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Spannungen zwischen China und der EUPekings asymmetrische Antwort

Die nun verhängten gegenseitigen Sanktionen sind ein Wendepunkt. Doch Peking dürfte sich bei seiner Vergeltung verkalkuliert haben.

Ein uigurischer Mann vor Bereitschaftspolizisten (Archivbild von 2009) Foto: Diego Azubel/dpa

Peking taz | Chinas Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem die Außenminister der Europäischen Union am Montag erstmals seit über drei Jahrzehnten vier chinesische Parteikader wegen Unterdrückung der Minderheit der Uiguren sanktioniert hatten, strafte die Regierung in Peking ihrerseits zehn europäische Politiker und Akademiker sowie vier Institutionen ab. Diese dürfen künftig weder nach China einreisen noch dort Geschäfte machen.

Ganz gleich, wie man zu den EU-Maßnahmen steht: Unter praktisch allen Fraktionen der China-Beobachter herrscht Konsens, dass es sich um einen Wendepunkt in den gegenseitigen Beziehungen handelt.

Matej Šimalčík von der slowakischen Denkfabrik Central European Institute of Asian Studies bezeichnet Chinas Vergeltungsaktion öffentlich als „schwerwiegende strategische Misskalkulation“. Zum einen, weil Pekings Antwort unverhältnismäßig ausfällt – die EU sanktionierte vier Personen, China hingegen zehn – und damit die Spannungen weiter eskalieren lässt. Zudem bringt Pekings Vergeltung die EU näher an die USA und lässt die Fraktion, die der Volksrepublik gegenüber gutmütig eingestellt ist, endgültig schwinden.

„Lasst es mich klar ausdrücken: Diese Sanktionen sind mein Ehrenabzeichen. Der Kampf geht weiter!“, schreibt etwa der französische EU-Parlamentarier Raphaël Glucksmann auf seinem Twitter-Account.

Größtes China-Forschungszentrum Europas betroffen

Wie kontraproduktiv Chinas Ansatz ist, demonstriert vor allem die völlig überraschende Sanktionierung des Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. „Es ist das größte China-Forschungszentrum nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa“, schreibt das ultranationalistische Parteiblatt Global Times: „Wenn dessen Beziehungen zu China abgebrochen werden, wird sein Einfluss kritisch getroffen“.

Was wie eine Jubelmeldung klingen soll, ist doch eher ein politischer Schuss ins Knie: Denn Merics ist eine der wenigen Institutionen, die trotz der aufgeheizten politischen Stimmung zu differenzierten Sichtweisen und gegenseitigem Verständnis aufrufen. Wenn der Austausch zwischen China und dem Westen also vollständig abgeschnitten wird, wie auch immer mehr Stimmen in den USA fordern, bleiben am Ende nur mehr die Hardliner übrig.

Pekings Vergeltung zeigt auch die unterschiedlichen Auffassungen der zwei politischen Systeme: Zwar kritisiert auch Chinas Regierung vermeintliche Menschenrechtsverbrechen des Westens und dessen Doppelmoral, doch würde sie niemals Politiker hinter Washingtons Angriffskriegen oder etwa dem Lager in Guantanamo sanktionieren.

Innenpolitischer Machterhalt, außenpolitische Umformung

Der Volksrepublik geht es fast ausschließlich darum, sich die Einmischung in „innere Angelegenheiten“ zu verbieten. Denn das, was die Kommunistische Partei vor allem umtreibt, ist die eigene Machtsicherung. Das bedeutet allerdings auch, dass sie zumindest in Teilen auf eine Umformung demokratischer Staaten hinarbeitet: Dort nämlich, wo die öffentliche Meinung den Herrschaftsanspruch der KP bedroht, möchte sie den Diskurs unterbinden.

Die Global Times widmet dem sanktionierten EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer (Bündnisgrüne) gar einen eigenen Artikel, der sich wie zu Zeiten der Kulturrevolution liest. Darin wird dem deutschen Politiker und Ex-Maoisten vorgeworfen, sein Sinologie-Studium nicht beendet zu haben, „hinter dem Aufruhr in Hongkong“ zu stecken und von der Nato als Vorhut gegen China eingesetzt zu werden.

Bütikofer bezeichnete das chinesische Vorgehen als „frech“ und „lächerlich“. „Die Führung will hier demonstrieren, dass sie die Meinungsfreiheit nicht nur im eigenen Lande unterdrücken, sondern durch Einschüchterung auch die Europäer daran hindern will“, sagte er dem Mannheimer Morgen.

Peking bestellt EU-Botschafter ein

Die gegenseitige Eskalationsspirale dreht sich unterdessen weiter. Ein für Dienstag angesetztes Treffen im Europäischen Parlament zur Diskussion des EU-China-Investitionsabkommens wurde bereits abgesagt. Gleichzeitig hat das Außenministerium in Peking den EU-Botschafter Nicolas Chapuis einbestellt.

An einer Aufarbeitung des Kernproblems, den Menschenrechtsverbrechen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang, ist Chinas Regierung nicht im Ansatz interessiert. Stattdessen wird jede Kritik grundsätzlich als Diffamierung und Lüge abgetan.

Am Dienstag sagte Außenministeriumssprecherin Hua Chunying, die Meinung der EU-Parlamentarier basiere auf „Lügen und Falschinformation“ und die „unschuldigen Opfer“ – also die chinesische Regierung – habe das „Recht, ihre eigenen Interessen und ihre Würde zu verteidigen“.

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13 Kommentare

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  • "Doch Peking dürfte sich bei seiner Vergeltung verkalkuliert haben."



    Ich befüchte leider, dass Herr Kretschmer sich hier, von Wunschdenken leiten lässt und etwas eurozentristisch täuscht, statt das Bild, das die EU noch abgibt, von außen wahrzunehmen.



    Der China-US Gipfel in Anchorage, wo wenigstens Tacheles geredet, aber dabei der chinesischen Delegation das protokollarische Minimum an Gastfreundschaft vorenthalten wurde, hat aufgezeigt, dass es tatsächlich um ein hegemoniales Konkurrenzverhalten selbsternannter Großmächte geht. Als solche wird die EU seitens China vermutlich gar nicht wahrgenommen, da auch geografisch weit weg und taktisch in oportunistisch divergierende Einzelstaaten zerlegbar (zumindest die Länder des früheren "Ostblocks"). Das Know-How hat China längst kopiert und in vielen Bereichen selbst weiterentwickelt, die Märkte mit billiger Massenproduktion weitgehend eingenommen. Das Konkurrenzverhalten, dass die USA und auch SU und vielleicht Indien nicht nur wirtschaftlich, sondern auch machtpolitisch und pathetisch vorleben, gepaart mit dem Zwang, innenpolitische, systemgefährdend wahrgenommene Kritik im eigenen Land zu unterdrücken, stimuliert die chinesische Nomenklatura, suprematistisch Nr. 1 als Weltmacht zu sein, dabei die umgebende Vielfalt, Diversivität nach und nach auszuschalten und aufzusaugen. Wie zuvorderts bei den Anrainern im südchinesischen Meer, in Südwestasien, behutsam, aber skrupelos in Afrika. Erfolgreich ferner u.a. in Cuba, da dort die US-Kolonialpolitik ein anhaltendes humanes Desaster anrichtet. Hinterherhinkende oder noch instabile Großmächte wie Russland und Indien lassen sich dabei in Konkurrenz zu USA und EU durch China verhältnismäßig einfach instrumentalisieren.Die EU ist da als Konkurrenz und nur optionaler Partner vermutlich zunächst ziemlich unwichtig. Die chinesische Überreaktion ein kalkulierter Schuss vor den Bug, um Ruhe zu haben. Die Folgen der von hier aus gesehenen Unmäßigkeit dürfte China gleichgültig sein.

  • @S.R., @FRIENDLYBLOB:

    Ja, Zustimmung. Aber auch @FRIENDLYBLOB: Propaganda halt. Wir würden es uns aber zu leicht machen wenn wir uns nur die Lügen herauspicken, um das Etikett "vermeintlich" über alles kleben zu können. Das wäre Gegenpropaganda.

  • China leidet permanent unter Realitätsallergie, Stichworte Tibet, Tian-an-men-Massaker etc.



    Menschenrechte sind ganz schlicht eine europäische Errungenschaft, in China existieren sie nur solange, wie es den Regierenden gefällt

    • @Kaboom:

      Gut angemerkt, Errungenschaft, nicht Erfindung, wie Altkanzler Helmut Schmidt gerne in den Mund gelegt wurde. Die Politik des Abolitionismus war auch nicht gleich globaler Konsens. Unterstützung unterdrückter Minderheiten ist humanistischer Habitus. Soziale und ethnische bzw. religiöse Bewegungen respektieren auf Dauer keine obskuren und repressiven Konstrukte, autoritäre Staaten keine Opposition. Kompromisse, wie die "Politik der (opportunistisch differenzierten) Nichteinmischung" u.a. von Kissinger und Schmidt, sind inakzeptabel für unser gegenwärtiges demokratisches Selbstverständnis mit gewachsenem Selbstbewusstsein in Deutschland. Der EU-Grüne Reinhard Bütikofer als Repräsentant und Galionsfigur ist Persona non grata, aktuelles "Upgrade". Das Veto für einen dauerhaften Sitz im UN-Sicherheitsrat uns ist als unbequemem Partner gewiss. Mal sehen, wie der Chefdiplomat des Auswärtigen Amtes die Wogen glätten kann. Diplomatie hat ihre eigenen Gesetze, bei den Signalen fängt es an.

    • @Kaboom:

      Die Menschenrechte enden eben an den ausgrenzen der EU. Soviel zum Thema sie existieren nur solange es den Regierenden gefällt.

  • Die chinesische Regierung als „unschuldige Opfer“ zu autoporträtieren liegt irgendwo zwischen Megachuzpe und faschistischer/stalinistischer Realitätsverweigerung, wie wir sie auch von Figuren wie Trump und Bolsonaro und Duterte & Co. kennen. Wobei letzere die jeweiligen Länder die sie heimsuchen, (noch) nicht gänzlich unter ihre Gewalt gebracht haben wie ein Xi.



    Jedenfalls ist es ein angebrachtes und überfälliges Zeichen, dass die EU gesetzt hat. Dass sie, die EU, auf dem Weg der zunehmenden Totalisierung und Brutalisierung eines sich aufpanzernden Schreckenstaats nicht wegschauend mitgehn kann und will. Weil es ausser der Heilig-Kuh Ökonomie halt auch noch so was wie un(ver)kaufbare Werte gibt. Die leicht zu verlieren und unglaublich schwierig und unter vielen Opfern wiederzueringen sind.



    Bleibt zu hoffen, dass solche Schritte nicht nur gegenüber Chinas Mächtigen, sondern auch alle anderen in gleichem Schlächterkanonenboot Befindlichen, egal welcher Staaten und „Systeme“, unternommen werden.

  • Für mich sieht es ganz so aus, als wähne sich die chinesische Regierung mit dem Rücken zur Wand. Die Show, "wir haben die dicksten Hosen", das exaltieren der Nationalgefühle, die Erzählung, "von aussen angegriffen zu werden" und "zusammenhalten zu müssen" wird doch immer in solchen Situationen als letztes Mittel ausgepackt.

    Vermutlich sehen sie das Ende des Wachstums. Das wurde bisher extrem durch Auslandsnachfrage befeuert -- die war aber spätestens in den frühen 2000er fertig. Die "entwickelten" Wirtschaften (EU, USA) haben fertig, die Reallöhne der "Mittelklasse" sind seit der 1970er-1980er nicht mehr richtig gestiegen.

    Wenn aber die chinesische Wirtschaft nicht mehr steigt, dann ist die Seite des Kontrakts gebrochen, die vermutlich für recht zuverlässige politische Ruhe bisher gesorgt hat. Wenn jetzt viele einsehen müssen, dass sie, anstatt etwas zu gewinnen nichts mehr zu verlieren haben... Bruchlinien gibt es in dieser Gesellschaft zu Genüge.

    Davor hat die Führung Angst. Viel Angst.

    Ein kritischer Punkt noch zum Artikel:

    "Zwar kritisiert auch Chinas Regierung vermeintliche Menschenrechtsverbrechen des Westens und dessen Doppelmoral [...]"

    "Vermeintlich" kann da weg.

    Nicht, dass ich den Zustand des Rechtsstaats in China mit dem eines, sagen wir, EU-Landes (grosse Spanne ;-) vergleichen möchte. Jedoch liegt mehr als genug vor unserer Tür, was wir aufräumen könnten: von den Flüchtingslagern Süd- und Südosteuropa über Assange & Snowden bis hin zu den geduldeten rechtsstaatlichen Abenteuern in Ungarn, Polen & Co. gäbe es wahrlich viel.

    Also bitte nicht "vermeintlich", da begibt man sich genau auf die infantile Ebene "aber Du hast mehr Dreck am Stecken, ähbäh".

    • @tomás zerolo:

      Das Vorgehen Spaniens wäre hier auch noch hinzuzufügen. Dabei ist der Skandal noch größer, denn das EU-Parlament läßt sich für spanische Zwecke instrumentalisieren wie die jüngste Aufhebung der Immunität der katalanischen Abgeordneten wieder gezeigt hat.

    • @tomás zerolo:

      Richtig, es gibt echte Menschenrechtsverbrechen die von China angeprangert werden.



      Es gibt im gleichen Maße aber auch Anschuldigungen von Seiten Chinas die man als zumindest zweifelhaft bis hin zu kreativer Auslegung der Realität bezeichnen kann. Dazu gehört zum Beispiel die Anschuldigung die USA würden im eigenen Land Afroamerikaner "abschlachten".



      Dies ist eine der Anschuldigungen die zuletzt beim treffen in Alaska erhoben wurde.



      Dies würde ich dann doch als starkes Stück und als Beispiel für "vermeintlich" bezeichnen.

      • @FriendlyBlob:

        Hmmm ... behauptet BLM nicht exakt dasselbe wie China?

  • Wenn aus Sicht Chinas alles auf Lügen beruht, können Sie möglichst viele westliche Journalisten nach Tibet und zu den Uiguren lassen. Dann können sie die Wahrheit berichten.

    • @ganzjahres Reichweite:

      Es wurde doch von chinesischer Seite angeboten dass EU Beobachter nach Xinjiang reisen können um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Dieses Angebot wurde von der EU bis heute nicht angenommen.

    • @ganzjahres Reichweite:

      Hongkong bitte nicht vergessen.

      Chinas KP-Führung verletzt fortgesetzt seine Verpflichtungen aus der chinesisch-britischen gemeinsamen Erklärung zu Hongkong und dem Grundgesetz von Hongkong die vom Premierminister der Volksrepublik , Zhao Ziyang, am 19. Dezember 1984 in Peking unterzeichnet wurde.