Sozialleben in der Pandemie: Abschied vom Igeln

Unsere Kolumnistin, eigentlich eine soziale Person, entwickelte in der Pandemie Panik vor dem Zusammensein. Und lernt das Lieben und Feiern wieder.

Cocktailgläser mit Dekoration.

Mit echten Menschen anstoßen statt mit wackeligen Zoom-Kästchen Foto: imago

Ich bin gestern 33 geworden und habe mit einigen Freun­d*in­nen in meiner Wohnung dazu angestoßen. Eine kleine Feier nach 1,5 Jahren Verwirrung und Lockdowns hat mir so gut getan und mich wieder Dinge spüren lassen, die ich schon lange nicht mehr gefühlt habe. Als meine Freun­d*in­nen im Wohnzimmer um mich herum standen und Happy Birthday sangen, habe ich noch was anderes gespürt als das Kribbeln in den Händen, weil man nie so recht weiß, was man macht, wenn man besungen wird.

Ich habe in jedes Gesicht geschaut und so viel Liebe gespürt wie schon lange nicht mehr. Und mit einem Moment wurde mir klar, was mir und uns in den letzten Jahren verwehrt geblieben ist. Unsere Liebe zeigen wir auf unterschiedliche Art und Weise, und eine Art ist das gemeinsame Feiern kleinerer und größerer persönlicher Meilensteine. Das hat mir sehr gefehlt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen und euch geht, aber in den letzten 1,5 Jahren bin ich eine Maschine geworden, leider nicht im sportlichen Sinne, sondern im Funktionieren. Alles abhaken, immer mehr und immer weiter, ein Projekt jagt das nächste und dazwischen fehlt Zeit zum Durchatmen, Reflektieren und Feiern.

Das war es nämlich gestern Abend auch: Stellvertretend für alle schönen Ereignisse, die wir alleine im Wohnzimmer „gefeiert“ haben, konnte ich jetzt endlich wieder in die Augen meiner Freun­d*in­nen schauen, meine Schwester umarmen und mit echten Menschen anstoßen statt mit wackligen Zoom-Kästchen.

Ich war vor der Pandemie eine ziemlich soziale Person, immer unterwegs und ständig von Menschen umgeben, ein bisschen wie die Frauen in den Tampon-Werbungen, die an einem Tag so viel erleben wie die meisten in einer Woche nicht. Ich habe mich immer wohl gefühlt, wenn ich von Menschen umringt war. Am Anfang der Pandemie machte mir die Isolation nicht viel aus. Ich mochte es sogar, endlich wieder mehr Zeit für mich zu haben, aber nach einer Weile bemerkte ich etwas eigenartiges: ich entwickelte eine regelrechte Angst vor Menschen.

Panik vor Zusammensein

Nach der Arbeit (meist im Home-Office) konnte ich es kaum erwarten, wieder ins Bett zu fallen. Verabredungen mit guten Freunden konnte ich nicht wahrnehmen, weil ich regelrecht Panikattacken hatte, bevor ich das Haus verlassen wollte. Ich erinnere mich an eine Geburtstagsfeier eines sehr guten Freundes, die draußen am Ufer stattfand. Nach zehn Minuten gab ich vor, aufs Klo gehen zu müssen, weil mir das Zusammensein mit Menschen so schwer fiel. Wann war ich so geworden, fragte ich mich?

Irgendwann gewöhnte ich mich daran, dass ich mich verändert hatte, und igelte mich mehr ein. Soziale Situationen nahmen mir so viel Energie, dass ich alles mied, was nicht Arbeit war. Ich feierte nichts mehr und fühlte immer weniger. Ehrlich gesagt, hatte ich mich damit abgefunden, dass ich das, was mir früher so leicht fiel, einfach nicht mehr könnte. Bis auf gestern Abend: Mein Herz war so voller Liebe und Dankbarkeit, dass es sich so anfühlte, als ob sich die alte Anna ihren Weg frei bahnt und sich endlich mal wieder zeigt.

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Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada

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