Spitzenduos für die SPD: Visionäres Allerlei
Mit den bisherigen Kandidat*innen findet die SPD ganz sicher nicht aus ihrer inhaltlichen Leere. Warum es eine Grande Dame wie Gesine Schwan braucht.
S elbst wenn richtig ist, dass die sozialdemokratische Suche nach einem Spitzenduo das Publikum über diese Partei hinaus eher langweilt als mitreißt, ja, gar mitfiebern lässt: Falsch wäre es, zu glauben, in der SPD herrsche ebenfalls ein gleichmütiges Desinteresse an der Frage, wer die Nachfolge von Andrea Nahles antritt – wer also letztlich das Erbe der SPD-Granden Kurt Schumacher, Willy Brandt oder Gerhard Schröder antreten kann und will.
Hört man sich um, ergibt sich das gleiche Bild, wie es auch in den medialen Bildern zu erkennen ist: nicht allein Verzweiflung, sondern Erschöpfung und Trostlosigkeit. Schmerzlich wird realisiert, dass die Partei von Kanzlerin Angela Merkel gar Mitleid mit ihren politischen Partnern von der SPD empfindet: Wenn der klassische Gegner einen zu schonen beginnt, wird es, was den eigenen Glauben an eine gloriose, wenigstens überlebensfähige Zukunft angeht, echt übel.
Tatsächlich zeigt das Tableau der möglichen Kandidat*innen für die künftige Doppelspitze das versammelte Elend einer Partei, die selbst kaum mehr zu wissen scheint, warum es sie noch geben muss:
Da erklären Olaf Scholz, Hubertus Heil und das Trio der Übergangsparteiführung, Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer, für den höchsten Parteiposten nicht zur Verfügung zu stehen; Franziska Giffey scheint, ihres schwebenden Doktortitelaberkennungsverfahrens wegen, ebenso wenig zu wollen. Einer wie Stefan Weil, weltberühmt rund um Hannover und politisch viel weniger glamourös, als die meisten seiner ihn lobenden Beobachter*innen glauben machen wollen, will ebenso wenig.
Kluge, erfahrene Kandidaten – ohne Durchsetzungskraft
So bleibt denn bislang nur Personal aus der zweiten bis dritten Reihe: der wirtschaftsnahe Robert Maier, außerdem der ewige Karl Lauterbach, der mit der Umweltpolitikerin Nina Scheer Ansprüche angemeldet hat. Simone Lange, die schon gegen Nahles als Oberbürgermeisterin von Flensburg tapfer ins Rennen ging (und verlor), will die Liebe der Partei zusammen mit ihrem Bautzener Kollegen Alexander Ahrens gewinnen.
Alles noble Menschen, klug und erfahren, keine Hallodris, keine politischen Anti-Etablishment-Leute, wie es Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party war, bevor er den Thron der ehemaligen Arbeiterpartei erobern konnte. Aber diese Kandidat*innen sollen in der Parteiführung relevante, also auch durchsetzungsfähige Impulse setzen gegen die amtierenden Bundesminister?
Aus dem Willy-Brandt-Haus, der kulturell immobilsten Institution der SPD? Die sollen Einfluss haben auf einen wie Olaf Scholz, letztes echtes Schwergewicht in seiner Partei, prominent seit Gerhard Schröders Kanzlerjahren? Das glauben sie sicher nicht einmal selbst.
Die einzige Differenz, die etwa das Duo Lauterbach/Scheer zu seinen Konkurrent*innen hervorhebt, ist: Raus aus der Groko, ein Ende der Gefangenschaft in der Regierung, die ja notwendigerweise oppositionelle Gefühle weckt, aus welchem politischem Spektrum auch immer. Als hätte die SPD nicht größere, viel größere Probleme als das Dasein in der sogenannten Großen Koalition. Nämlich eine programmatische Leere, besser: ein visionäres Allerlei, formuliert zugunsten jener Menschen, die von der grünen Wucht um Robert Habeck und Annalena Baerbock nicht angefixt sind.
Opposition ist scheiße
Denn was möchte die SPD, wenn sie aus der Großen Koalition ausscheiden würde und Neuwahlen anstünden? Hat der einflussreiche Seeheimer-Genosse Johannes Kahrs nicht recht, wenn er – was er seit dem rot-grünen Ende 2005 tut – sagt: Opposition ist scheiße? Und selbst wenn die SPD im Bundestag in der Opposition säße – gewählt von wahrscheinlich nur noch 12 Prozent: Was wäre damit programmatisch gewonnen?
Ein Blick auf die politische Praxis der SPD, egal auf welcher Ebene, besagt: nichts. Denn woran es ihr mangelt, ist eine die Mitglieder einigende Vision, für die sie stehen will. Einerlei, welche Zukunftsfrage aktuell erörtert wird, in erster Linie haben atmosphärisch und programmatisch, was das linke und linksliberale Spektrum angeht, die Grünen den Zeitgeist auf ihrer Seite. Sie sind immer schon da, ihnen traut man (vieles zu), ob nun berechtigt oder unberechtigt.
Die SPD hingegen ist, wie schon viele analysiert haben, die Partei der Bürovorsteher*innen, der Organisator*innen und Moderator*innen von Prozessen, die sie indes kaum mitzugestalten vermögen.
Die SPD verhandelt ihre Zukunft innerparteilich, ohne dass an ihr gesellschaftliche Sehnsüchte hängen. Dass jetzt Malu Dreyer, die durchaus erfolgreiche Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, davon redet, man könne sich auch Rot-Rot-Grün vorstellen, ignoriert, dass diese Koalition vom Wahlpublikum nicht gemocht wird.
Letzte Chance: Schwan
Davon abgesehen, dass die meisten Grünen die politische Traumgespinstlandschaft nicht (mehr) wollen, weil sie so wahnsinnig gestrig wirkt: Wer um die mittlere Kaderlandschaft von Linkspartei und SPD weiß, kann nicht ernsthaft annehmen, da käme bei ihnen Freude auf ob der politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Dreyers Idee – ein scheinradikaler Verzweiflungsruf aus Ratlosigkeit.
Es gibt jedoch eine Kandidatin, die gern zusammen mit einem Mann die SPD führen würde: Gesine Schwan. Sie verkörpert Verve, Intellektualität und ist niemandem in der SPD etwas schuldig. Sie kann reden, hat Charisma und Leidenschaft, strahlt mit ihren 76 Jahren mehr Frische und Angriffslust aus als die gesamte Bundestagsfraktion zusammen.
Schwan ist das Gegenteil eines Apparatschiks, was ihr größtes politisches und kulturelles Kapital sein dürfte. Dass man sie nach ihrer Mitteilung, sie könne sich vorstellen, zu kandidieren, respektlos und fast misogyn ignorierte, statt sie als politische Chance, als letzte Chance, zu begreifen, verstört fast am allermeisten.
Anders als die Grünen hat die SPD das Potenzial, auch in gesellschaftlichen Unterschichten Gehör zu finden. Dass sie das nicht mehr schafft, ist schade, sehr schade.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau