Sozialistische Tageszeitung „nd“: Armes Deutschland
Die Tageszeitung „neues deutschland“ steht seit Jahren immer wieder vor der Pleite. Jetzt könnte es tatsächlich bald zu Ende gehen.
Schimmelpfennig ist 89 Jahre alt, Witwe und lebt allein in ihrem Haus am Rand des Dorfs Grünheide in Ostbrandenburg. Es ist dunkel in dem Haus. Die hohen Nadelbäume, unter denen es steht, nehmen ihm das Licht. Wenn Schimmelpfennig morgens aufsteht, schmiert sie sich eine Scheibe Brot und setzt sich an den Computer. Sie liest E-Mails und Onlinenachrichten. Dann nimmt sie sich die Zeitung und setzt sich in ihren roten Sessel. Eineinhalb Stunden braucht sie täglich für die Lektüre, inklusive Rätsel.
Schimmelpfennig liest das nd seit der ersten Ausgabe, seit 1946. Was würde es für sie bedeuten, wenn die Zeitung Insolvenz anmelden müsste? „Das will ich nicht mehr erleben“, sagt sie.
72 Jahre nach der ersten Ausgabe ist das nd in einer tiefen Krise. Die Auflage sinkt, online nimmt es kaum Geld ein, vor einem Jahr stand die Insolvenz unmittelbar bevor. Die Linkspartei, die Gesellschafterin der Zeitung ist, gab ihr nochmal einen Kredit, angeblich 1 Million Euro. Ein Jahr später stellt sich wieder die Frage: Ist das nd am Ende? Und was macht die Linkspartei?
Zu DDR-Zeiten, als das nd noch Propagandaorgan war, arbeiteten dort mehr als 500 Menschen, eine Million Exemplare wurden täglich verkauft, überregionale Konkurrenz gab es praktisch nicht. Heute sind es bei 100 Mitarbeitern noch gut 22.000 Exemplare, Tendenz sinkend.
Alle Tageszeitungen kennen diese Entwicklung. Nur läuft sie beim nd schneller ab, weil die Leserschaft älter ist und stirbt. Der Großteil der nd-Leser sind alte Ostdeutsche. Manche in der Linkspartei sagen, dass die Zeitung vor allem in Ostberliner Altenheimen stark sei. Wenn das so ist, dann ist das Ende der „sozialistischen Tageszeitung“ absehbar. „Lieber verzichte ich drei Tage auf Essen als auf mein nd“, sagt Ingeborg Schimmelpfennig.
„SED-Duktus in der Zeitung“
Sie erzählt von ihrem Leben mit der Zeitung: 1929 wird sie in Halle geboren. Die Mutter sitzt im Krieg im Gefängnis, weil sie für die KPD arbeitet. Kurz nach Kriegsende wird die Mutter erschossen. Von wem, wird nie aufgeklärt. Schimmelpfennig wächst bei ihren Großeltern auf, zwei überzeugte Kommunisten. Ihre erste Kommunismusschulung erhält sie von den beiden als kleines Kind.
Am 23. April 1946, da ist Schimmelpfennig 17 Jahre alt, erscheint die erste nd-Ausgabe. „Das größte Ereignis für unser Volk nach der faschistischen Tragödie: Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist geschaffen“, lautet der erste Satz im SED-Zentralorgan.
Schimmelpfennig tritt in die SED ein und lernt Margot Honecker kennen, die da noch Feist heißt. Schimmelpfennig und sie bauen in Halle den Jugendverbund FDJ auf. Dann geht Schimmelpfennig nach Leipzig, um zu studieren, sie will Lehrerin für Marxismus-Leninismus werden. „Den SED-Duktus in der Zeitung“, sagt sie heute, „fanden wir ganz normal.“
„Das Herz des größten Menschen unserer Epoche, des Genossen J. W. Stalin, hat aufgehört zu schlagen“, titelt das nd etwa am 7. März 1953.
„Leipzig fördert den friedlichen Welthandel zum Nutzen der Völker“, schreibt die Redaktion am 16. März 1987 zur Eröffnung der Leipziger Messe und druckt in einer Ausgabe 43 Fotos des SED-Generalsekretärs Erich Honecker.
Dann fällt die Mauer, die Treuhand soll einen Käufer für die Zeitung finden und scheitert. „Zum Glück“, sagt Ingeborg Schimmelpfennig. Denn dass die Zeitung bis heute in der Hand der Linkspartei ist, der Nachfolgeorganisation der SED, findet sie wichtig für die Identität des Blatts. Die Linkspartei hat inhaltlich aber keinen direkten Einfluss mehr. Aber ob das nd überleben wird oder nicht, hängt von Entscheidungen der Partei ab.
Zu links für die taz
Es gibt auch einen Teil der Leserschaft, der nicht mit der DDR-Geschichte der Zeitung verknüpft ist. Leute wie Ralf Hoffrogge. Mit seinen 38 Jahren ist Hoffrogge einer der jüngeren Abonnenten des nd. Und er hat zwei Antworten darauf gefunden, wie er seiner kriselnden Zeitung helfen will. Die erste: Wenn er in Bochum aus dem Zug steigt, wo er an der Universität Geschichte lehrt, lässt er sein nd im Bahnhof auf einer Bank liegen. „Damit noch ein Westdeutscher das nd für sich entdeckt.“
Die zweite: Er schreibt Leserbriefe, wie die Zeitung aus der Krise kommen könnte. Sie solle an den Universitäten präsenter sein, solle sich auf ihren Kern besinnen. Weniger linksliberaler Mainstream, öfter die Klassenfrage stellen.
Hoffrogge ist in Westdeutschland geboren, wurde an der Universität in den Bildungsstreiks politisiert. Er hat verschiedene Blätter durchprobiert. Er hat die Süddeutsche gelesen, aber bei der fände er kaum noch linke Positionen. Mit der taz wurde er schon als Student nie richtig warm, weil der damalige Bildungsredakteur immer wieder für Studiengebühren plädierte. Dass die taz 2014 eine Anzeige der AfD druckte, bestärkte ihn in seiner Sicht: „Dieses postmoderne anything goes würde das nd nicht machen.“
Ingeborg Schimmelpfennig und Ralf Hoffrogge stehen für die zwei Pole der nd-Leser und für zwei Strömungen der deutschen Linken. Sie: ostdeutsch, Kriegsgeneration, DDR, Vergangenheit. Er: westdeutsch, an der Universität politisiert, zu links für die taz. Beiden ist das nd ein publizistisches Zuhause. Das Ende der Zeitung, sagen sie, wäre ein massiver Verlust für die Meinungsvielfalt in Deutschland.
Wäre es das wirklich?
Zum ersten Mal seit dem Ende der Financial Times Deutschland und der Insolvenz der Frankfurter Rundschau Ende 2012 steht mit dem neuen deutschland wieder eine Tageszeitung auf der Kippe. Und wie bei der FR, die zum Teil der SPD gehörte, ist auch beim nd mit der Linken wieder eine Partei involviert.
Vielfältiges linkes Spektrum
An einem Mittwoch im Oktober versammeln sich im Konferenzraum des neuen deutschland elf Redakteure, um die nächste Ausgabe zu planen. Der Raum ist so klein, dass die Redakteure gerade so um den Tisch passen. Die breiten Stühle haben Armlehnen und sind mit braunem Kord bezogen. An der Wand hängt ein Foto mit Peter Sodann, er sitzt in einem Strandkorb und liest das nd. Peter Sodann ist für die Zeitung, was Helmut Schmidt für die Zeit und Rudi Dutschke für die taz ist.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nacheinander stellen die Redakteure ihre Themen vor: In Berlin steht die #unteilbar-Demo an, in der Türkei ein Deutscher vor Gericht, ein Film über schwule Fußballer startet in den Kinos, in Bamberg, Koblenz und Potsdam beginnen Prozesse gegen Neonazis, ein großer Text soll die Hintergründe zu dem in einer Gefängniszelle in Kleve verbrannten Syrer beleuchten.
Besprochen werden auch Kommentarthemen. „Hartz IV ist doch unser Thema“, sagt eine Redakteurin. „Aber dazu haben wir alles schon tausendmal geschrieben“, sagt Chefredakteur Wolfgang Hübner.
Am nächsten Tag wird ein Kommentar über die Hartz-IV-Sanktionen auf der Meinungsseite stehen, ein Kommentar zu den höheren Pflegebeiträgen auf Seite eins. Keine andere Tageszeitung in Deutschland hat an diesem Tag so viele Texte über Neonazis, Geflüchtete und soziale Themen im Blatt wie das nd.
Das linke Spektrum der deutschen Presselandschaft ist vielfältig. Von der orthodoxen Jungen Welt über die taz bis zur Süddeutschen Zeitung erscheinen täglich mehrere mehr oder weniger linke Tageszeitungen. Dazu wöchentlich der Freitag und die Jungle World, und wer will, findet auch in der Zeit linke Positionen. Da drängt sich die Frage auf, ob für das nd überhaupt noch Platz ist.
Ingeborg Schimmelpfennig, die Altleserin, sagt: „Das nd hält wie keine andere die Verbindung zum Sozialismus. An allem, was gut war in der DDR, halten die fest: Genossenschaften, Kindergärten, die Idee der Vergesellschaftung von Arbeit.“
Von materiellem Wert
Ralf Hoffrogge, der Jungleser, sagt: „Das nd ist das zentrale Referenzmedium für die linke Bewegung in Deutschland.“
Der Parteivorstand der Linkspartei sagt: „Gerade angesichts der Rechtsentwicklung darf eine linke Gegenöffentlichkeit wie das nd nicht verschwinden.“
So steht es in einem Antrag, den der Linken-Vorstand beim Parteitag im Juni 2018 in Leipzig angenommen hat. Zähneknirschend von manchen, heißt es dazu aus Vorstandskreisen. Denn die Frage, wie die Linke ihrer Verantwortung als Gesellschafterin der Zeitung nachkommt, ist umstritten.
Den Antrag für den Parteitag hatten Genossen auch im Namen der Redaktion des nd eingebracht. Sie wehrt sich dagegen, dass die Partei der Zeitung das Letzte nehmen könnte, das noch von materiellem Wert ist: das Grundstück des Verlags am Berliner Ostbahnhof. So hatte es der Parteivorsitzende Bernd Riexinger im April vergangenen Jahres der nd-Belegschaft angekündigt. Die Redaktion fürchtet, dass das ihr Todesstoß sein könnte.
Das Verlagsgebäude des nd befindet sich in bester Berliner Lage. 25.000 Quadratmeter ist das Grundstück groß, zweieinhalb Fußballfelder, eine Goldgrube. In einer Akte im Grundbuchamt von Berlin-Kreuzberg findet sich ein Vermerk von 2004, in dem der Wert auf knapp 5 Millionen Euro geschätzt wird. Er dürfte sich mittlerweile vervielfacht haben. In Parteikreisen schätzt man einen zweistelligen Millionenbetrag.
Das Gebäude darauf ist hoffnungslos veraltet. Die Gardinen, die in einigen Fenstern hängen, sehen aus, als seien sie vor der Wende aufgehängt worden. Ein Paternoster bringt die nd-Mitarbeiter auf ihr Stockwerk. Redaktion und Verlag nehmen heute nur noch eine Etage ein. Auf den anderen sitzen die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die DKP und diverse Vereine. Sie alle sind Mieter in dem Gebäude. Müsste das nd die ortsübliche Miete zahlen, gäbe es die Zeitung wohl längst nicht mehr.
Niemand wolle das Grundstück verkaufen
Das Eigentümergeflecht von Grundstück und Verlag ist kompliziert: Der Verlag Neues Deutschland gehört je zur Hälfte der Partei Die Linke und einer Beteiligungsgenossenschaft, der Communio eG, die der Partei nahe steht. Ihr Vorsitzender und Mehrheitseigner, Matthias Schindler, ist seit Ende vergangenen Jahres auch Geschäftsführer des nd. Er war hoher Mitarbeiter bei der Stasi und ist seit Anfang der 1990er Jahre im Umfeld des nd und der Vermögensverwaltung der Linken aktiv.
2006, als die westdeutsche WASG und die ostdeutsche PDS dabei waren, zur Linkspartei zu fusionieren, erhielt Schindler die Anteile am nd. Angeblich, so heißt es aus Parteikreisen, weil Dietmar Bartsch, der damalige Geschäftsführer und heutige Fraktionsvorsitzende, verhindern wollte, dass der Lafontaine-Flügel Zugriff auf die Zeitung bekäme. Offiziell bestätigen will das niemand.
Das Grundstück, auf dem das Verlagsgebäude steht, gehört mehrheitlich dem Verlag Neues Deutschland. Das wollen Linkspartei und die Communio ändern, so dass sie beide künftig direkt mehr Anteile an der Grundstücksgesellschaft besitzen würden. Passiert ist das bis heute nicht. Die Gesellschafter seien gerade in der Diskussion über eine Neuausrichtung der Grundstücksgesellschaft, sagt der heutige Linkspartei-Schatzmeister Harald Wolf der taz.
Anne Fromm, 32, ist Medienredakteurin der taz. Sie ist im nd-Gebäude zum ersten Mal Paternoster gefahren.
Die Redaktion glaubt, die Partei wolle mit diesem Schritt ihr Vermögen sichern. Im Falle einer Insolvenz der Zeitung würde das Grundstück wohl in die Insolvenzmasse fallen. Für die Partei wäre es damit verloren.
Harald Wolf, Schatzmeister der Linkspartei, bestreitet das. „Alle Maßnahmen, die wir gegenwärtig diskutieren, dienen der Existenzsicherung des nd.“ Er beteuert: Niemand wolle das Grundstück verkaufen oder die Zeitung abwickeln.
Denn was auch stimmt: Keine Bank, niemand, gibt einem Unternehmen Kredite, das wie das nd gerade kurz vor der Insolvenz steht. Einer GmbH, der nur das Grundstück gehört, dagegen schon. Aus Sicht der Linkspartei kann es also durchaus sinnvoll sein, das Grundstück aus den finanziellen Schwierigkeiten des Verlags herauszuhalten.
Verantwortung der Linkspartei
Die Partei argumentiert gegenüber den Mitarbeitern des nd: Ihr müsst Wege finden, euch selbst zu finanzieren, den Auflagenrückgang zu stoppen, neue, junge Leser zu gewinnen. Eine Rettung von oben, durch die Partei, kann es nicht geben.
Die nd-Belegschaft argumentiert: Die Linkspartei hat Verantwortung für uns. Um die Zeitung weiterzuentwickeln, brauchen wir finanzielle Sicherheit. Die darf uns über das Grundstück nicht entzogen werden.
Als die Frankfurter Rundschau im Jahr 2012 Insolvenz anmelden musste, warf die Linkspartei der SPD „Verrat an der Arbeiterbewegung“ vor. Nun steht sie selbst vor der Frage: Agiert sie nach ihrem politischen Selbstverständnis als Kämpferin für ArbeitnehmerInnen und rettet die 100 Arbeitsplätze in der Zeitung? Oder agiert sie als kühl kalkulierende Unternehmerin, die Kosten und Nutzen abwägt?
Bisher entschied sie sich für Ersteres. Seit Jahren schon gibt die Partei immer wieder Kredite oder schießt Geld zu. Zuletzt Ende 2017, als sie zusammen mit dem zweiten Gesellschafter noch einmal ein Darlehen von einer Million Euro gab, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Im Frühjahr 2018 schlug Geschäftsführer Schindler den nd-Beschäftigten vor, ihr 13. und 14. Monatsgehalts zu kürzen und dafür auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Die Linkspartei wollte das damals nicht kommentieren. Laut Verdi sind diese Pläne aber erst mal wieder vom Tisch.
Bis Sommer 2020 bestünde erst einmal eine gesicherte Grundlage für das nd, sagt Geschäftsführer Matthias Schindler. Und dann?
Ein Teil der Mitarbeiter würde die Zeitung am liebsten von einer Genossenschaft getragen sehen, so wie bei der taz. Matthias Schindler hingegen, der Genossenschaftsprofi, hält nichts davon. „Die Zeitung kann nur überleben, wenn sie sich aus den Erlösen ihres Verkaufs wirtschaftlich trägt.“
Mehr Platz für Analysen
Eine Idee für die Zukunft, die die Redaktion schon jetzt gestemmt hat, ist die neue Wochenendausgabe. Seit Ende Oktober erscheint das nd samstags in neuer Form: mehr Seiten, mehr Platz für Analysen, Hintergründiges und eigene Geschichten. Dafür ist die Ausgabe unter der Woche dünner geworden. Eine erste Bilanz zeigt: Die Wochenzeitung läuft nicht so schlecht. 2.000 neue LeserInnen hat das nd damit gewonnen, fast die Hälfte davon jünger als 40, mehr Westdeutsche als Ostdeutsche.
Die jungen RedakteurInnen versuchen mittlerweile, im Netz auch mit den großen Verlagen mitzuhalten: Während der G20-Proteste in Hamburg berichteten sie live über mehrere Tage, gerade haben sie mit Supernova ein linkes Onlinemagazin gegründet, einen Videoredakteur und Datenjournalist eingestellt.
Doch auf dem Weg in die Zukunft steht dem nd wohl auch seine Vergangenheit im Weg. Der Name neues deutschland schrecke viele ab, sagt Chefredakteur Wolfgang Hübner. Die einen denken bei dem Klang noch immer an DDR-Zeiten, und die anderen, junge Linke, vermuten bei dem Wort „Deutschland“ eine Rechtspostille. Deswegen heißt die neue Wochenendausgabe auch nur noch nd Woche.
Wolfgang Hübner kam 1985 zum neuen deutschland. Er hatte bei der Sächsischen Zeitung volontiert und in Leipzig, am sogenannten Roten Kloster, Journalismus studiert. An das Arbeiten im damaligen Zentralorgan habe er sich erst gewöhnen müssen. Die Seite eins wurde nachmittags an die Parteiführung geschickt. Oft schaute Erich Honecker persönlich drüber.
„Heute ist das alles anders“, sagt Wolfgang Hübner. Die Redaktion der Zeitung ist jünger und diverser geworden. Viele Redakteure haben kaum Erinnerungen an die DDR, weil sie beim Fall der Mauer zu jung waren oder in der BRD geboren wurden. Es sind vor allem junge Redakteure, die im Laufe dieser Recherche immer wieder bitten, man möge nicht mehr auf der SED-Vergangenheit des Blatts herumreiten.
Ein Hauch von Kaltem Krieg weht gelegentlich noch durch die Auslandsberichterstattung. Da werden Putin und seine „Großmacht im Osten“ hofiert. Aus Syrien berichtet Karin Leukefeld, die einzige deutsche Journalistin, die in den Kriegsjahren eine offizielle Akkreditierung vom Regime erhielt. Entsprechend Assad-freundlich lesen sich ihre Texte. Sie hat ihre Fans unter den nd-Lesern, genau wie der prorussische Kurs einiger Altredakteure. Das kann man in den Leserbriefen nachlesen.
Als Erneuerer gekommen
Ingeborg Schimmelpfennig überfliegt den Politikteil nur. Am meisten interessiert sie der Kulturteil. Sie kommt ins Schwärmen, wenn sie davon spricht.
Regelmäßig fährt Schimmelpfennig auch auf Leserreisen, die die Zeitung anbietet. Im Mai diesen Jahres war sie bei einer nd-Exkursion nach Schulzenhof dabei, einem Ort im Norden Brandenburgs, wo die DDR-Schriftsteller Erwin und Eva Strittmatter lebten.
Weil es so schlecht um das nd steht, wirbt Schimmelpfennig in ihrem Freundeskreis für Abos. Nur wird der Freundeskreis immer kleiner.
Die Linke hat in den vergangenen Jahren im Westen viele neue Wähler gewonnen. Vor allem in einem urbanen, akademischen, exgrünen Milieu. Es ist, in Parteiflügeln gesprochen, das Milieu von Katja Kipping.
Kipping ist seit dem Jahr 2012 Bundesvorsitzende der Linken. Ebenfalls 2012 bekam das nd einen neuen Chef: Tom Strohschneider. Er hatte beim nd volontiert, arbeitet dann beim Freitag und bei der taz und kehrte als Chefredakteur zum nd zurück.
Beide Personalien passierten unabhängig voneinander. Aber es gibt Parallelen: Kipping und Strohschneider kamen als Erneuerer. Sie war 34, er 38 Jahre alt, als sie ihre Posten antraten.
Kipping hat es geschafft, der Linken ein neues Image zu geben: jünger, hipper, kosmopolitischer. Strohschneider hat das nd von altem Muff befreit. Er ließ ein frisches Layout entwickeln, riss Wände ein, um Ressorts umzubauen. Er verstärkte die Onlineredaktion und stellte junge Redakteure ein.
Die Frage ist, warum es die Partei geschafft hat, eine neue Klientel zu gewinnen, die Zeitung aber nicht. Vielleicht, weil Wähler nicht dasselbe sind wie Leser. Junge Leute haben noch nie viel Geld für Journalismus bezahlt.
Ralf Hoffrogge beobachtet in seinem Freundeskreis, dass viele ausschließlich online „für lau“ lesen. Er selbst hat ein Print- und Digitalabo des nd, liest aber vor allem die gedruckte Zeitung. Hoffrogge wünscht sich eine FAZ von links: „Die sind meinungsstark, setzen Themen und stehen zu ihrem bürgerlich konservativen Image.“ So eine Geradlinigkeit für den Sozialismus sähe er gern beim nd.
Kampagne unterstellt
Das sind hohe Ansprüche an eine schrumpfende Zeitung. Ende 2017 gab Tom Strohschneider aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Chefredakteurs auf. Das war ein harter Schlag für die Belegschaft. Den Tausendsassa, der dem nd neues Leben eingehaucht hatte, könne niemand ersetzen, erzählen Redakteure noch heute.
Sein Stellvertreter, Wolfgang Hübner, rückte auf. Vorübergehend, sagte er damals. Jetzt, ein Jahr später, stellt sich Hübner darauf ein, den Job noch eine Weile machen zu müssen. Er ist 59 Jahre alt, eigentlich würde er sich für sich und das Wohl der Zeitung wünschen, dass jemand Jüngeres übernehmen würde.
2019 wollen die beiden Gesellschafter einen neuen Chefredakteur einsetzen. Den zu finden, dürfte schwierig werden. Wer will schon ein Blatt im Krisenmodus übernehmen? In den vergangenen Monaten sind auch mehrere Redakteure gegangen, weil ihnen die Perspektive zu unsicher war.
Hinter vorgehaltener Hand erzählen nd-Mitarbeiter auch, wie einige Linken-Politiker hartnäckig versuchten, ihre Beiträge in die Zeitung zu bringen. Im Parteivorstand wiederum bemängeln einige, dass das nd nicht nah genug dran sei an Entwicklungen in der Partei, Flügelkämpfe nicht gerecht abbilde.
Sahra Wagenknecht machte das publik, als sie in einem offenen Brief ihren Rücktritt als Fraktionschefin androhte und dem nd indirekt unterstellte, eine Kampagne gegen sie zu fahren. Das zeigt, welches Konfliktpotenzial dieses Gesellschaftermodell birgt.
Und über allem schwebt die Frage, wie lange die Gesellschafter noch bereit sind, in das neue deutschland zu investieren. Harald Wolf, der Schatzmeister der Linken, hatte sich in seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag im vergangenen Juli zum nd bekannt. Das zeigt: Der Erhalt des nd ist nicht in erster Linie eine wirtschaftliche, sondern eine politische Frage: Spätestens 2021 sind wieder Bundestagswahlen. Bis dahin muss die Partei einen Wahlkampf stemmen und finanzieren. Wie viel bleibt da für die Rettung einer Zeitung?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau