Stalingrad-Gedenken in Russland: Aktualisierte Erinnerung
Am 2. Februar 1943 kapitulierte die Wehrmacht in Stalingrad. 80 Jahre danach nutzt Russland das für seine Propaganda im Krieg gegen die Ukraine.
Panzer rollen wieder durch Stalingrad, wie die Wolgograder ihre Stadt an einigen wenigen Tagen im Jahr nennen. Die Kommunalarbeiter haben bei der Stadteinfahrt Schilder mit „Stalingrad“ aufgestellt, am Tag zuvor enthüllte die Stadt eine Stalin-Büste nicht weit von der Wolga entfernt. Die russische Hymne, die sich kaum von der sowjetischen unterscheidet, ertönte, eine Ehrengarde hielt Wache. Es ist ein beklemmendes Gedenken an den Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg, dem Großen Vaterländischen, wie die Russ*innen sagen. In der Ukraine beschießt die russische Armee derweil Wohnhäuser.
Am 2. Februar 1943 endete hier, in dieser Stadt, die so oft im Nebel liegt, die Schlacht von Stalingrad mit dem Sieg der Roten Armee. Es war der Anfang vom Ende des Hitler-Regimes und eine der blutigsten Schlachten der Weltgeschichte. Zehntausende Zivilist*innen starben, sie wurden nicht in Sicherheit gebracht. Knapp 300.000 Einwohner*innen hatte das Industriezentrum an der Wolga 1942, am Ende der Kämpfe blieben nicht einmal 8.000 Überlebende. Stalin forderte im Ukas Nummer 227 „Keinen Schritt zurück“.
Die Deutschen, die die Stadt auf ihrem Weg zu den sowjetischen Ölquellen am Kaspischen Meer en passant einnehmen wollten, scheiterten am Durchhalten der Rotarmisten und an den Temperaturen von bis zu Minus 43 Grad. Die 6. Armee des Generalobersts Friedrich Paulus erfor und verhungerte im Kessel.
Russland wähnt sich von Feinden umzingelt
Dieser Sieg ist den Russ*innen bis heute heilig. Der russischen Regierung dient er als Trigger, um ihren Angriff auf die Ukraine als heroische Fortsetzung ihres Kampfes gegen den Faschismus zu inszenieren. Die Opfer spielen kaum eine Rolle, die Versöhnung mit den Deutschen ist auf Eis gelegt. Es sind die Helden, die zählen, Helden, die herhalten müssen für das verdrehte Narrativ von heute, wonach der Angriff als Verteidigung gilt.
Das Staatsfernsehen zeigt ordenbehängte alte Männer, Veteranen von damals, die von ihrem eigenen Heldentum zu erzählen wissen, von ihrer Lust, „alle Deutschen abzuknallen“, und sich darüber freuen, dass ihre Urenkel nun „die Nazis in der Ukraine töten“. „Unseren Sieg“, sagen sie in die Kamera, „werden wir generationsübergreifend feiern“. Der Kreml pflegt seit Langem die Legende vom „Wir gegen die ganze Welt“.
Die Hilfe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg wird heruntergespielt oder gar nicht erst erwähnt. Es zählt der Heldenepos – und es zählen die Durchhalteparolen. Russland sei von Feinden umzingelt, Russland werde siegen, alles laufe nach Plan, weiß Präsident Wladimir Putin stets zu behaupten. Auch hier am Mamajew-Hügel, früher ein hart umkämpftes Gebiet im Norden der Stadt, heute ein monumentaler Museumskomplex mit in Stein gegossener Mutter-Heimat-Statue samt einem knapp 90 Meter langen Schwert, gibt er sich entschlossen. Es sind die üblichen Floskeln.
Seit Europa und Amerika nach langem Ringen zugesagt haben, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, spricht Moskau immer mehr von Krieg gegen Russland. Die USA und die EU hätten schon vor Jahrzehnten den Plan gefasst, Russland zu zerstören, heißt es da. Wie beim Napoleon-Feldzug, wie auch im Zweiten Weltkrieg, werde es ihnen nicht gelingen, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow in einem Interview am Donnerstag. Das Siegesgedenken dient dem Kreml als Legitimierung seiner Macht und seiner Gewalt. Der einzelne Mensch zählt damals wie heute nichts.
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