Steigende Benzinpreise in Deutschland: Sprit wird teurer – hurra?
Manche Klimafreunde feiern, dass Öl und Gas endlich mehr kosten. Doch jedes Preischaos ist Gift für die Energiewende.
taz | Die taz wusste es natürlich mal wieder besser: „Teurer Sprit ist gut fürs Klima“, kommentierte diese Zeitung im Oktober 2021, als kurz nach der Bundestagswahl Benzin und Diesel so viel Geld kosteten wie seit Jahren nicht. Was heute nach Schnäppchenpreisen aussah – 1,65 Euro für den Liter Super E10 – löste damals eine lautstarke Debatte aus: Wie teuer bitte schön die fossilen Kraftstoffe denn noch werden dürften und ob der Klimaschutz daran schuld sei. In den steigenden Preisen an der Zapfsäule jedenfalls sah der Kommentator „für den Klimaschutz eine gute Nachricht: Verteuern sich fossile Brennstoffe, wird es auch teurer, CO2 in die Luft zu blasen und damit den Klimawandel anzuheizen.“
Klammheimliche Freude mögen auch heutzutage viele Verkehrswendefans empfinden, wenn sie an einer Tankstelle vorbeigehen. Denn anders als die kleingedruckten und verspätet wahrgenommenen Preissteigerungen bei Strom und Gas schreien es die meterhohen Preistafeln vor den Zapfsäulen derzeit regelrecht heraus: Mitte März kostete ein Liter Super E 10 ganze 2,19 Euro!
Das Verbrennen von Erdölprodukten zur Fortbewegung wird teurer. Der fossil befeuerte Verkehr, immerhin Quelle von knapp 20 Prozent aller deutschen Treibhausgasemissionen, bekommt so endlich ein Stoppschild in Form von Cent und Euro gesetzt: Was knapp wird, wird teuer – so lehrt es der Kapitalismus. Und was teuer ist, wird weniger nachgefragt.
Folgerichtig müssten höhere Spritpreise dazu führen, dass im Verkehr endlich das passiert, was seit zehn Jahren praktisch nicht stattgefunden hat: Die Emissionen des Klimakillers CO2 (und vieler anderen giftigen Substanzen, die wir in die Atemluft unserer Städte blasen) müssten sinken. Und der Verkehr vielleicht sogar seine gesetzliche Obergrenze aus dem Klimaschutzgesetz einhalten.
So weit die Theorie. In der Praxis wird aber genau das Gegenteil passieren: Explosionsartig steigende Spritpreise torpedieren die Chance auf eine erfolgreiche Klimapolitik.
Verkehrsverhalten selten rational
Darauf deutet vieles hin: Obwohl die Spritpreise seit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine rasant gestiegen sind, zeigt die Auswertung von Mobilitätsdaten, dass kaum weniger und kaum langsamer gefahren wird. Obwohl der Sprit teuer ist, steigen die Leute kaum um oder aus. Sie scheinen keine Alternative zu haben oder schränken sich möglicherweise anderweitig ein, um Auto fahren zu können.
Das verwundert nicht wirklich. Denn unser Verkehrsverhalten ist selten rational. Die Hälfte aller Wege unter fünf Kilometern werden mit dem Auto zurückgelegt, und sogar noch ein Viertel aller Wege unter zwei Kilometern, moniert etwa immer wieder die Lobby vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Distanzen, die häufig per Fahrrad oder zu Fuß schneller, einfacher, sorgenfreier, billiger und ökologischer zu überwinden wären. Offenbar stimmt die Gleichung „hohe Spritpreise gleich weniger Autofahren“ einfach nicht.
Dazu kommt: Verelendung ist kein gutes Verkaufsargument für den Klimaschutz. Wenn die Rettung vor der Krise in einigen Jahren und Jahrzehnten für die Menschen von heute bedeutet, von jetzt auf gleich ihre fossile Bequemlichkeit und ihre Gewohnheiten aufzugeben, wird das nur eine Minderheit erreichen.
Rekordpreise an der Tankstelle gelten für die allermeisten Kunden und Kundinnen nicht als Beitrag zur Rettung der Welt, sondern als Abzocke durch die Mineralölkonzerne und die Politik. Die Forderungen, bei den momentanen Preissprüngen das Kartellamt einzuschalten, die Steuern zu senken oder die Preise zu deckeln, zeigen diese Haltung sehr deutlich.
Aber Klimaschutz braucht eben das Mitmachen. Er betrifft alle stark. In einer demokratischen Gesellschaft muss deshalb zumindest eine große Mehrheit der Menschen die Maßnahmen akzeptieren, die sich aus einer ambitionierten Klimapolitik ergeben. Das spricht nicht gegen höhere Preise – aber sie müssen gut erklärt werden, langfristig angelegt sein und den VerbraucherInnen die Chance bieten, Alternativen zu finden. Mit dem frischen Geld müssen das Angebot von Bussen, Bahnen, Ridesharing und bessere Fuß- und Radwege finanziert werden. Höhere Preise allein reichen nicht, um vom Auto wegzukommen.
Vor allem müssen die Preise eine klare Geschichte erzählen: Der „kleine Emissionshandel“ ist ein gutes Beispiel dafür. Dabei handelt es sich um einen CO2-Preis auf fossile Brennstoffe, der seit Januar 2021 erhoben wird. Derzeit macht er etwa 7 Cent pro Liter Benzin aus. Er soll bis 2025 jedes Jahr in einem ähnlichen Umfang weiter steigen.
Ein schlechtes Beispiel war die Ökosteuer der rot-grünen Bundesregierung 1999: Eigentlich war es eine gute Idee, die Abgaben auf fossile Brennstoffe und Strom zu erhöhen und das Geld für die Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen: Arbeit billiger, Energie teurer machen. Aber unter steigenden Preisen und der „Benzin-Wut-Kampagne“ von Bild-Zeitung und CDU setzte Rot-Grün die Steuer 2003 nach drei Stufen aus.
Wäre sie wie geplant immer ein wenig weiter gestiegen, würden wir heute, knapp zwanzig Jahre später, in einem anderen Deutschland leben: mit deutlich weniger Verbrauch von fossilen Energien, höheren Steuereinnahmen, besser gedämmten Häusern und effizienteren Maschinen.
Hohe Preise brauchen soziale Abfederung
Hohe Preise sind in einer Marktwirtschaft eine gute Idee, um den Verbrauch zu steuern. Aber: Sie dürfen nicht als Schocktherapie wirken, sondern müssen planbar und einsichtig sein. Und sie brauchen dringend soziale Abfederung. Hohe Preise verstärken die soziale Schieflage: Arme warten auf den Bus, während Reiche auf leeren Straßen fahren – ein explosiver Mix, um die Maßnahme bei vielen WählerInnen unpopulär zu machen. Dagegen helfen keine Tankgutscheine, wie sie die FDP vorgeschlagen hat, sondern am besten ein „Energiegeld“: eine pauschale Rückzahlung an alle Menschen einmal im Jahr – wer wenig verbraucht, der verdient, wer viel CO2 emittiert, zahlt drauf.
Wer Preiskrisen an der Tankstelle bejubelt, hat nicht begriffen, dass die Transformation der Industriegesellschaft ein Projekt für Jahre und Jahrzehnte ist. Dafür braucht es bei aller Dringlichkeit solide ökonomische Grundlagen und Rückendeckung der Bevölkerung.
Kurze, heftige Ausschläge und Katastrophen machen sich gut für Schlagzeilen, bewirken aber im Zweifel das Gegenteil. Das beste Beispiel dafür ist die Corona-Krise: Als das Virus vor zwei Jahren die Weltwirtschaft lahmlegte, sackten die weltweiten CO2-Emissionen um etwa sieben Prozent nach unten – so viel, wie sie für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels jedes Jahr bis 2050 sinken müssten. Manche jubelten auch da, das bringe nun den lang ersehnten Klimaschutz.
Allerdings war der Einbruch nicht nachhaltig und für einen echten Umbau der Volkswirtschaften zu kurz und zu überraschend. Sobald die Pandemie sich entspannte, zogen auch die Emissionen wieder an. Denn es hatte sich strukturell nichts verändert, Produktion und Reisen wurden einfach nachgeholt. Also qualmten die Schornsteine mehr als zuvor: Die Emissionen stiegen auf neue Höhen.
Das zeigt: Wer eine nachhaltige Welt will, muss nachhaltige Strukturen schaffen. Überraschende Horrorpreise an den Zapfsäulen sind davon genau das Gegenteil.
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