Debatten innerhalb Communitys: Zwischen Kritik und Schadenfreude

Ob Antisemitismus in der Antirassismusszene oder Transfeindlichkeit unter Feminist_innen: Es passiert. Nur ist es schwer zu ertragen.

Teufelsfigur macht eine lange Nase

Bei Kritik wird man schnell von den dogmatischsten Mitgliedern als NestbeschmutzerIn diffamiert Foto: Volker Derlath/imago-images

Der Nachdenkmonat Juni ist vorbei, aber eine Mood wird mir bleiben: Bei allen gemeinsam erlebten Kämpfen ist keine Community oder Szene, egal wie links, feministisch oder queer, frei von Machtgefällen. Die perfekte Gemeinschaft gibt es nicht, wie sollte sie auch aussehen? Homogenität halte ich für so wenig erstrebenswert wie realistisch, eher Pluralität. Doch auch die birgt Reibungsflächen, wie nackte Oberschenkel, die in der Hitze beim Laufen ins Scheuern geraten. Ans Ziel tragen sie eine_n trotzdem.

Sei es Rassismus und Sexismus in weiß-männlich dominierten linken Räumen, Antisemitismus in der Antirassismusszene oder Transfeindlichkeit unter Feminist_innen: All diese Strukturen durchziehen zwar auch die Dominanzgesellschaft zur Genüge, doch unter Genoss_innen oder Geschwistern fühlt sie sich schlimmer an. Darüber wird viel gesprochen und noch lange nicht ausreichend. Manche dieser Debatten finden in geschlossenen Räumen statt, andere in der Öffentlichkeit. Gerade da wird es zu einem Balanceakt: Wo verläuft denn eigentlich die Grenze zwischen solidarischer Kritik und ressentimentgeladener Empörung?

Besonders out ist es noch nie gewesen, linke, feministische oder queere Szenen vor großem Publikum zu verreißen. Die Schaulust ist riesig, vor allem für Unbeteiligte: Ausgerechnet die, die sich vermeintlich moralisch überlegen fühlen, haben ihren eigenen Dreck am Stecken! Auf die Schadenfreude über solche Fälle können sich Rechte, Konservative und Bürgis immer einigen. Ohne sich mit ihrer eigenen antisemitischen, rassistischen, misogynen, homo- und queerfeindlichen Haltung auseinandersetzen zu müssen, können sie genüsslich dabei zuschauen, wie die von ihnen verhassten Communitys in der gegenseitigen Schussbahn stehen. Nicht, dass sie sich je groß für Feminist_innen, Jüdinnen_Juden, Schwarze Menschen, migrantisierte Leute oder Queers interessiert hätten – aber Popcorn auspacken und zuschauen geht immer. Der Skandalfaktor befördert Mittelmäßigkeit auf die obersten Ränge der Hitlisten.

Jene, die aus den Szenen heraus selbst sprechen und Kritik äußern, werden dabei manchmal von den dogmatischsten Mitgliedern ihrer Communitys als Nestbeschmutzer_innen diffamiert – oder zumindest werden sie auf heftigen Gegenwind stoßen. Andere Personen waren nie Teil dieser Communitys und beteiligen sich nur an der Kritik, auf der Suche nach Clout von irgendwoher, oder als Sprungbrett zu mehr Reichweite oder aus Spaß an der Schadenfreude. In ihre Zeilen ragt oft etwas Reaktionäres, das die eigentliche Kritik überschattet. Die Frage danach, wie viel zusätzliche Entsolidarisierung sie den politischen Szenen, die teils von staatlicher Repression betroffen sind, eigentlich zumuten können, stellt sich ihnen nicht. Wie aufrichtig kann Interesse an einer Besserung sein, wenn sich in erster Linie ein regressives Publikum daran erfreut?

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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