Spitzenspiel St. Pauli gegen Werder: Auf die Freundschaft

St. Pauli und Werder Bremen vertagen beim 1:1 die Vorentscheidung um den Bundesliga-Aufstieg. Beide lassen Schalke 04 vorbeiziehen.

Daniel-Kofi Kyereh vom FC St. Pauli macht nach seinem Tor zum 1:0 gegen Werder Bremen einen Rückwärtssalto

St. Paulis Überflieger: Daniel-Kofi Kyereh jubelt über seinen Treffer Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Es war ein taktischer Fehler von Werder Bremen. Nicht von der Mannschaft oder dem Trainer, sondern vom Social-Media-Team. Das hatte am Freitag vor dem Spitzenspiel beim FC St. Pauli auf Twitter geworben, Werder würde künftig jenem Account folgen, der mit seiner Antwort die meisten Likes einsammelt. Und natürlich machten sich HSV-Fans den Jux, ihren Fanclub „HSV inside“ ganz nach vorn zu pushen.

Da half auch nichts, dass die Werderaner konterten: „Guter Versuch, aber wir folgen dem einzig relevanten Account aus Hamburg schon“ – und dazu einen Screenshot des Profils vom FC St. Pauli anhängten.

Die Freundschaft zwischen dem FC St. Pauli und Werder Bremen ist seit Jahrzehnten gewachsen. Spieler wechseln hin und her, ohne dass das der Zuneigung der Anhängerschaft großartigen Abbruch täte. Nicht einmal, dass die Werder-Fans das Millerntor am Sonnabend in grünen Nebel tauchten, wurde als besondere Provokation aufgefasst.

Ein bisschen schien es auch auf dem Platz so, als wollte man einander zumindest nichts Schlechtes. Als es nach einer Stunde 1:1 stand, wirkten beide Teams damit einigermaßen einverstanden. Sie spielten bemerkenswert fair, die einzige gelbe Karte gab es für ein taktisches Foul.

Umstrittene Szene vor dem Ausgleich

Die Sonne kam raus, das Riesenrad auf dem Hamburger Dom nebenan begann sich zu drehen, die Ultras sangen ihren Singsang, das Stadion war ausverkauft – wie früher, vor der Pandemie. Es hätte fast in Vergessenheit geraten können, dass nur noch fünf Saisonspiele ausstehen, dass hier der Zweite gegen den Ersten spielte und dass ein etwaiger Sieger einen Riesenschritt in Richtung Erste Bundesliga hätte machen können.

Die Trainer waren hinterher einig darin, nicht ganz so zufrieden zu sein: Werders Ole Werner, weil sein Team die bessere Struktur im Spiel und auch die klareren Chancen gehabt hatte – und das trotz der von Werner artig anerkannten besonderen Atmosphäre am Millerntor.

Und St. Paulis Timo Schultz, weil Werders Felix Agu vor Niclas Füllkrugs Ausgleichstreffer den Ball unter Zuhilfenahme der Hand durchgesteckt hatte und Schiedsrichter Florian Badstübner davon auch nach Videokontrolle nichts wissen wollte. Aber Schultz gab sich staatstragend: „Wenn er das so gesehen hat, müssen wir damit leben.“ Lieber verwies er auf das Positive: „Am Ende haben beide Mannschaften einen Punkt mehr auf dem Konto – und das ist auch nicht so unwichtig.“

Zu verdanken hatte St. Pauli das wieder einmal vor allem Daniel-Kofi Kyereh, der kurz vor der Pause angerauscht kam und die Führung erzielte. Der Mittelfeldspieler ist Dreh- und Angelpunkt im Team. Wenn er nicht spielt, läuft es bei St. Pauli nicht. Wenn er spielt, läuft er mehr als die meisten. Von St. Paulis letzten sechs Toren hat Kyereh vier geschossen. Gegen Werder hat er nicht nur getroffen, sondern zudem ein paar Mal am eigenen Strafraum stark geklärt.

Schalke 04, 53 Punkte, hat das schwerste Restprogramm, trifft noch auf die Spitzenteams Darmstadt, Werder, St. Pauli und Nürnberg. Dazwischen geht es nach Sandhausen.

Werder Bremen, 53 Punkte, muss noch gegen Schalke und Nürnberg antreten. Für Gegner Holstein Kiel geht es noch gegen den Abstieg, für Regensburg und Aue vermutlich um nichts mehr.

Der FC St. Pauli, 52 Punkte, hat noch die Aufstiegskonkurrenten Nürnberg, Darmstadt und Schalke vor sich sowie die wiedererstarkten Kellerkinder Sandhausen und Düsseldorf.

Darmstadt 98, 51 Punkte, muss noch gegen Schalke und St. Pauli ran, für Düsseldorf könnte es noch um wichtige Punkte gehen, für Aue und Paderborn eher nicht mehr.

Der 1. FC Nürnberg, 49 Punkte, bekommt es noch mit den Konkurrenten Werder, St. Pauli und Schalke zu tun. Dazwischen liegen die abstiegsbedrohten Klubs Sandhausen und Kiel.

Der HSV, 45 Punkte, hat vermeintlich leichte Aufgaben: Karlsruhe, Regensburg und Rostock sind gesichert. Aber Ingolstadt und Hannover kämpfen noch gegen den Abstieg.

Der 1. FC Heidenheim, 45 Punkte, scheint abgeschlagen, spielt aber erst gegen abstiegsgefährdete Auer, Kieler und Düsseldorfer und dann gegen gesicherte Karlsruher und Regensburger.

Das ist sehr gut für St. Pauli, und es ist auch gefährlich. Die Mannschaft ist so abhängig von ihm, dass er, nachdem er sich mit Ghanas Nationalelf für die WM qualifiziert hatte, in Rostock vergangene Woche sofort wieder spielen musste. Kyereh war platt, spielte schwach. St. Pauli verlor, was in der Endabrechnung um den Aufstieg vielleicht mehr schmerzen wird als das Unentschieden gegen Werder.

Kyereh hat in letzter Zeit immer wieder gesagt, dass er gern in der ersten Liga spielen würde, am liebsten mit St. Pauli. Es scheint, als könne nur er selbst sich diesen Wunsch erfüllen. Falls nicht, ist kaum vorstellbar, dass er am Millerntor bleibt, zumal sein Vertrag im kommenden Jahr ausläuft, der von der Pandemie wirtschaftlich gebeutelte FC St. Pauli also nur noch in diesem Sommer Aussichten auf eine Ablösesumme hätte. In der Gerüchteküche wurde zuletzt Werder als möglicher Interessent gehandelt. Es könnte einer dieser Wechsel unter Freunden werden.

Dafür müsste allerdings Werder aufsteigen. Und während man sich am Millerntor die Punkte teilte, ist in der engen Spitzengruppe der FC Schalke vorbeigezogen und hat mit einem 3:0 gegen Heidenheim schon wieder ordentlich was fürs Torverhältnis getan. Aber St. Pauli und Werder haben es selbst in der Hand, könnten die Schalker noch abfangen: Beide müssen noch nach Gelsenkirchen.

Nach dem Spiel steht eine Gruppe gut gelaunter Werder-Fans vor dem Station, die Bierbecher von drinnen noch in der Hand. Einer sagt: „Das war ja heute eher so familienfreundlich. Ich freu’ mich schon auf in zwei Wochen gegen Schalke. Das wird dann eher so … Hass.“

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