Sozialleistung und Datenschutz: Die Kosten des Bürokratieabbaus
Für Kindergrundsicherung und Klimageld sollen Daten neu verschaltet werden. Der Staat gewinnt so immer mehr Infos über die Bürger:innen.
Für eine möglichst einfache Berechnung der Leistungen sei ein Verfahren denkbar, bei dem bei der Familienkasse die Einkommensquellen gemeldet werden, nicht aber mehr die konkreten Verdienste und Beträge, sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne), Berichterstatter zur Kindergrundsicherung im Finanzausschuss des Bundestages.
Der oder die Antragssteller:in müsse der Familienkasse lediglich ausdrücklich gestatten, Daten zur konkreten Einkommenssituation abzufragen, etwa beim Finanzamt, bei der Deutschen Rentenversicherung und gegebenenfalls bei der Bundesagentur für Arbeit, so der grüne Sozialexperte zur taz. Die genaueren Daten würden unter den Behörden automatisch ausgetauscht. Die Familienkasse ist bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt.
„Das Verfahren zur Berechnung und Auszahlung der Kindergrundsicherung könnte ein Modell werden auch für die Gewährung anderer Sozialleistungen“ sagt Strengmann-Kuhn.
Entlastung nur bei Datenfreigabe
In der Praxis bedeutet dies, dass Bürger:innen bei den digitalen Anträgen für Sozialleistungen entlastet werden können, wenn sie den Behörden die automatische Erhebung und den Austausch ihrer persönlichen Daten in bisher noch nicht dagewesenem Umfang erlauben. Beispielsweise würden dann die Finanzämter an die Sozialbehörden die konkreten Arbeitseinkommen melden.
An den Berechnungen für den Kinderzuschlag für erwerbstätige, aber arme Eltern wären die Finanzämter, gegebenenfalls die Bundesagentur für Arbeit, die Wohngeldämter und Unterhaltsvorschusskassen beteiligt.
Schon bei einer anderen Sozialleistung, der Ergänzung von kleinen Renten durch die „Grundrente“ des Bundesarbeitsministeriums, hat eine Sozialbehörde erstmals mit den Finanzämtern direkt kooperiert. Die Deutsche Rentenversicherung fragte für die Ruheständler:innen die Daten von den Finanzämtern ab, um mögliche Partner- und Kapitaleinkommen zu prüfen, die den Anspruch auf Grundrente zunichte machen können.
Der Vorteil dieses automatischen Datenabgleichs liegt darin, dass Ansprüche automatisch geprüft werden können, auch ohne Antrag. Damit verfügt die Deutsche Rentenversicherung aber auch über Einkommensprofile von Rentner:innen.
Kontodaten für Direktzahlungen
Der Trend zum Datenabgleich soll demnächst auch Kontodaten umfassen. Das Jahressteuergesetz 2022 sieht im Artikel 18 Nummer 6 vor, dass die Banken künftig „geeignete Verfahren“ entwickeln sollen, durch die Kontoinhaber:innen ihre Kontonummer, die IBAN, an das Bundeszentralamt für Steuern übermitteln lassen können. Private Kontodaten werden dadurch mit der Steueridentifikationsnummer zusammengeführt.
Diese „Zuspeicherung“ solle geschaffen werden, um „künftig unbare Auszahlungen öffentlicher Mittel in einem Massenverfahren unbürokratisch vornehmen zu können“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Union. Das heißt, die Zuspeicherung muss von den Kontoinhaber:innen zwar selbst genehmigt werden, ist aber dann eine Voraussetzung, um etwa staatliche Hilfen zu bekommen.
Man setze darauf, dass diejenigen, die öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen wollen, ihre Kontoverbindungen an das Bundeszentralamt für Steuern übermitteln lassen würden, heißt es in der Antwort.
In der Debatte um die Energiehilfen im Jahre 2022 war nämlich aufgefallen, dass die Bundesregierung gar nicht über genügend Kontodaten verfügt, um schnelle und direkte Hilfszahlungen auf die Konten aller Bürger:innen zu leisten. Diese Möglichkeit könnte auch bei einem künftigen „Klimageld“ wichtig werden, wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wird.
Für die Zukunft müssten „die technischen Voraussetzungen für sozial differenzierte Direktzahlungen an die Bürgerinnen und Bürger geschaffen werden“, hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärt. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte jedoch kürzlich der Süddeutschen Zeitung, eine konkrete Aussage, bis wann das Direktzahlungsprojekt umgesetzt sein könnte, sei „zur Zeit noch nicht möglich“.
Bisher existieren verschiedene Systeme nebeneinander, was auch Gerechtigkeitsfragen berührt. Die Energiepreispauschale etwa bekamen Rentner:innen mit Nebenjob doppelt bezahlt. Einmal lief die Auszahlung über die Rentenkasse, das zweite Mal über den Arbeitgeber. Die Union hatte das kritisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher