Spionageaffäre in der Bundesregierung: USA kritisieren Ausweisung
Die Deutschen sind empört, die Amerikaner verstimmt – die Spionageaffäre belastet die Beziehungen der beiden Länder immer stärker. Derweil laufen die Ermittlungen.
WASHINGTON/BERLIN dpa | Die US-Regierung hat die heftigen deutschen Reaktionen auf die mutmaßliche US-Spionage in Deutschland als unangemessen kritisiert. Die Wellen der Empörung schlagen in Deutschland aber weiter hoch. Über die beiden Männer, die ins Visier des Generalbundesanwalts geraten sind, werden derweil immer mehr Details bekannt. So soll der mutmaßliche US-Informant beim Bundesnachrichtendienst (BND) vor seiner Verhaftung über den Spionageverdacht gegen den Referenten im Verteidigungsministerium informiert gewesen sein – durch eine Anfrage des Verfassungsschutzes, die auch bei ihm landete.
In den Vereinigten Staaten stößt die öffentliche Aufregung in Deutschland auf Unverständnis. Das Thema solle nicht auf dem offenen Markt, sondern intern zur Sprache gebracht werden, forderte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest. „Alle Differenzen, die wir haben, sind am effektivsten über bestehende interne Kanäle zu lösen, nicht über die Medien.“
Scharfe Worte kamen vom Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Rogers. Der Rauswurf des CIA-Stationsleiters in Berlin sei ein „Wutanfall“ der Bundesregierung, sagte der Republikaner dem Sender CNN. „Das ist Etwas, was wir von den Russen, den Iranern und Nordkoreanern erwarten, nicht etwas, was wir von den Deutschen erwarten.“ Zugleich gab es in US-Medien Kritik an Berlin.
An diesem Sonntag wollten sich die Außenminister John Kerry und Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Rande der Wiener Atomgespräche treffen. Dabei würden auch „bilaterale Themen“ erörtert, hieß es in Washington. Die Bundesregierung hatte am Donnerstag als Reaktion auf mutmaßliche Ausspähaktionen den obersten Geheimdienstler der Amerikaner in Berlin aufgefordert, Deutschland zu verlassen.
Auswirkungen auf TTIP-Verhandlungen?
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warf den USA einen „schweren politischen Fehler“ vor. „Die amerikanische Geheimdienstpolitik ist ein Förderprogramm für den Antiamerikanismus in Europa“, sagte er dem Südwestrundfunk. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht wegen der Spionageaffäre das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA gefährdet. „Wir brauchen für ein solches Abkommen ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Zustimmung in Deutschland. Und die läuft uns im Moment wegen der Spionageaffäre davon“, erklärte er im Kölner Stadt-Anzeiger.
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte der Passauer Neuen Presse, die Verhandlungen über das Abkommen (TTIP) würden sicher nicht einfacher, „wenn die USA weiter bei uns schnüffeln und spitzeln“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte in der Welt am Sonntag, die Verhandlungen sofort zu stoppen. Zugleich warf er der Regierung vor, die tatsächlichen Probleme nicht anzugehen - die Massenüberwachung der Kommunikation durch den US-Geheimdienst NSA.
Unterdessen wurden Details aus den Ermittlungen gegen den in Untersuchungshaft sitzenden BND-Mitarbeiter und den mutmaßlichen Spion im Verteidigungsressort bekannt. Beide sollen Informationen an US-Geheimdienste geliefert haben. Der BND-Mann soll geständig sein, der Ministeriumsmitarbeiter alle Vorwürfe bestritten haben.
Referent seit 2010 im Visier
Neu sind Erkenntnisse über eine Verbindung beider Fälle. Der mutmaßliche BND-Maulwurf soll aufgeflogen sein, weil er eine Anfrage des Verfassungsschutzes zu dem Ministeriumsreferenten mit Hinweis auf den Spionageverdacht auf den Tisch bekam – und die Information dem russischen Generalkonsulat in München anbot, wovon wiederum deutsche Dienste Wind bekamen. Das berichteten die Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online sowie NDR und WDR. Bei seiner Vernehmung kam laut SZ heraus, dass er für die USA spioniert haben soll.
Der Referent der Politikabteilung des Ministeriums war den Berichten zufolge bereits seit 2010 im Visier von Ermittlern. Ein anonymer Tippgeber hatte ihn demnach beim Verfassungsschutz beschuldigt, Spion zu sein. Er soll als Berater für die KFOR-Mission im Kosovo gearbeitet haben und sich laut ZDF-Magazin „Frontal 21“ zweimal jährlich mit einem US-Amerikaner in der Türkei getroffen haben. Der Focus berichtete, der Amerikaner sei CIA-Agent und habe dem Deutschen Kurzurlaube und andere Dinge bezahlt.
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft wollte zu den Details keine Angaben machen. Ein Ministeriumssprecher sagte, es könne auch sein, dass sich der Verdacht nicht bestätige. Einen Anwalt soll sich der Verdächtigte nicht genommen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin