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Steigende Preise von Gas und StromTeurer Billigstrom

Die Energiepreise ziehen kräftig an, viele Versorger stellen sogar die Lieferung ein. Für Verbraucher bedeutet das saftige Aufschläge.

Alles leuchtet – derzeit nicht ganz billig Foto: Gottfried Czepluch/imago

Berlin taz | Die rapide gestiegenen Preise von Erdgas und Strom im europäischen Großhandel haben für Verbraucher bislang nicht gekannte Folgen: Wenn Versorger Verträge kündigen, bekommen die Haushalte oft keinen Anschlussvertrag mehr mit vergleichbaren Konditionen. Einige Anbieter haben den Abschluss von Verträgen mit Neukunden derzeit grundsätzlich eingestellt, andere erheben von Neukunden oft einen saftigen Aufschlag im Vergleich zu Bestandskunden. Die örtlichen Grundversorger, die verpflichtet sind, jeden Kunden zu versorgen, sind ohnehin oft teurer.

Mindestens 38 Stromversorger haben ihre Lieferverträge gekündigt

Hunderttausende Haushalte dürften betroffen sein, weil bis Jahresende laut Bundesnetzagentur deutschlandweit mindestens 38 Stromversorger ihre Lieferverträge gekündigt haben. Ähnliches ist auf dem Gasmarkt geschehen. Die Unternehmen hatten sich offenbar nicht ausreichend gegen steigende Großhandelspreise abgesichert – also schlicht verspekuliert. Damit stellen sich für Kunden interessante Fragen. Etwa diese: Haben sie einen Schadensersatzanspruch gegen den bisherigen Lieferanten, wenn dieser einen noch laufenden Vertrag einseitig kündigt?

Die Verbraucherzentrale NRW hat diese Frage am Beispiel des Gasversorgers gas.de durchgespielt, der im Dezember seine Lieferung aufgrund „einer nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen“ einstellte. Nach Auffassung der Verbraucherschützer existiert allerdings „keine Rechtsgrundlage für die Kündigung der Lieferverträge“. Schadensersatzforderungen gegenüber gas.de seien daher angemessen, weshalb die Verbraucherzentrale dazu Musterbriefe vorbereitet hat.

Auch Leonora Holling vom Bund der Energieverbraucher rät, sofern eine außergerichtliche Einigung nicht gelingt, zur Klage: „Rechtswidrige Kündigungen dürfen nicht Schule machen“. Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, die Regierung beobachte die Entwicklung und prüfe, ob weiterer Handlungsbedarf besteht. Im Fall von Insolvenzen, die es auch schon gab, ist allerdings ohnehin fraglich, ob es noch was zu holen gibt.

Grundversorger muss einspringen

Im Dunkeln und in der Kälte muss niemand sitzen, wenn sein Strom- oder Gasversorger kündigt. Denn dann muss laut Gesetz der Grundversorger einspringen. Das ist jenes Unternehmen, das im betreffenden Netzgebiet die meisten Haushalte beliefert – also in der Regel der einstige Monopolist vor Ort. Kunden in der Grundversorgung sind zum einen jene Haushalte, die – oft aus Bequemlichkeit – keinen anderen Vertrag abgeschlossen haben, oder eben solche, die aufgrund des Wegfalls eines anderen Versorgers in diesen Tarif zurück fallen.

Dass die Tarife der Grundversorgung teurer sind als die Angebote der anderen Anbieter, liegt auf der Hand. Denn: Grundversorger tragen ein höheres Risiko, weil sie zum Beispiel auch Kunden mit schlechter Bonität beliefern müssen, die kein anderer Anbieter mehr nimmt.

Derzeit kommt aber eine Frage auf, die sich bisher nie gestellt hatte: Ist es rechtmäßig, dass Grundversorger von Neukunden höhere Preise verlangen als von Bestandskunden? Nachvollziehbar wäre das, denn für ihre Bestandskunden konnten die Unternehmen frühzeitig Strom beschaffen, für Neukunden hingegen müssen sie aktuell die erforderlichen Mengen teuer nachkaufen. Die Verbraucherzentrale NRW berichtet von Fällen, in denen Neukunden in der Grundversorgung derzeit mehr als doppelt so viel bezahlen wie Bestandskunden.

Auffangversorgung für alle gleich?

Die Branchenvereinigung BDEW betont, in der Strom- und Gasgrundversorgung seien grundsätzlich mehrere Tarife zulässig – wobei der Verband sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2011 stützt. Der Bund der Energieverbraucher sieht das anders. Diese Praxis sei „nicht rechtmäßig“, die Grundversorgung solle „als Auffangversorgung allen gleich zur Verfügung stehen“, sagt Verbraucherschützerin Holling.

Wesentliche Rechtsgrundlage der Preisfestsetzung in der Grundversorgung ist das Bürgerliche Gesetzbuch (Paragraf 315), das regelt, dass die Tarife der „Billigkeit“ entsprechen, also angemessen sein müssen. Derzeit ist es für die Anbieter aber leicht, hohe Preise für Neukunden zu begründen: Versorger, die vor einem Jahr an der Strombörse ihren Bedarf für das Jahr 2022 deckten, bezahlten rund 5 Cent je Kilowattstunde. Wer aktuell Kilowattstunden nachkaufen muss, zahlt zeitweise weit mehr als 20 Cent.

Geben die Versorger diese Einkaufspreise an ihre Neukunden weiter, kostet die Kilowattstunde Haushaltsstrom dann rund 50 statt bisher 30 Cent. Das beschert manchem Kunden gerade die bittere Erkenntnis, dass ein scheinbar billiger Energieversorger, wenn er in die Knie geht, am Ende ganz schön teuer werden kann.

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18 Kommentare

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  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    ".....viele Versorger stellen sogar die Lieferung ein. "

    Mir scheint, eine staatliche Energieversorung, bzw. ein Versorger im Besitz eines Bundeslandes wäre dringend notwendig. Leider ist der Kuchen längst verteilt. Dummheit findet halt immer wieder einen Weg.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Ich frage einfach mal ganz naiv, warum sind die Energiepreise so angezogen?



    Alles andere ergibt sich daraus.



    Wer oder was ist die Ursache?



    Brauchen wir Nordstream II nötiger denn je?

  • Habe gestern mal gesehen, was ich bald für Gas und Strom (90qm) im Monat bezahlen darf. EUR 320,00. Bisher 160,00. Also das Doppelte. Und die Politik kümmert es nicht. Wie wäre es, wenn erstmal sämtliche Steuern wegfallen?

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Ist es rechtmäßig, dass Grundversorger von Neukunden höhere Preise verlangen als von Bestandskunden? "

    Klar doch!

    In Deutschland hat es sich eingbürgt billig durchs Leben zu kommen und bei Problemen die anderen Mitbürger zu schröpfen.

    Ob private Krankenversicherung, billigst Stromanbieter oder als Selbständiger ohne freiwillige Arbeitslosenversicherung! Die anderen zahlen es schon.

  • Auch bei unterschiedlichen Strompreisen in der Grundversorgung steht die Grundversorgung allen Verbrauchern gleich zur Verfügung. Insoweit greift dieses Argument nicht.

    Es wäre doch mehr als unfair, wenn Bestandskunden Preiserhöhungen hinnehmen müssten, weil andere Billigkunden jetzt ungeplant dazu kommen.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Wäre es nicht der Job der Bundesnetzagentur, hier dem Verbraucher Sicherheit zu geben und die Anbieter zur Vorsorge zu zwingen?

    Oder arbeitet diese Agentur doch eher im Interesse der Unternehmen?

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Aufgabe der Bundesnetzagentur ist die Aufrechterhaltung und Förderung des Wettbewerbes.

      Die Verbrauchersicherheit wird hingegen gesetzlich geregelt, da jeder Verbraucher ein Anrecht auf Grundversorgung hat. Nur der Preis der Grundversorgung ist halt nicht festgelegt.

      Wenn es in den Strommärkten zu Schwankungen kommt, dann ist es auch nicht verwerflich, wenn diese Kosten an den Verbraucher durchgereicht werden.

  • "Kunden in der Grundversorgung sind zum einen jene Haushalte, die – oft aus Bequemlichkeit – keinen anderen Vertrag abgeschlossen haben, oder eben solche, die aufgrund des Wegfalls eines anderen Versorgers in diesen Tarif zurück fallen."

    Nicht nur. Da sind zum Einen Anschlüsse mit Mehrtarifzählern. Ein Wechsel ist da oft in der Praxis nicht möglich. Und zum Anderen gibt es noch die Menschen, die lieber einen soliden Versorger haben, als bei einem windigen Anbieter auf die Nase zu fallen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ja, nur sind diese Kunden eben gerade nicht im Grundversorgungstarif. Die Begriffe gehen in diesem Artikel leider verwirrend durcheinander.

  • Warum sprechen Sie durchgehend von einem "Grundversorger" statt vom Regionalversorger oder regionalen Netzbetreiber? Ohne Ausnahme bieten sie alle neben der Grundversorgung auch andere, durchaus konkurrenzfähige Lieferverträge an. Bei genau so einem bin ich seit Jahrzehnten aus Überzeugung und gutem Grund Kunde. Natürlich locken andere mit Billigpreisen. Wer aber seinen Strom bei einem Anbieter kauft, der kein Kraftwerk besitzt, kein Netz, kein Wartungs- oder Reparaturpersonal für den Störfall sondern nichts als einen Briefkasten, ein Callcenter im Ausland und eine große Rechtsabteilung für die zahlreichen Kundenbeschwerden, der sollte hinterher nicht jammern, wenn so einer seine leeren Versprechungen nicht halten kann.



    Die Verträge zur Grundversorgung sind übrigens erheblich besser als ihr Ruf. Ja, die Kilowattstunde ist teuer, dafür sind bei ihnen die Grundgebühren besonders günstig. Das ist der Vertrag, in den eine Wohnung für die Übergangszeit eines Leerstandes fällt, wenn die Gelegenheit des Mieterwechsels genutzt wird, um dringend nötige Handwerkerarbeiten auszuführen, die sie wie eine Elektroerneuerung oder Badrenovierung für Monate unbewohnbar machen. Und genau dafür ist die Grundversorgung der bestmögliche Vertrag.



    Übrigens, ein Vermieter läßt Wohnungenn nicht mit Absicht leerstehen, um bei weiterlaufenden Nebenkosten keine Einnahmen zu haben, sondern weil sich Handwerkerarbeiten, wenn man überhaupt einen findet, der den Auftrag annimmt, derzeit unangenehm lange hinziehen.

    • @Axel Berger:

      Der Begriff ergibt sich aus § 36 Absatz 2 des Energiewirtschaftsgesetzes. Dabei geht es ausschließlich um die gesetzliche Grundversorgung und nicht um irgendwelche Grundtarife.

  • Es wäre im Artikel vielleicht der Hinweis ganz nett, dass in allen anderen europäischen Ländern die Regierungen bereits Steuersenkungen auf Energie eingeführt haben in den letzten Wochen, um den Anstieg etwas abzufedern. Wenn hier in Deutschland nicht ebenfalls bald reagiert wird, haben wir hier im nächsten Jahr wahrscheinlich viele Gelbwesten im Straßenbild.

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @Šarru-kīnu:

      Guter Hinweis!!!

    • @Šarru-kīnu:

      Es gibt in Deutschland nichts anderes, das so extrem mit Steuern und Abgaben belastet wird, wie Arbeit. Billige Energie begünstig Massenproduktion und Wegwerfen und macht Reparaturen unattraktiv. Auch die hohen Kosten energetischer Sanierung sind zu sehr großem Teil die Nebenkosten der Arbeit und zum kleinsten das Material. Die Idee der rohstofforientierten Steuerreform war und ist eines sehr gute, sinnvolle. Natürlich erheben der Staat und seine Berufspoltiker neue Steuern nie anstelle schädlicher alter, sondern immer nur zusätzlich, das stellt aber den Sinn der Energiesteuer als solche nicht in Frage.

      • @Axel Berger:

        Die Steuerquote auf Energie ist mit über 50% bereits jetzt schon höher als jeder Spitzensteuersatz auf Arbeit. Eine Senkung der Einkommenssteuer hilft den Bedürftigen die sich Heizen nicht mehr leisten können wie genau?

  • / die Grundversorgung solle „als Auffangversorgung allen gleich zur Verfügung stehen..../ das hieße dann Tarife rauf für alle Kunden der Stadtwerke oder EnBWs dieser Welt, um das evtl. künftig nötige Auffangen von Fremdkunden rechtzeitig einzukalkulieren und abzusichern ? Sowas würde den heiliggesprochenen "Markt" aber gefährlich in Schieflage bringen, gegen die Orts-Versorger und ihre Kunden. - Zumal ja nach den neuesten Erfahrungen mit Marktfreiheit selig möglicherweise viele Kunden freiwillig (zurück) wechseln möchten.

  • "Ist es rechtmäßig, dass Grundversorger von Neukunden höhere Preise verlangen als von Bestandskunden? "

    Ja.

    Warum sollten Bestandskunden, diese angeblichen Deppen, die aus Bequemlichkeit dabei gebelieben sind oder den Tarif gewählt haben, diejenigen quer subventionieren, deren Spekulation nicht aufgegangen ist? Nicht nur die Firmenspekulation ist nicht aufgegangen, sondern auch die private Spekulation auf niedrigste Preise ist eben nicht aufgegangen.

    Wobei, wenn man einen Billigtarif gewählt hatte, man ruhig ein paar Monate mehr zahlen kann und immer noch spart. Den Grundversorgungstarif kann man nämlich auch wieder wechseln.

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @fly:

      Ich habe mich schon lange vom Springen von einem zum anderen Anbieter verabschiedet. Das geht mir auf die Nerven.



      Warum gibt es überhaupt sog. private Grundversorger?



      Bewag = Vattenfall, RWE, Eon.......

      "Russlands Stromerzeugung ist diversifiziert, sowohl regional als auch hinsichtlich der Eigentümerstruktur. Die vier größten Stromkonzerne sind staatlich: "



      Siehe www.gtai.de/ - Russlands größe Stromerzeuger.

      Vielleicht wäre das ja auch ein Model für Deutschland? Staatlich + privat.