewöhnlich. Vielleicht sollten wir, die Öffentlichkeit, generöser mit Selbstkritik umgehen. Denn die fehlerfreien PolitikerInnen sind ein Bild, an das ja kaum jemand glaubt, das aber gleichwohl enorm zählebig ist. Von Steinmeier würde man hingegen gern mehr erfahren. Nicht nur, dass er sich in Putin getäuscht hat, sondern auch, warum dieser Irrtum so hartnäckig war.“



    & Lovando



    ” „Wir sind gescheitert“



    Booey. Das ich das noch bileben darf.

    Friedrich Küppersbusch & Frank-Walter Steinmeier 2.x-van Bellevue -

    Einer MeinungGellewelle&Wollnichwoll

    Liggers. Auch wennse nicht beide dasselbe meinen - egal! Streich ich rot im Kalender an. In echt.



    unterm—- & btw but not only —

    Ja & Wenn der Seminarjungspund sich dann noch endlich für - fünf Jahre anlaß&rechtsgrundlos Guantanamo bei Murat Kurnaz - öffentlich entschuldigt!

    Dann daerfer auch wieder bei mir auffem 🚽 Wassertrinken kommen •

    (btw über Kriegsstrafrecht machenmer dann aber gleich nochn Faß auf!Gelle!;(“ - entre nous but not only => dann gibt’s nochmal warme Ohren für den exAssi von Helmut Ridder (Uni Gießen) •

    kurz - “Der kann alles“=>Brigitte Zypries diente Frank-Walter - GazPromGerd an!

    So geht das © Kurt Vonnegut



    “ Sei vorsichtig, was du vorgibst zu sein, denn du bist, was du vorgibst zu sein.“



    Eben

    • @Lowandorder:

      Sorry &! die Quellen -



      “ Putin, die Diplomatie und Pazifismus



      : Wir sind gescheitert



      Der Westen war zu naiv. Russland kann noch mit China umrubeln. Und: In Kölns Innenstadt geht an Karneval gar nichts.



      taz.de/Putin-die-D...K%C3%BCppersbusch/



      &



      “ Steinmeier: Fehleinschätzungen in der Russland-Politik“ (Überschrift geändert!)



      taz.de/-Nachrichte...nekrieg-/!5845905/

  • "Nicht nur, dass er sich in Putin getäuscht hat, sondern auch, warum dieser Irrtum so hartnäckig war." Es handelt sich nicht um Irrtum, sondern um Komplizenschaft. Als Geheimdienstkoordinator war er Komplize Putins in Tschetschenien.



    Völkermordklage gegen den BND taz.de/Voelkermord...-den-BND/!1237696/



    Wieso war Steinmeier so lange Komplize? Weil er instinktloser Technokrat durch und durch ist.

  • Ausgerechnet Steinmeier! Kaum jemand ist weniger glaubwürdig. Was er jetzt gesagt hat ist ja auch noch nicht mal Selbstkritik. Sein "habe mich geirrt" ist nichts wert. "Habe mich irren wollen", das wäre Selbstkritik, das wäre von Wert für die Zukunft. So wie jetzt ist Steinmeiers kleine Vorwärtsverteidigung nur ein besseres Achselzucken. Warnungen gab es genug, Steinmeier und Merkel wollten sie nicht hören, nicht nur aus dem Irrtum heraus, gegenseitige Abhängigkeit wäre ein Kontrollgewinn, sondern auch aus politischem Eigennutz. Nordstream 2 wurde gegen die europäischen Partner gebaut und auch noch ganz bewusst für den Fall, das die Versorgung über die Ukraine unsicher werden könnte. Kaum war die neue Pipeline fertig, begann der Krieg. Steinmeier will all das entgangen sein? Lächerlich!

  • .....sondern auch, warum dieser Irrtum so hartnäckig war.

    Diesen letzten Satz finde ich wichtig. Wie die Antwort da wohl ausfallen würde?

  • Großartig (für mich!), weil der Artikel genau meine Meinung formuliert (wie ich es nicht geschafft hätte).



    Danke!

  • Meint Steinmeier, mit der Selbstktitik zu Russland ist es getan? Auch in Syrien war seine Rolle als Vertreter derdeutschen Appeasementpoltik, zusammen mit Obamas nicht respektierten roten Linien, alles andere als rühmlich. Er ist der Vertreter des AA, das mit seiner Geschichte als weltweite Handeksertretung u.a. auch zu Millionen von Flüchtlingen und Tausenden von Toten geführt hat. Er sollte ganz einfach konsequent sein und zurücktreten. Seine pastorale Schwurbelei werde ich nicht vermissen.