Sportlerinnen über die Lage in Ungarn: „Das war ein Regenbogen-Tsunami“
Die queeren Tanzsportlerinnen Réka und Anita sprechen über die Fußball-EM, die Budapester LGBTQ-Szene und was die homophoben Gesetze für sie bedeuten.
taz: Réka und Anita, es gab in Deutschland große Debatten über die Münchner Arena, die nicht in Regenbogenfarben leuchten durfte, und über Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der seinen Besuch des Spiels abgesagt hatte. Die Europameisterschaft wird zunehmend von LGBT-Solidarität geprägt. Wie wird das alles in Ungarn wahrgenommen?
Réka: Ich lese nur noch internationale Presse, nicht die ungarische. Ich will das nicht mehr hören.
Anita: Die ungarischen Medien berichten, aber es wird nicht so diskutiert. Es gibt noch ein paar unabhängige Medien, die sind gut und sehr wichtig. Die Regierungsmedien blenden es aus. Als Ex-Torhüter Gábor Király vor dem Deutschlandspiel interviewt wurde und im Hintergrund eine Regenbogenfahne war, haben sie den Hintergrund unscharf gemacht. Auch während der Übertragung gab es kein Wort über die Regenbogenfahnen. Bei der Demo gegen das neue Gesetz haben sie uns in die Nähe von Pädophilie gerückt und geschrieben: 10.000 Betroffene demonstrieren, die von Soros bezahlt sind. Wer kann all das noch glauben? Das ist echt krass.
Wie empfindet Ihr die Stimmung in der Bevölkerung?
Réka: Ich meine, die Leute sind toleranter als das Gesetz. Gerade in den Städten.
Anita: Vor allem die jüngere Generation, die ist total tolerant.
Réka: Wir leben aber auch in unserer Bubble. Das Land ist total gespalten, es gibt so viel Hass, vor allem in den Sozialen Medien sieht man das.
Anita: Ich glaube, Orbán hat nicht damit gerechnet, dass es international so viel Solidarität gibt. Das ist super für uns.
In Deutschland gab es auch Stimmen, die die Aktion als heuchlerisch oder oberflächlich kritisierten.
Anita: Ich finde sie gut. Ich hätte nie gedacht, dass ein solcher Regenbogen-Tsunami kommt. Ich habe die Petition geteilt, und die Ungarn, die in Deutschland leben, waren interessanterweise alle dafür.
Réka: Hier in Ungarn wird darüber nicht geredet. Die Sichtbarkeit hilft uns.
Ihr seid beide queere Tanzsportlerinnen, Ihr tanzt Standard gemeinsam als Frauenpaar, auch international. Welche Erfahrungen macht ihr in Ungarn?
Réka: Als ich nach Budapest zog, gab es eine Tanzschule, wo Schwule und Lesben tanzen konnten. Es war schön, einen sicheren Ort zu haben. Aber alle Lehrer sind mittlerweile nach Berlin gezogen. Später habe ich mit Freunden einen neuen Klub gegründet. Am Anfang waren wir sehr scheu, wir wollten nicht bei Mainstream-Klubs tanzen. Wir hatten Angst, wie die Leute reagieren. Aber ich wurde sehr positiv überrascht, als wir dorthin gewechselt sind. Es war kein Ding.
Anita: Von Familie zu Familie ist es verschieden. Ihre Familie ist tolerant, meine eher nicht so. Letzten Sommer waren wir während der Pandemie auf dem Land und haben in einem Klub getanzt. Da waren auch Kinder dabei. Es gab keine Probleme. Aber wir haben überlegt: Was wird jetzt passieren, wenn wir wieder da tanzen? Der Trainer könnte jetzt bestraft werden.
Das fällt unter das neue Gesetz?
Réka: Ja, klar. Da tanzen auch Kinder unter 18, und die würden dann mit Schwulen und Lesben in Kontakt kommen. Es gehen geschützte Räume für queere Jugendliche verloren, 17-Jährige könnten jetzt nicht mehr bei uns tanzen. Die Frage ist, ob dieses Gesetz eingehalten werden kann. Ich glaube, das kann niemand einhalten. Sonst müssen wir wirklich emigrieren. Meine erste Tanzpartnerin ist schon längst in Portugal. Leider gibt es diesen Exodus. Viele ziehen ins Ausland, weil sie die Hoffnungslosigkeit nicht mehr aushalten. Aber jemand muss auch bleiben.
Wie steht es um Sportangebote für LGBT in Ungarn?
Réka: Es gibt den Verein Atlasz, das ist die Schirmorganisation. Tatsächlich die einzige. Darunter gibt es viele verschiedene Sportarten. Und jedes Jahr einen Sporttag, wo sie sich vorstellen. Die Gay Games sind auch schön, aber unter der ungarischen Fahne sind sehr wenige Leute. Vor allem sind das wir, die Tänzerinnen. Und es gibt auch private Initiativen. Viele LGBT wollen Sport und Gemeinschaft verbinden und sich dabei sicher fühlen.
Können schwul-lesbische Sportvereine in Ungarn relativ unbehelligt arbeiten?
Réka: Razzien gibt es zum Glück noch keine. (lacht)
Anita: Es ist okay. Wenn man eine Turnhalle mietet, gibt es kein Problem. Beim Schwimmen hatten sie Probleme mit einer Schwimmhalle, es gab einen Rechtsstreit, weil die keine Schwulen wollten. Aber die Halle hat verloren.
Wie werden Homosexuelle im ungarischen Sport dargestellt?
Anita: Gar nicht.
Réka: Stillschweigen. Wir wissen, dass es Schwule und Lesben im Spitzensport gibt, aber sie sind nicht out. Niemand. Torhüter Peter Gulácsi setzt sich für die Kampagne „Familie ist Familie“ ein, dass auch homosexuelle Paare Kinder adoptieren können. Das fand ich echt toll. Aber er kriegt sein Geld ja auch nicht aus Ungarn.
Anita: Naja, er ist in der Nationalelf, das ist schon mutig. In Ungarn wurden zum Deutschlandspiel die Stadien und das Opernhaus aus Protest in Nationalfarben beleuchtet. Das war krass. An dem Tag, als über das Gesetz abgestimmt wurde, hat Ungarn gegen Portugal gespielt. Ich war so sauer, ich habe gesagt: Jetzt unterstütze ich Portugal.
Réka: Das finde ich so schlimm, wenn man das Gefühl hat: Ich muss mich schämen, dass ich aus Ungarn komme. Man sollte eine gesunde Beziehung zur eigenen Nation haben. Wegen der Regenbogenfarben waren wir auch ein bisschen für Deutschland.
Was würde euch, abgesehen von Regenbogenfahnen, wirklich helfen?
Réka: Geld an der Basis: wenn irgendwie die Regierung ausgeschlossen werden könnte und die EU-Gelder direkt an die Organisationen und Städte gehen, an verschiedene Projekte. Ich finde es krass, dass die EU so viel Geld für Orbán und seinen Freundeskreis ausgibt. Es sollte von unten aufgebaut werden, das würde uns viel helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich