piwik no script img

Spannungen im Nahen OstenChancen für Krisendiplomatie

Kommentar von Lisa Schneider

Eine Eskalation im Nahen Osten steht im Raum. Doch nüchtern betrachtet käme ein Flächenbrand beiden Seiten nicht gelegen – das gibt Hoffnung.

Foto: Leo Correa/ap

D ie Islamische Republik Iran muss nur drohen – und schon steht die Region still. Seit der Tötung von Hamas-Politbürochef Ismael Hanijeh in einem Gästehaus der Revolutionsgarden in Teheran wartet die Welt auf die angekündigte Rache des Iran. „Eine neue Phase des Kriegs“ kündigte Hassan Nasrallah an, Chef der vom Iran unterstützen Miliz Hisbollah im Libanon.

Wann, wo und wie genau bleibt seit Tagen offen. Der Iran ist mit seiner Eskalationsrhetorik so vorangeprescht, dass er wohl irgendetwas wird tun müssen, um nicht das Gesicht zu verlieren. Wer mit der Vernichtung Israels gedroht hat, kann sich danach kaum mit fragiler Ruhe begnügen.

Die USA fahren nun die vollen diplomatischen Geschütze auf, mit Bitten und mit Drohungen. „Es ist dringlich, dass alle in der Region die Situation genau betrachten, das Risiko der Fehlkalkulation verstehen und Entscheidungen treffen, die die Wogen glätten und nicht verschärfen“, erklärte US-Außenminister Anthony Blinken einerseits – auch an Israel gerichtet. Und das US-Militär verlegte andererseits Kriegsschiffe ins Mittelmeer und an den Persischen Golf sowie Kampfflugzeuge in die Region. Während die Krisendiplomatie sich im Vordergrund abmüht, bereiten sich im Hintergrund beide Seiten vor.

Eine Eskalation könnte so aussehen: In Anlehnung an den direkten Angriff seitens des Iran auf Israel im April könnte die Islamische Repu­blik versuchen, die Luftabwehr Israels zu überwinden. Das ist ihr beim letzten Versuch nicht geglückt. Das Arrow-System hielt stand, und Verbündete halfen beim Abschuss der nach Israel zielenden Raketen.

Die Schwachstellen der israelischen Luftverteidigung

Die Luftverteidigung Israels hat drei größere Schwachstellen: Die schiere Masse könnte die Systeme – die Raketen auf anfliegende Geschosse feuern und diese in der Luft explodieren lassen – verwirren, es würden dann nicht mehr alle Raketen abgefangen; Städte sowie Militärinfrastruktur könnten getroffen werden. Doch wie auch der Iran hatte Israel nun Zeit, sich vorzubereiten. Und es ist zu erwarten, dass zumindest die USA wieder an der Seite ihres Verbündeten stehen werden.

Israel hat momentan kaum Interesse daran, den Krieg mit dem Iran auszuweiten. Zu viele Ressourcen sind noch in Gaza eingebunden.

Die zweite Schwachstelle sind Antipanzerraketen, die aus dem Südlibanon auf Nordisrael abgefeuert werden. Gegen die Antipanzerraketen gibt es kein Schutzsystem – aufgrund ihrer geringen Reichweite sind sie aber nur nah der Grenze relevant.

Auch die Hisbollah im Libanon – ebenso die Huthis im Jemen, die Hamas in Gaza und weitere Milizen in Syrien und dem Irak – könnte in einen koordinierten Angriff einsteigen. Die Hisbollah könnte ihren anhaltenden Beschuss massiv ausweiten – auf ganz Israel. Die dritte Schwachstelle ist die Abwehr von Drohnen.

Laut Militäranalysten könnten sie dem Luftüberwachungssystemen Israels leichter durchrutschen. Und dass Iran und seine Milizen lernen, Drohnen besser einzusetzen, zeigten die vergangenen Wochen: Im Juli explodierte im Herzen von Tel Aviv eine Drohne, die wohl von den Huthis im Jemen abgefeuert wurde.

Auch aus dem Norden schaffte es jüngst eine Drohne unentdeckt auf israelisches Gebiet und verletzte nahe der Stadt Naharija in Nordisrael fast 20 Menschen teils schwer. Und eine Überwachungsdrohne der Hisbollah, die im Juni Videos von sensibler Infrastruktur machte, bewegte sich ebenso unentdeckt durch den Luftraum.

Doch auch der Iran hat massive Schwachstellen – vor allem in seiner Verteidigung. Raketen und Drohnen abzufeuern ist verhältnismäßig billig und einfach. Sich zu verteidigen, Geschosse zu orten, abzufangen und sie kontrolliert zu zerstören ist indes komplizierter.

Iran agiert taktisch

Der strauchelnden Wirtschaft des Iran ist gerade die Ölproduktion wichtig – und Israel sind deren neuralgische Punkte sicher bekannt. Auch die für das iranische Atomprogramm genutzte Infrastruktur ist relativ schutzlos. Dass dem Iran das bewusst ist, zeigt wohl auch der berichtete jüngste Kauf von Luftabwehranlagen aus Russland.

Die Islamische Republik agiert taktisch. Nun steht wohl eine neue Runde der Geiselverhandlungen an. Wenn dieses Mal eine Lösung gelingt, werden sie und die Hisbollah den Erfolg wohl für sich reklamieren. Außerdem arbeitet der Iran weiter an der nuklearen Aufrüstung und könnte nur noch Wochen von der Atombombe entfernt sein. Und auch Israel hat wohl momentan kaum Interesse daran, den Krieg mit dem Iran auszuweiten: Zu viele militärische Ressourcen sind noch in Gaza eingebunden.

Auch ein gemäßigter Vergeltungsschlag des Iran könnte Leben kosten. Doch eine massive Eskalation käme gerade beiden Parteien weniger gelegen – und die Chancen auf zumindest einen Teilerfolg der Krisendiplomatie stehen verhältnismäßig gar nicht so schlecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin für Nahost
Redakteurin für Westasien & Nordafrika.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • "Außerdem arbeitet der Iran weiter an der nuklearen Aufrüstung und könnte nur noch Wochen von der Atombombe entfernt sein."

    Ich frage mich, in wessen Interesse es ist, dass der Iran (ob in Wochen oder 18 Monaten, danke für das Zitat @Sam Spade) über Atombomben verfügt.

    Wenn das nicht erwünscht ist, muss wohl ohnehin gehandelt werden, unabhängig von der Situation in Gaza. Oder sehe ich das falsch?

    Ich gehe davon aus, dass in der dortigen Region Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und Israel nicht wollen, dass der Iran Atombomben besitzt.

    • @*Sabine*:

      Es wurde bereits mit zahlreichen Sanktionen gehandelt. Was würden Sie vorschlagen? Einen Krieg mit dem Iran?



      Ich finde die Tatsache, dass Israel mit dieser rechtsextremen Regierung über Atomwaffen verfügt ebenso beängstigend. Vor allem nachdem einer der rechtsextremen in der Regierung schon Anfang des Krieges vorgeschlagen hatte, man könne doch Atomwaffen in Gaza einsetzen...

    • @*Sabine*:

      Im Interesse des Irans, offensichtlich.

      Vorab: ich wünschte, es hätte nie Atomwaffen gegeben, und überall dort, wo sie bisher eingesetzt wurden, haben sie unermessliches Leid gebracht, das bis heute andauert.

      Aber: es gibt sie leider nun mal, und abgesehen von den vielen anderem Risiken, die das birgt: derjenige, der sie hat, hat damit die ultimative strategische Option, die ihn in jeder Verhandlung mindestens größte Vorteile bringt (außer natürlich, die 'andere' Seite hat die gleiche Option - Gleichgewicht des Schreckens usw...)

      Ist es da nicht naheliegend, dass der Iran auch nach dieser Option strebt? Rational verstehen kann ich es, bei dem Gedanken an noch mehr Vernichtungspotential wird mir zugegeben schlecht (bzw. besser: noch schlechter als eh schon).

  • "... Geiselverhandlungen an. Wenn dieses Mal eine Lösung gelingt, werden sie und die Hisbollah den Erfolg wohl für sich reklamieren."



    Ist das nicht völlig egal? Ist es nicht das Wichtigste, dass endlich die Geiseln frei kommen und der Krieg vorbei ist? Und vor allem, dass es jetzt nicht völlig ausufert? Netanyahu hat den Iran provoziert, wenn der Iran jetzt nicht reagiert, könnte Israel das ja ebenso "als Erfolg für sich reklamieren".

  • Ich bin mir nahezu sicher, dass der Iran zur Zeit jenseits aller Machtrethorik nicht den großen Krieg will. Sonst hätten sie schon losgelegt. Aber sie werden ahnen, welche Folgen ihr Tun für ihr eigenes Machtgebilde hätte.

  • "arbeitet der Iran weiter an der nuklearen Aufrüstung und könnte nur noch Wochen von der Atombombe entfernt sein"

    Zu obigen Zitat aus dem Artikel ein Auszug aus ZDF heute "Wie nah ist der Iran an der Atombombe?"

    "Iran ist mittlerweile ein nuklearer Schwellenstaat und erfüllt fast alle technischen Voraussetzungen dafür, um eine Atombombe bauen zu können. Das auf 90 Prozent angereicherte Uran könnte der Iran innerhalb einer Woche herstellen, damit hätte Teheran aber nur das Spaltmaterial.

    Für eine einsatzfähige Waffe sind mehr Komponenten nötig... vom eigentlich Bau ist das Land damit aber immer noch ein ganzes Stück weit entfernt. Schätzungen reichen von sechs bis achtzehn Monaten"

    Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

    • @Sam Spade:

      Wären es Wochen, wäre die Bombe fertig.



      Der Iran will damit die USA zu Gesprächen zwingen können, aber die Bombe selbst nicht unbedingt, scheint es.



      Es ist schlimm genug, wenn der unbeherrschte Netanyahu oder Pakistan den Knopf hat.