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Stationierung von MittelstreckenwaffenBundestag muss nicht zustimmen

Deutschland hat der Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen zugestimmt. Ein Gutachten zeigt: Die Regierung durfte dies allein entscheiden.

Eine US-Mittelstreckenrakete vom Typ Tomahawk Foto: imago

Berlin taz | Der Bundestag muss der Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland nicht zustimmen. Zu diesem Schluss kommt ein Kurzgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Es wurde erstellt im Auftrag der fraktionslosen Abgeordneten Joana Cottar (Ex-AfD).Anlass des Gutachtens ist eine gemeinsame Erklärung der US-Regierung und der Bundesregierung von Anfang Juni. Ab 2026 sollen in Deutschland konventionelle US-Mittelstreckenraketen vom Typ SM 6 sowie Tomahawk-Marschflugkörper und noch zu entwickelnde Hyperschallwaffen stationiert werden. Diese Aufrüstung soll Russland vor Angriffen auf Nato-Gebiet, etwa im Baltikum, abschrecken.Das Vorgehen der Bundesregierung fand nicht zuletzt in der SPD-Fraktion Kritik, zum einen weil der Bundestag die Stationierungsentscheidung im Vorfeld nicht einmal diskutieren konnte, zum anderen weil die Stationierung von Raketen, die bis weit nach Russland reichen, Russland reizen könnten und eine derartige Stationierung nur in Deutschland vorgesehen ist.Der Wissenschaftliche Dienst verwies nun aber auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1984. Damals hatten die Grünen gegen die Zustimmung der Bundesregierung im Nato-Doppelbeschluss zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing und von Marschflugkörpern (englisch „Cruise Missiles“) geklagt.

Grüne klagten schon in den 80ern

Die Nato hatte damals auf die Einführung der SS20-Mittelstreckenrakten der Sowjetunion reagiert. Der Bundestag stimmte der Stationierung per Beschluss zu. Die Grünen verlangten jedoch ein Gesetz und klagten beim Bundesverfassungsgericht.Karlsruhe hielt damals ein Parlamentsgesetz zur Raketenstationierung für unnötig. Es genüge, dass Deutschland dem Nato-Vertrag 1955 zugestimmt habe. Die Übertragung von Hoheitsrechten bleibe im Rahmen dieser Zustimmung. Die Klage der Grünen wurde damit abgelehnt.1987 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung für die Stationierung chemischer Waffen der Nato in Deutschland. Auch hierfür war kein Gesetz erforderlich.Nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes ist auch die jetzt geplante Raketenstationierung ein Nato-Projekt und damit vom Nato-Vertrag und vom Nato-Aufenthaltsvertrag gedeckt. Zwar handele es sich nur um eine bilaterale Vereinbarung zwischen den USA und Deutschland. Die gemeinsame Erklärung sei aber auf dem Nato-Gipfel in Washington veröffentlicht worden und nehme auf die US-Verpflichtungen im Rahmen der Nato Bezug.

Kann Parlament Mitsprache erhalten?

Der Wissenschaftliche Dienst ging nicht näher auf die Frage ein, wie der Bundestag auch ohne Gesetzgebung in die Stationierungsfrage eingebunden werden kann. Möglich sind zum Beispiel Debatten, die auch von der Opposition beantragt werden können. Auch unverbindliche – zustimmende oder ablehnende – Resolutionen können Ampel-Mehrheit und Opposition zur Abstimmung stellen.Wenn der Bundesregierung am Ende signalisiert würde, dass sie bei der Raketenstationierung keine parlamentarische Mehrheit hinter sich hat, würde dies wohl nicht nur zu einer Regierungskrise führen. Die Bundesregierung könnte dies auch zum Anlass nehmen, die Zustimmung zur Raketenstationierung gegenüber den USA zurückzunehmen.

Umgekehrt wird auch damit gerechnet, dass Donald Trump, falls er die Präsidentschaftswahl gewinnt, die Zusage der USA zur Stationierung widerrufen und damit den Schutz Europas reduzieren würde.

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13 Kommentare

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  • Ein Gutachten allein ist bekanntlich nicht automatisch der Zugang zum "Stein der Weisen".



    Einige Beispiele sind historisch bedeutsam, aber nicht alles bleibt in Stein gemeißelt.



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    fragdenstaat.de/ar...en-des-bundestags/

    • @Martin Rees:

      Das Gutachten bezieht sich aber auf zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. Dessen Rechtsprechung ist eben sehr wohl die letzte Instanz.

  • Nun, es kann nur gehofft werden, dass vor 2026 irgendein Umstand eintritt, durch den diese verhängnisvolle Entscheidung nicht umgesetzt wird. Im günstigsten Fall der Beginn eines Friedensprozesses mit Russland, verbunden u.a. mit einem Raketenmoratorium.

    • @Kohlrabi:

      Wenn dir amerikanischen Raketen nicht kommen werden es deutsche die gerade in der Entwicklung sind und wenn irgendwann europäische Atomwaffen kommen werden diese Waffen auch zu trägersystemen dafür umgerüstet.

  • Weiß ja keiner, ob da wirklich was kommt oder wie viele das wirklich sind. Eine Handvoll wird keinen Unterschied machen.

  • Die russischen Raketen mit Nuklearsprengköpfen sind nur 500 km von Berlin entfernt. So kann man Russland wenigstens etwas entgegenhalten, wenn wieder gedroht wird. SM-6 sind übrigens Luftabwehrraketen großer Reichweite, Tomahawks klassische Marschflugkörper für den Unterschall-Tiefflug, den Taurus-Marschflugkörpern vergleichbar.

  • Im Klartext, die Stationierung von Mittelstreckenwaffen mit Nukleargefechtskopf in Deutschland ist nur Sache der USA.

    Was die möglichen Konsequenzen angeht, sind die Positionen der damaligen Grünen, wie Petra Kelly und der linken SPD immer noch relevant.

    Die Stationierung verkürzt die Reaktionszeit, in der die andere Seite überprüfen kann, ob die vorliegenden Daten einen möglichen Angriff anzeigen, oder nur ein falsches Signal sind. Das Stationierungsgebiet wird zum Erstschlagziel.

    Die damalige Koalition hatte einen größeren Handlungsspielraum und die Rollen waren vertauscht. Schmidt forderte die Nachrüstung als Antwort auf die SS20 Stationierung der UDSSR. Heute stationiert die USA als erste und die Deutschen können nur nicken.

    • @Octarine:

      Es geht nicht um Stationierung von Mittelstreckenwaffen mit Nuklearwaffen. Die Tomahawk Raketen die Nuklearwaffen tragen sind abgeschafft, die Nuklearsprengköpfe eben so.

    • @Octarine:

      Das entspricht nicht den Tatsachen. Seit 2018 stationiert Russland in Königsberg atomar bestückbare "Iskander" Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 500 km.

      • @Tom Tailor:

        Königsberg ist heute ein Teil Russlands, das ist etwas anderes.



        Vergleichbar wäre eine Stationierung auf Kuba. Und wie die USA da reagiert haben, wissen Sie.

        • @Octarine:

          Wieso ist das etwas anderes? Russland bedroht Deutschland mit diesen Raketen. Mit welchem adäquaten Alternativwaffen hat Deutschland seitdem auf diese Bedrohung reagiert? Sehen Sie - mit gar keiner.

        • @Octarine:

          Europa ist ein Akteur und muss sich das nicht gefallen lassen und darf auch darauf reagieren. Völlig egal ob das russisches Land ist, russland stationiert Atomwaffen vor unserer Haustür wir reagieren drauf.

          • @Machiavelli:

            Es gibt kein "Europa" als politischer Akteur. Es gibt die EU als Verwaltungsinstanz zur Durchsetzung neoliberaler Politik.



            "Wir" reagieren auf gar nichts.



            Die Ampel ist mit sich selbst beschäftigt und kann mit Glück einen Haushalt aufstellen.

            Und die große Koalition der etablierten Parteien und die Medien sind damit beschäftigt, die bedrohten Pfründe in den Bundesländern zu verteidigen.