Spalterische Stromautobahn: Höchstspannung in der Union
Die Thüringer CDU demonstriert mit Bürgerinitiativen gegen eine Hochspannungstrasse. Die Kollegen aus Sachsen-Anhalt sind dafür. Und nun?
SCHLEIZ taz | Vor dem Landratsamt in Schleiz wird symbolisch ein Hochspannungsmast aus Holz umgestoßen. Ungefähr 250 Demonstranten klatschen Beifall. Sie wollen die zweite Höchstspannungstrasse durch Thüringen verhindern.
Bemerkenswert ist, wer an diesem Tag neben Rednern von Bürgerinitiativen aus Ostthüringen und Oberfranken in den Beifall einstimmt. Gleich drei CDU-Landräte sind in die Kreisstadt in der Nähe der Autobahn A9 gekommen. Sogar der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Jürgen Gnauck, ist da. Er übermittelt die „herzlichsten Grüße“ von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), „die Ihnen beistehen wird“.
Das Personal hat gewechselt, doch die Bilder ähneln denen vor fünf Jahren. Auch gegen die bereits teilweise fertiggestellte „Thüringer Strombrücke“, eine 380-kV-Wechselstromleitung vom sachsen-anhaltischen Bad Lauchstädt in den Schweinfurter Raum, regte sich vor allem im Thüringer Wald Widerstand. Nun will der Netzbetreiber „50Hertz“ etwa 60 km östlich eine weitere Trasse mit der verlustärmeren Gleichstromtechnik bauen. Der Konzern beruft sich auf die Verankerung der sogenannten Gleichstrompassage Süd-Ost im Netzentwicklungsplan 2012.
Im Mai 2013 bestätigte der Bundestag diesen Korridor D im Bundesbedarfsplan. Wieder soll Bad Lauchstädt der Ausgangspunkt für die 450 km lange Trasse sein, die zum Umspannwerk Meitingen bei Augsburg führen soll.
Haselhof (CDU) vs. Lieberknecht (CDU)
Erneut wird der Bedarf mit der Energiewende begründet, mit dem Überschuss an erneuerbaren Energien im Norden und dem hohen Bedarf im Süden. So argumentiert auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Man habe in seinem Bundesland nicht viel Geld in den Ausbau der Windkraft gesteckt, „um jetzt festzustellen, dass der Strom nicht benötigt wird und wir ihn wieder vernichten müssen“.
Seine Kollegin Lieberknecht im Thüringen und noch lautstärker Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) bezweifeln den zusätzlichen Bedarf. Durch die Abschaltung bayerischer Kernkraftwerke werden schätzungsweise 6.000 Megawatt Leitungskapazitäten frei. „Wir werden alles dafür tun, dass die Trasse nicht kommt“, sagte Seehofer noch Anfang April. Mit der im Bau befindlichen „Strombrücke“ habe Thüringen bereits seinen Beitrag geleistet , findet Lieberknecht, aber auch Linke und Grüne.
Ihr Stellvertreter Christoph Matschie, zugleich SPD-Landeschef, verteidigt hingegen die Notwendigkeit weiterer Leitungen. Die Gleichstrompassage spaltet also nicht nur die Union, sondern auch die Thüringer Landesregierung. Was sie bedeuten würde, lässt sich an den Baustellen für die genehmigte Strombrücke südlich von Erfurt beobachten. Hier verlaufen die Autobahn A 71, die im Bau befindliche Hochgeschwindigkeits-ICE-Trasse und die 380-Kilovolt-Leitung mit ihren 80 Meter hohen Masten nebeneinander. Die Folge: Den Thüringer Wald durchkreuzt eine bis zu 100 Meter breite Schneise.
„Es geht um Kohlestrom"
Neben ungeklärten Gesundheitsrisiken sehen Bürgerinitiativen wie „Masse gegen Trasse“ im Saale-Orla-Kreis nur Profitinteressen hinter dem Trassenprojekt, die Lebensqualität leide. „Es geht in Wahrheit um Kohlestrom, um Handelsinteressen Dritter“, ruft Sprecher Dirk Meisgeier den Demonstranten in Schleiz zu.
Als der Linken-Bundestagsabgeordnete Ralph Lenkert die anwesende CDU-Prominenz daran erinnert, dass die Landesregierung erst die Planungskompetenz aus der Hand gegeben und die Union dann im Bundestag dem Netzausbau zugestimmt habe, wird er fast vom Mikrofon geschubst. Landtags-Vorwahlkampf darf hier nur die CDU machen.
Abseits des Mikrofons erzählt Lenkert von einem seit 2009 herumgeisternden Projekt, das auch hinter den Trassenplänen stecken könnte: Die Russen würden gern Atomstrom aus dem im Bau befindlichen AKW Kaliningrad per Ostseekabel nach Deutschland exportieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!