Spendendinner des Gesundheitsministers: Spahns Schweigekartell
Mit wem traf sich Spahn kurz vor seiner Quarantäne zum Spendendinner? Auf Nachfragen reagieren mutmaßliche Teilnehmer mit Schweigen.
Es könnte so leicht sein, wenn Jens Spahn nur wollen würde. Vor ein paar Tagen sprach der Gesundheitsminister in der Bundespressekonferenz über die Corona-Warnapp. Er sagte: „Mit wem ich beim Abendessen gesessen habe, das weiß ich und das kann ich benennen.“ Die Deutschlandfunk-Reporterin Nadine Lindner kommentierte auf Twitter dazu: „So weit zur Theorie. In der Praxis wäre das auch mal was für sein #Spendendinner …“
Tja.
Spahn will partout nicht. Und doch sickern nun Informationen zum Teilnehmerkreis des mittlerweile berüchtigten Treffens am 20. Oktober 2020 in Leipzig durch. Gastgeber war der PR-Unternehmer Peter Zimmermann, früher Regierungssprecher und Staatssekretär für CDU-Regierungen in Sachsen und Thüringen. Er hatte zum Abendessen mit dem Gesundheitsminister in sein Privathaus eingeladen, wie Spiegel-Recherchen ergaben – pikanterweise in der sich anbahnenden zweiten Coronawelle und einen Tag, bevor Spahn selbst positiv auf das Virus getestet wurde.
Seit Ende Februar ist überliefert, dass nach dem Treffen Spenden bei Spahns CDU-Kreisverband Borken eingegangen sind. Laut Bild soll Gastgeber Zimmermann – er und Spahn kennen sich seit Jahren – die Teilnehmer aufgefordert haben, jeweils 9.999 Euro für Spahns Bundestagswahlkampf zu spenden. Demnach exakt einen Euro unter der für Parteispenden festgelegten Veröffentlichungsgrenze, also legal, aber doch anrüchig.
Wer waren die Männer, die für den exklusiven Zugang zu Spahn angeblich zahlen sollten? In Leipzig kursiert seit ein paar Tagen eine Liste mit den Namen von elf Personen, die angeblich dabei waren: im Medienbereich tätige Unternehmer, ein in Leipzig nicht ganz unbekannter Medizin-Unternehmer, Rechtsanwälte, ein Computerfachmann, stadtbekannte Bau- und Immobilienunternehmer, alle seit Jahren in der Region aktiv.
Peter Zimmermann, Spendendinner-Gastgeber
Erstellt hat die Liste ein seit Jahrzehnten in der Kommunalpolitik vernetzter Akteur, der sich im Umfeld der Teilnehmer gut auskennt. Einen potenziellen zwölften Teilnehmer-Namen – das Gendersternchen ist in diesem Fall entbehrlich – reicht der Informant später nach: ein Marketing-Fachmann.
Die Liste gibt – weil nicht jeder auf ihr als tatsächlicher Teilnehmer verifiziert werden kann – kein vollständiges Bild. Aber doch einen guten Eindruck von der illustren Gesellschaft, in die sich Spahn im Herbst begab und über die er weiterhin nicht sprechen will.
Auf konkrete Anfragen an die potenziellen Teilnehmer reagiert zunächst der in Leipzig nicht ganz unbekannte Mediziner, gibt sich aber in einer E-Mail wenig auskunftsbereit: „Sehr geehrter Herr Meisner, ich habe von unserer Telefonzentrale von Ihrem Anruf und Interesse an einem Spendendinner erfahren. Bitte wenden Sie sich bei Fragen an meinen Anwalt, Herrn XXX. Hochachtungsvoll.“ Der Anwalt, ein bekannter Medienrechtler, lässt wissen: „Mein Mandant war überhaupt nur circa 45 Minuten auf der Veranstaltung und musste diese dann wegen einem dringenden OP-Termin verlassen. Ein Kontakt zu Jens Spahn hat nicht stattgefunden. Es wurden auch keinerlei Spenden erbracht.“ Insofern, so der Anwalt des Mediziners weiter, „besteht unseres Erachtens überhaupt kein Berichterstattungsanlass. Vielmehr verbietet sich jedwede namentliche Erwähnung unseres Mandanten in einem Artikel.“
An diese offenbar dringende Empfehlung hielt sich auch die Welt am Sonntag, die im März über die Teilnahme eines „prominenten Leipziger Medizinunternehmers“ an der Runde mit Spahn berichtete. Der Mann sei „auch als Geschäftsmann versiert“, hieß es bloß andeutungsweise. Eine seiner Firmen solle bald Systeme für die Automatisierung in Medizin und Chirurgie entwickeln und vertreiben – „wobei ein persönlicher Kontakt mit dem Gesundheitsminister hilfreich sein dürfte“, wie die Zeitung schrieb. Doch das Gesundheitsministerium lässt Fragen dazu unbeantwortet. Und der Medizinunternehmer auch.
Beobachter in Leipzig sprechen inzwischen von einem „Schweigekartell“. Denn neben dem Leipziger Medizinunternehmer und Gastgeber Zimmermann selbst wird überhaupt nur in einem weiteren Fall eine Teilnahme am Spendendinner mit Spahn offiziell bestätigt – ein Rechtsanwalt, der sich auf Unternehmensverkäufe und Firmenfusionen spezialisiert hat. Die Frage nach Spenden an Spahns CDU-Kreisverband beantwortet der Rechtsanwalt nicht.
Zimmermann selbst schreibt nach einer Journalisten-Anfrage an zwei weitere mutmaßliche Teilnehmer, die beiden Herren hätten ihn über die Fragen informiert. „Wir werden uns zu diesen von Ihnen gestellten Fragen und Mutmaßungen nicht äußern.“ Beide Männer sind seit Jahren oder sogar Jahrzehnten im Privatradio-Geschäft in Sachsen tätig gewesen, inzwischen auch Kompagnons von Zimmermann.
Sieben der mutmaßlichen Teilnehmer am Spendendinner reagieren auf Anfragen gar nicht. Warum dementieren sie nicht, wenn sie beim Essen mit Spahn nicht dabei waren? In einem Fall – dem eines weiteren Rechtsanwalts – lässt dessen Kanzlei wissen: „Eine Teilnahme können wir nicht bestätigen.“ Ist das ein hartes Dementi?
Ein solches gibt es unter den Leuten auf der angeblichen Gästeliste lediglich in einem Fall: Steffen Göpel. Auch er war als Teilnehmer vermutet worden. „Ich habe an dem Treffen nicht teilgenommen“, teilt der Immobilienunternehmer und Honorarkonsul der Republik Belarus mit. Größere Bekanntheit bekam Göpel im Mai 2020, als ihn FDP-Chef Christian Lindner nach einer Sause im Lokal „Borchardt“ innig und ohne Mundschutz umarmte. Göpel unterhält Geschäftsbeziehungen zu mehreren angeblichen Gästen Peter Zimmermanns am 20. Oktober – aber in seinem Fall hat sich das Gerücht über eine Teilnahme nicht bestätigt.
Doch auch so erfüllt das Netzwerk der mutmaßlichen Teilnehmerrunde typische Klüngel-Anforderungen: gemeinsame Firmen, regelmäßige Geschäfte. Manche sitzen miteinander im Kuratorium des Leipziger Opernballs, andere begegnen sich beim Golf-Charity-Turnier. Einige haben eine Immobilie oder sogar einen Zweitwohnsitz auf Mallorca, auf dem sogenannten „Sachsenhügel“.
Zimmermann, befragt zu der Runde, erklärt, er rufe „nur aus Höflichkeit“ zurück: „Ich werde mich dazu nicht äußern. Es war ein privater Abend in meinem privaten Haus.“
Aufklärung könnten Spahn selbst und die CDU geben. Doch sowohl Spahns Büroleiter im Bundestag als auch der CDU-Kreisgeschäftsführer in Borken verschicken an Journalist:innen die immer gleichen Textbausteine. Spahn sei laut Kalendereintrag „ca. eineinhalb Stunden bei dem Abendessen dabei gewesen“, schreibt der Büroleiter, „es wurden Fragen zur aktuellen politischen Lage diskutiert“. Und: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir die Teilnehmer-Liste einer nicht-öffentlichen Veranstaltung nicht kommentieren.“ Fragen zu den „im Nachgang der Veranstaltung“ eingegangenen Spenden seien an den CDU-Kreisverband Borken zu richten. Dort verweist man lediglich darauf, dass eingehende Spenden „entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen“ verbucht würden.
Das Gesundheitsministerium hat auf mehrere parlamentarische Anfragen, zuletzt erst kürzlich, erklärt: „Bundesminister Jens Spahn hat in seiner Funktion als Mitglied des CDU-Präsidiums an dem Termin teilgenommen.“
Sören Pellmann, Bundestagsabgeordneter der Linken
Eine Parteisprecherin sagt dazu auf Anfrage, in der Parteizentrale sei davon vorher nichts bekannt gewesen. Präsidiumsmitglieder müssten solche Termine „auch nicht anmelden“. Sie vermute, das Ministerium habe deutlich machen wollen, dass Spahn nicht in seiner Funktion als Minister in Leipzig gewesen sei. „Vielleicht war das verfrühte Kommunikation. Mit der Pressestelle der CDU Deutschlands war sie jedenfalls nicht abgesprochen.“
Für Gastgeber Zimmermann ist das Spendendinner mit Spahn nicht die einzige Verbindung zu CDU-Regierungspolitikern. Der Linkspartei in Sachsen ist aufgefallen, dass ihn seine Firma Wolffberg Management Communication auf ihrer Homepage gemeinsam mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zeigt. Zudem heißt es dort: „Wolffberg begleitet das sächsische Innenministerium bei der Kommunikation in den Zeiten der Krise.“ Der sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Rico Gebhardt hat dazu einen langen Fragenkatalog an die sächsische Staatsregierung geschickt. Die Antworten stehen noch aus.
Der Leipziger Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann sagt der taz, es würden von der Bundesregierung „mehrere dicke Nebelbänke“ über den Termin mit Spahn gepackt, er spricht von „verordneter Geheimniskrämerei“: „Der Unwille, seitens des Ministers auch nur andeutungsweise zur Aufklärung beizutragen, nährt recht deutliche Vermutungen. Irgendjemand muss die illustre, verschwiegene Runde ja zusammengestellt haben, die sich nicht spontan zu einer allgemein zugänglichen Diskussionsrunde traf, sondern zu einem offensichtlich gezielt eingehegten Dialog.“
Für die Beteiligten ist das Schweigegelübde praktisch. Der Linken-Abgeordnete Pellmann hatte im März eine schriftliche Frage an die Bundesregierung gerichtet und sich erkundigt, ob es Geschäftsbeziehungen zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Leipziger Medizinunternehmer gibt, von dem zuerst die Welt anonymisiert geschrieben hatte.
Am Gründonnerstag erhielt Pellmann von Spahns Ministerium die Auskunft: „Die Person wird in dem vom Fragesteller angegebenen Zeitungsartikel namentlich nicht genannt. Eine konkrete Zuordnung hinsichtlich der gestellten Frage ist daher nicht möglich.“
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