Sprache und Rassismus: Von wegen elitär
In Deutschland wird über die Frage diskutiert, ob Antirassismus elitär sei. Das ist eine unerträgliche Frage.
W as darf man heutzutage noch sagen? Ein Zeit-Artikel in der vergangenen Woche begann mit der Überschrift: „Wie war noch mal das korrekte Wort?“ Darunter stand: „Immer mehr Menschen sind unsicher, was sie noch sagen dürfen und was nicht. Kein Wunder, sagt Eva Marie Stegmann. Unsere Debattenkultur ist elitär und schließt viele aus.“ Das Ganze wurde mit einem Bild eines Schokokusses garniert, der angematscht war.
Ich, Schwarz, 27 Jahre Rassismuserfahrungen, erste afrodeutsche Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, Abgeordnete für die Grünen und unter anderem zuständig für das Thema Antirassismus muss erst einmal tief durchatmen bei dieser Kombination aus Bild und Überschrift.
Debatten darüber, was man tatsächlich noch sagen darf und was nicht, verkennen, dass Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und viele weitere menschenverachtende Ideologien, die oft ineinandergreifen, da sind. Sie sind ein sehr hör- und sichtbares Problem. Organisiert in Parteien wie der AfD, aber – unorganisiert – leider auch in der Mitte der Gesellschaft.
In Deutschland kann man alles sagen, was man möchte. Es gibt aber Kontra, wenn es rassistisch wird. Das ist Teil der Meinungsfreiheit. Dass der Widerspruch zu rassistischen Aussagen zunehmend hör- und sichtbarer wird, ist eine extrem gute Entwicklung. Das hängt damit zusammen, dass wir, die wir von Rassismus betroffen sind, lauter werden.
Man kann Dinge erklären
Aber fangen wir von vorn an. Es gibt diskriminierungsfreie Begriffe, die nicht alle Menschen kennen. Das ist der einzige Punkt, dem ich in dem Zeit-Artikel zustimmen kann. Es gibt akademische Begriffe. Sie müssen an Orten erklärt werden, an denen sie nicht tagtäglich benutzt werden. Ich erlebe es oft bei Veranstaltungen, dass eine gute Moderation unbekannte Begriffe erklärt. Online sieht es anders aus. Jemand benutzt Begriffe wie „PoC“ oder „BIPoC“ – Black/Indigenous/People of Color. Es bedeutet Schwarze, Indigene und Menschen, die nicht weiß sind.
Aminata Touré wurde 1992 in Neumünster geboren. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Philologin. 2012 wurde sie Mitglied der Grünen Jugend in Kiel. Seit 2017 sitzt sie für Bündnis 90/Die Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag. Sie ist sie Sprecherin ihrer Fraktion für Flüchtlings-, Frauen und Gleichstellungs-, sowie Verbraucher*innenschutz-politik. Seit August ist sie auch Vizepräsidentin des Landtags.
Wie ich es herausgefunden habe, als ich die Begriffe noch nicht kannte? Ich habe den Browser geöffnet, Google angeschmissen, die Wörter eingegeben, und gleich das erste Suchergebnis hat mir erklärt, was es bedeutet.
Sprache ist kompliziert und sagt oft etwas über den Status einer Person innerhalb einer Gesellschaft aus. Das haben wir allerdings nicht nur bei Antirassismus, sondern überall.
Viele Menschen setzen voraus, dass ihr Umfeld sich genauso gut mit ihrem Expert*innenwissen auskennt, wie sie selbst. Wer kennt das nicht? So verhält es sich auch bei diskriminierungsfreier Sprache. Viele Menschen, die sich zu diesen Themen äußern, sind Expert*innen, auch in ihrer Sprache.
Es geht nicht nur um Sprache
Es geht aber um viel mehr als um Sprache. Sie ist ein Teil der Forderung im Kampf gegen Rassismus. Wir wollen, dass Menschen nicht mehr auf Grund ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe Nachteile in allen relevanten Lebensbereichen haben.
Dieses Jahr habe ich eine Antirassismuskonferenz veranstaltet, an der über 500 wissende und unwissende Personen teilgenommen haben. Die Workshops waren von Expert*innen, zum Schluss gab es eine Diskussion mit allen Teilnehmenden. Da wurden die unterschiedlichsten Fragen gestellt, und wir haben sie gemeinsam diskutiert.
Anderes Beispiel: Bei uns im Parlament ist Tag der offenen Tür und Tausende sind zu Besuch. Irgendwann entsteht eine Traube von Menschen um mich herum. Ein 70-jähriger Mann fragt, was am N-Wort problematisch sei. Ich erkläre ihm Kolonialismus, Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen und dass daher auch dieser Begriff stammt. Dass es nicht nur um das lateinische Wort „schwarz“ geht. Dass der historische Kontext entscheidend ist. Er guckt mich an, nickt langsam und beginnt zu verstehen. Viele stellen Fragen, ich beantwortete sie.
Dieser 70-jährige Mann steht nicht im Verdacht, ein urbanes Leben mit regelmäßigen antirassistischen Workshops mit BIPoCs zu besuchen und wird vielleicht auch gar nicht wissen, was das bedeutet. Das ist auch nicht so relevant. Er hat für sich mitgenommen, dass er das N-Wort aus seinem Wortschatz streichen kann, den Begriff BIPoC gar nicht kennen muss, aber einfach Schwarze Menschen sagen kann, zu Menschen wie mir.
Antirassismus ist Basisarbeit
Unsere Erwartungshaltung ist nicht, alle akademischen Begriffe zu kennen, sondern keine rassistischen zu benutzen. Ich bin glückselig, weil es der Grund ist, weshalb ich Politik mache. Vermitteln, antirassistische Politik gestalten und mit Menschen aushandeln, wie wir zusammenleben wollen.
Diese Arbeit mache nicht nur ich. Seit über dreißig Jahren gibt es zwei große Schwarze Organisationen. Adefra (Schwarze Frauen in Deutschland) und ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland). Neben ihnen gibt es viele andere, die täglich Aufklärungsarbeit für die gesamte Gesellschaft sowie Selbstermächtigungsarbeit für Schwarze Menschen leisten. Each One Teach One, Kollektiv – afrodeutscher Frauen*, Tupoka Ogette, Natasha Kelly, Alice Hasters und viele mehr.
Deshalb ist es vermessen, zu behaupten, es sei elitär. Es ist Arbeit an der Basis, und wir leisten dieser Gesellschaft damit auch einen großen Dienst. Wir verteidigen die Verfassung. Diese besagt, dass man ein Anrecht auf ein rassismusfreies Leben hat.
Immer noch Tag der offenen Tür im Landtag, ich auf dem Weg nach Hause. Eine Familie geht neben mir her. Sie reden abfällig über Schwarze Menschen, benutzen Worte, die die Autorin der Zeit im Eingang ihres Artikel kess wieder zur Disposition für die gesamte Gesellschaft stellt, was man noch sagen darf und was nicht. Nicht die Sorte Mensch, die unwissentlich und aus keiner bösen Absicht bestimmte Begriffe benutzt. Sie machen es bewusst und in Anwesenheit einer Schwarzen Person. Für diese Menschen sind Menschen wie ich nicht Ihresgleichen. Sie besitzen nicht einmal die Scham, es laut zu sagen, so dass ich es höre.
Die Erwartungshaltung von Menschen, die sagen, man solle alles sagen dürfen, ist also, dass wir aushalten müssen, dass Menschen rassistische Begriffe benutzen und sie bloß nicht damit konfrontieren, weil sie sonst die AfD wählen?
Ich glaube nicht. Ich glaube, Menschen sind lernfähig, selbst wenn sie 70 Jahre alt sind. Und wenn sie es nicht sind, dann werden die den Widerspruch zu hören bekommen. Weil es wiederum unser Recht ist, rassismusfrei zu leben – auch in der Ansprache. Das sichert uns das Grundgesetz zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül