Angst vor israelisch-libanesischem Krieg: Zwischen Panik und Sarkasmus
Im Libanon bereiten sich die Menschen auf die Ausweitung des Krieges zwischen der Hisbollah und Israel vor. Und sie fragen sich: Gehen oder bleiben?
Chahwan hat den Krieg 1975 bis 1990 im Land durchlebt, sein Erspartes durch die Wirtschaftskrise 2019 verloren und im August 2020 eine der größten nichtnuklearen Explosionen der Geschichte durchgestanden. „Es ist nur noch ein Überleben. Ich sitze hier fest und möchte – nein, ich muss – weitermachen.“ Er habe keine Energie, sein Zuhause zu verlassen und von vorne anzufangen.
Gerade schauen die Menschen in der Region auf den Iran und dessen verbündete schiitische Miliz Hisbollah im Libanon: Nach dem israelischen Anschlag auf den hohen Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukri in Südbeirut und der mutmaßlich israelischen gezielten Tötung von Hamas Politbüro-Chef Ismail Hanijeh wartet die Region darauf, wie Teheran reagiert.
„Der Libanon will keinen Krieg“
Die Diplomatie läuft im Hintergrund auf Hochtouren. Die USA drängen den Iran und Israel, einen umfangreicheren Krieg zu verhindern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefonierte mit Irans neuem Präsidenten Massud Peseschkian, Jordaniens Außenminister Ayman Safadi flog extra nach Teheran, um für Deeskalation zu werben.
„Der Libanon will keinen Krieg“, betonte der libanesische Interims-Außenminister Abdallah Bou Habib am Mittwoch bei einem Treffen mit dem australischen Botschafter. Seine Regierung setze sich für die Umsetzung der UN-Resolution 1701 ein, die besagt, dass Hisbollah-Kämpfer sich bis 30 Kilometer hinter der Grenze im Süden zurückziehen sollen – „aber die internationale Gemeinschaft muss Israel zwingen, seine Aggression gegen den Libanon und den Gazastreifen einzustellen“.
In einem Interview im Februar hatte der Außenminister zugegeben, dass die libanesische Armee die Sicherheit im Südlibanon nicht gewährleisten kann. Die Regierung halte die Hisbollah an, so zu reagieren, dass der Krieg nicht ausarte, sagte Bou Habib Anfang August. „Aber jetzt ist es nicht mehr in unserer Hand.“
Wie ängstlich die libanesische Regierung ist, zeigte sich am 30. Juli. Am Abend griff Israel ein Wohnhaus an, tötete dabei den hohen Hisbollah-Kommandeur Foad Schukr und vier Zivilist*innen, darunter zwei Kinder.
Am frühen Morgen kam die Nachricht aus Teheran, Hamas Politbüro-Chef Hanije wurde getötet – mutmaßlich von Israel. „Ich bin ins Bett gegangen und dachte: Okay, das können wir managen“, sagt Bou Habib. „Aber als ich am Morgen aufgewacht bin, dachte ich: Oje, es ist vorbei.“
Der Staat ist seit Jahren pleite
Der Staat plant für den Ernstfall, so gut es mit den dürftigen Finanzmitteln geht. Der Libanon ist seit 2019 in einer tiefen Wirtschaftskrise, der Staat pleite und auf Spenden angewiesen.
Die Weltgesundheitsorganisation hatte dem Libanon vergangene Woche rund 100 Paletten medizinischer Produkte geliefert, darunter mehr als 1.000 Notfallkoffer zur Behandlung von Kriegsverletzten. Vor allem Personal in Krankenhäusern in Südbeirut wurde die vergangenen Tage geschult und auf Notfälle mit Kriegsverletzten vorbereitet.
Die Krankenhäuser hätten einen Vorrat für vier Monate, sagt das libanesische Gesundheitsministerium. Doch kämen zu viele Menschen, könnten die Vorräte bereits nach wenigen Tagen zur Neige gehen. Sollten die Häfen oder der Flughafen von Beirut angegriffen werden, würden die Vorräte des größten öffentlichen Krankenhauses für maximal zehn Tage reichen, sagte Ministeriumsdirektor Dschihad Saadeh.
Vorbereitung auf den Ernstfall
Im Libanon sind die Menschen damit beschäftigt, sich auf den Ernstfall vorzubereiten und mögliche Szenarien im Kopf durchzuspielen. Er habe einen Vorrat an Reis, Konserven mit Linsen und Bohnen sowie Medikamenten angelegt, erklärte ein Bewohner Südbeiruts der libanesischen Zeitung L’Orient Today.
In den Dahie genannten Vierteln von Südbeirut hat die Hisbollah politisch die Macht. Dort hatte Israel neben Shukr bereits im Januar den Hamas-Kommandanten Saleh al-Aruri getötet.
„Ich habe den Horror des israelischen Psychoterrors miterlebt, seit ich sechs Jahre alt bin, und es hat mir immer Angst gemacht“ sagt die 30-jährige Yara Hijazi der taz. Der einmonatige Krieg 2006 sei sehr traumatisierend gewesen. „Ich stamme aus dem Süden des Libanon, und meine Eltern leben dort. Die Familie meiner Mutter kommt aus Sour, das ständig willkürlich angegriffen wird.“
Traumata vergangener Kriege
Viele Libanes*innen denken an vergangene Kriege zurück und die Traumata, die diese in ihren Knochen und Seelen hinterlassen haben. 2006 hatte Israel den Flughafen von Beirut angegriffen, raus ging es dann nur noch auf dem Landweg. Damals waren auch viele Deutsche über Syrien ausgereist. Doch heute ist dieser Weg versperrt.
Europäische Fluglinien wie Lufthansa oder Air France haben ihre Flüge eingestellt. Arabische Fluggesellschaften wie die libanesische MEA fliegen meist weiter – doch es gibt nicht genügend Flüge für die hohe Nachfrage, Tickets sind oft ausverkauft. Und die Preise für die kommenden Tage sind mehr als doppelt so teuer wie sonst in der Hauptsaison.
Am Flughafen drängeln sich die Menschen, viele Fluggäste warten. Rund 40 Prozent der Flüge sind verspätet, 10 Prozent fallen kurzfristig aus. An den Check-in-Schaltern bilden sich lange Schlangen. Die Verspätungen hätten zu Panik geführt, hieß es aus Kreisen des Flughafens gegenüber der deutschen Presseagentur dpa. Viele Passagiere seien frustriert, weil sie Anschlussflüge verpasst hätten.
Gehen oder bleiben?
Die Reaktionen der Libanes*innen reichen von entspannt bis panisch. Die einen haben ihre Sachen gepackt, sind, so schnell es geht, an den Flughafen gefahren, um den nächstmöglichen Flug zu nehmen – einfach nur raus. Die anderen sind entspannt und teilen Fotos vom Sommer am Strand. In eine Chat-Gruppe schickt eine Frau ein Foto vom Pool und schreibt dazu: „Ich warte hier, bis ich evakuiert werde.“
Sarkasmus sei eine Bewältigungsstrategie, sagt Yara Hijazi. Seit sechs Jahren lebt sie in Deutschland. Als die Menschen im Südlibanon im Oktober ihre Häuser evakuieren müssen, nimmt sie das mit, erzählt sie. „Ich wollte nur noch ins Flugzeug springen und bei meiner Familie sein. Das war wohl meine posttraumatische Belastungsstörung, aber, aber ich wollte bei ihnen sein.“
Sie bat ihren Chef, sechs Wochen in den Libanon reisen zu dürfen, drei Wochen lang von dort zu arbeiten. Normalerweise nutze sie drei Wochen Sommerurlaub im Libanon, um an den Strand zu gehen, zu entspannen.
„Wir sind hier zusammen, egal was passiert. Das ist besser, als weit weg zu sein und sich immer Sorgen zu machen, wie es der Familie geht.“ Solange noch zivile Flüge gehen, bleibt sie im Land. Nach Beirut käme sie selten, nur zu einer Augenlaser-Operation, der sie sich unterziehen muss. Die Klinik liegt direkt neben dem Ort des Anschlags. Zum Glück lief alles gut. „Für uns ist diese Unsicherheit leider normal. Wir leben weiter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben