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Staatskrise in FrankreichDas unausweichliche Ende des „Macronismus“

In einem letzten Kraftakt sucht Premier Lecornu im Auftrag von Präsident Macron einen Weg aus der Krise. Der Macronismus ist in jedem Fall am Ende.

Es wird einsam um ihn: den französischen Präsidenten Emmanuel Macron Foto: Leonhard Foeger/reuters

Paris taz | Der französische Präsident ist ein einsamer Mann geworden. Zur Illustration zeigten die französischen Fernsehsender immer wieder eine kurze Szene vom Montag: Nach einem Besuch im Panthéon, der französischen Ruhmeshalle, flaniert Emmanuel Macron am Seine-Ufer, begleitet nur von einem Leibwächter und zwei Mitarbeitern im Anstandsabstand. Wenige Stunden zuvor hatte er den Rücktritt seines Premierministers Sébastien Lecornu akzeptiert, weil der sich mit den Konservativen nicht auf eine Regierungszusammenarbeit einigen konnte.

Die Videosequenz verdeutlicht, wie isoliert Macron heute ist. Von allen Seiten wird er verantwortlich gemacht für die vertrackte politische Situation. Selbst bisherige Vertraute kehren Macron den Rücken. Ebenfalls am Montag erklärte sein früherer Premierminister Gabriel Attal vor der Kamera, er verstehe das Vorgehen des Präsidenten schlicht nicht mehr. Zuvor war er schon öffentlich auf Distanz zu ihm gegangen, als Macron im Juni nach einer Niederlage seiner Kandidaten bei den Europawahlen kurzerhand die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen angeordnet hatte. Die Macronisten verloren in der Folge ihre absolute Mehrheit.

Noch weiter ging ein anderer Ex-Premierminister, Édouard Philippe. Er forderte den Staatschef auf, erst dafür zu sorgen, dass der Staatshaushalt für 2026 kommt. Danach solle er zurücktreten und in vorzeitigen Präsidentschaftswahlen den Platz räumen.

„Dégage!“

Bei den Demonstrationen in den letzten Monaten und Wochen wird mit dem an den Arabischen Frühling erinnernden Ruf „Dégage!“ („Hau ab!“) Macrons Abgang gefordert. Früher spotteten die Demonstrierenden bloß über den selbstherrlichen „Monarchen Emmanuel I.“, jetzt wird er von ihnen als Problem und Hindernis beschimpft.

In den Umfragen hat Macron ein Rekordtief erreicht: Auf die Frage des Instituts Odoxa, ob sie ihn für einen guten Präsidenten halten, antworten 22 Prozent mit Ja, 78 Prozent mit Nein. Ein Grund zum Rücktritt ist das für ihn nicht: Schon vor Wochen hatte Macron gesagt, er sei vom Volk für fünf Jahre wiedergewählt worden und werde bis zum Ende seiner regulären Amtszeit im Frühling 2027 im Amt bleiben, „was auch immer geschehe“.

Von der Regierungs- zur Systemkrise

Wie konnte es kommen, dass ein Staat wie Frankreich mit einem seit Jahrzehnten funktionierenden System und einer selbstbewussten Staatsführung mit weitgehenden Befugnissen ins politische Chaos schlitterte? Das fragt man sich, erschüttert vom tristen Spektakel der französischen Politik, vor allem im Ausland. In Frankreich selbst ist die Überraschung weit weniger groß. Denn seit gut einem Jahr, als bei den letzten Wahlen kein politisches Lager eine regierungsfähige Mehrheit und damit einen legitimen Anspruch auf die Regierungsmacht bekam, gerät die Politik zunehmend aus den Fugen.

Drei Premierminister (Michel Barnier, François Bayrou, Sébastien Lecornu) gaben sich die Klinke in die Hand, ohne auch nur annähernd ihre Autorität festigen und die drängenden Probleme des Landes angehen zu können. Ihre Regierungen waren der ständigen Erpressung der Oppositionsfraktionen ausgesetzt, die bei jeder Gelegenheit mit einem Misstrauensantrag drohten oder ihn wirklich einsetzten, um den Premier mit vereinten Stimmen von ganz links und ganz rechts zu Fall zu bringen.

Mit polemischen Nadelstichen und Frontalangriffen attackierten die beiden Extreme der französischen Politik, die Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN, früher Front National) und die Gegenseite La France Insoumise (LFI) des selbsternannten linken Volkstribuns Jean-Luc Mélenchon eine zusehends geschwächte Regierung. Der „gemeinsame Sockel“, wie sich die fragile Allianz zwischen Macronisten und den konservativen Républicains nannte, stand auf tönernen Füßen. Den Angriffen von links und rechts hielt sie nicht stand.

Drei Lager gegen die Fünfte Republik

Für diese politische Konstellation, bei der sich drei ähnlich starke Lager gegenseitig blockieren, ist die Fünfte Republik nicht gemacht. Als in einer vergleichbaren Krise 1958 Charles de Gaulle als Retter der Nation an die Macht zurückgerufen wurde, ließ er sich eine Verfassung nach Maß schneidern, um seine Position gegenüber den von ihm verhassten politischen Parteien zu festigen. Das Mehrheitswahlrecht sollte der Staatsführung eine stimmenstarke und folgsame parlamentarische Mehrheit geben. Der vom Volk direkt gewählte Staatspräsident war dank ausgedehnter Machtbefugnisse über alle Anfechtungen seiner Legitimität erhaben. Das war auch der Fall – bis zur Wahl von Präsident Macron.

Sein „Macronismus“ ist ein künstliches Gebilde ohne ideologische Grundlage. Macrons ursprüngliches Wahlprogramm fand 2017 noch Anklang, weil er statt des üblichen Links-Rechts-Hickhacks eine ausgewogene Politik vorschlug, „sowohl links wie rechts und in der Mitte“. Viele von den etablierten Parteien enttäuschte Bürger konnten sich – faute de mieux – mit dem Slogan identifizieren. Das nahm Macron als Zustimmung zu einem zunehmend autoritären Regierungsstil.

Kippt die Rentenreform?

Bei den wachsenden innenpolitischen Konflikten rutschte Macron immer weiter nach rechts. An seiner umstrittenen Rentenreform, dem wahrscheinlich wichtigsten politischen Projekt seiner Amtszeit, entzünden sich seit 2023 Proteste eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses aus Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden und Studenten.

Mit der Ernennung Lecornus im September versuchte Macron weiter Zeit zu gewinnen. Konzessionen an einen Teil der Oppositionsparteien sollen nun einen Weg für den Haushalt vor dem Ende des Jahres freimachen. So erwog Lecornu, der Delegationen der Fraktionen zur letzten Unterredungen einlud und sich bereits am Mittwochmittag vorsichtig optimistisch zeigte, angeblich eine zeitweilige „Suspendierung“ der Rentenreform, um Sozialisten und Grüne zum Einlenken zu bewegen.

In einem abendlichen Fernsehauftritt bekräftigte er das Recht des Präsidenten, binnen 48 Stunden einen neuen Premier zu ernennen. Die Möglichkeit einer Auflösung der Nationalversammlung mit anschließenden Neuwahlen hingegen schätzte er als zunehmend unwahrscheinlich ein: „Es gibt eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung, die eine Auflösung ablehnt“, sagte Lecornu dem Sender France 2. Auch Macron hatte vorzeitige Wahlen mehrfach ausgeschlossen, und seinen eigenen Abgang erst recht. Aber bleibt ihm am Ende vielleicht gar nichts anderes übrig?

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13 Kommentare

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  • Macron sieht es nicht ein, seine Zeit ist vorbei, von seiner Präsidentschaft wird nicht viel bleiben, außer dem weiteren Aufstieg der französischen Nazis.

  • Noch eines, die Wegbereiter des Rechtsextremismus sind die Milliardäre mit ihrem Einfluss auf die Medien. In Frankreich besitzt Bolloré Fernsehsender, Radioprogramme und Zeitungen und all die haben nur ein Thema: alles Übel kommt von den muslimischen Migranten. Andere Milliardäre wiederum bringen ihre Medien auf proisraelische Linie (und Bolloré passt das gut in den Kram) und sie sind alle sehr erbost über Macron's eigentlich gaullistische Entscheidung, Palästina anzuerkennen.

    Leider ist es so, dass dieses Gift auf Dauer Wirkung entfacht und es gibt wenig Hoffnung, einer rechtsextremen und möglicherweise auch autokratischen Wende in Frankreich zu entgehen.

  • Macron war bei seiner ersten Wahl ein Versprechen, auch bei uns - wir hatten Frau Merkel.



    Er schritt unter Beethoven-Gedonner über den Innenhof des Louvre (Glaspyramide) und wurde halbernst - auch von Teilen der französischen Linken - als "Jupiter" betitelt.



    Erste Schrammen zu seiner „Lockerheit“, Integrationsgeschick im Fall von Nicolas Hulot (nicht der von TATI) als Lieblingsgrünem der Franzosen, der seinen Job als Umweltminister extrem schnell zurückgab. Die große Geste, die Suada wurde Macrons Markenzeichen - während er mit Trump I geradezu hündisch auftrat.



    Über die Jahre hatten auch zahlreiche Journalisten die Selbstinszenierungen "dicke". In der Praxis war Frankreich nur dort solidarisch - wo Geld zu holen war. Die Taxonomie der AKWs könnte Europa noch teuer kommen.



    Gemessen an der Bevölkerungszahl hätte Frankreich ca. 500.000 Ukraine-Flüchtlinge mehr aufnehmen müssen (es blieb bei 100.000 - 100.008). Nichteingehaltene Ankündigungen - Nein! Doch! Oh!

  • Frankreich ist doch nur ein Symptom des extremen Rechtsrucks der gesamten westlichen Welt.

    Überall repräsentieren die neuen/alten rechten Figuren in Europa, Nordamerika, Japan/Südkorea, Australien/Neuseeland an der Regierungsspitze die Interessen "der Wirtschaft" und der Militärs.

    Folglich gibt es Krieg und Sozialabbau. Zivile Projekte, wie auch der Umweltschutz können sehen, wo sie bleiben.

    Macrons Prinzip "weder rechts noch links" hat als Konsequenz rechts. So ist das mit diesem Prinzip, welches als "Mitte" daherkommt, aber letzten Endes immer den Rechtsruck vorbereitet.

  • Ich lese hier die Ansicht, Macron sei ein Wegbereiter für LePen. Es ist eigentlich genau umgekehrt: Macron ist zweimal nur deshalb gewählt worden, weil die Mehrheit LePen (noch?) nicht wollte, nicht, weil sie ihn wollte. 2017 ist der rechte Fillon durch einen geleakten Skandal aus dem Weg geschaffen worden und der bei seiner eigenen Wählerschaft unpopuläre Holland (Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten) hat es gar nicht erst versucht. So war es Macron vs Le Pen, ein Kinderspiel.

    Das "geringere Übel" reicht bei der zweiten Runde halt nicht mehr für eine Parlamentsmehrheit und eine dritte Runde ist in der Verfassung nicht vorgesehen.

    Bedauerlich ist die verpasste Chance, das Wahlrecht zu reformieren. Es droht, dank Mehrheitswahlrecht, tatsächlich eine absolute Mehrheit der Rechtsextremen im Parlament. Die rechten "gaullistisischen" Parteien haben durch Garrymandering (ja, das gibt es auch in Frankreich!) die Basis dafür geschaffen, dass sie dazu nicht einmal die stärkste Wählergruppe haben müssten, denn der soziologische Zuschnitt der Wahlbezirke erlaubt schlichtweg den Transfer von Gaullisten zu Vichysten (um sie beim Namen zu nennen).

  • Seine Selbstherrlichkeit fällt Macron jetzt auf die Füße, hat er doch die Parteien der Mitte durch seine auf sich zugeschnittene En Marche-Bewegung massiv beschädigt (die Sozialisten etwa spielen kaum noch eine Rolle) und durch verfehlte Politik die Extreme gestärkt. Nun hat er keine Mehrheit mehr und taumelt von einer Regierungskrise zur nächsten.

  • Das Ende vom Ende vom Ende... Der Hahn ist tot, es lebe der Hahn. Auch der nächste wird krähen, falls es keine Henne an der Spitzen geben wird... Frankreich spottet seiner selbst.

  • " Viele von den etablierten Parteien enttäuschte Bürger konnten sich – faute de mieux – mit dem Slogan identifizieren. Das nahm Macron als Zustimmung zu einem zunehmend autoritären Regierungsstil."

    Ja , wahrscheinlich.

    Ich erinnere mich an die Veröffentlichung des Anrufs von Präsident Selenskyi im Februar 2022 so: " It´s total war !!!" Die Antwort war "hmm". Kann sein, dass ich mich nicht richtig erinnere.

    "Sich kleiden um zu handeln heißt das Sein des Tuns nur ostentativ bekunden und sich der Widrigkeit wirklichen Tuns nicht stellen." Roland Barthes, Sprache der Mode.

    Ich warte ab.

    -

    Autoritär heißt : Die Regierten müssen handeln wie ich will.



    Charismatisch heißt : Ich muss handeln wie es die Regierten brauchen. Von : χαρίζεσθαι charízesthai „spenden, schenken“

  • Toujours davantage :



    Quelles perspectives



    taz.de/Premiermini...bb_message_5100715

  • was bleiben wird von Macron ist: LePen.

    • @nutzer:

      Wenn es den Wählerwillen abbildet, gar nicht verkehrt

    • @nutzer:

      Das steht zu befürchten, ja.

    • @nutzer:

      Genau das. Das große liberale Versprechen Macrons war "nicht links, nicht rechts". Dem sind leider auch allzu viele aus dem linken Lager allzu lange gefolgt. Übrig blieb: rechts.