Social Media erst ab 16?: Was Kindern nicht gut tut
Politik und Gesellschaft müssen endlich Kinder und Jugendliche vor den Gefahren der digitalen Welt schützen. Sonst droht massenhafter „Brain Rot“.
A ufwachsen ohne den ständigen Druck von Likes, Follower:innen und gefilterten Gesichtern – klingt wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Doch genau diese Realität könnte bald wieder möglich sein. Immer lauter werden die Warnungen vor den Folgen exzessiven Social-Media-Konsums für junge Menschen. Australien wagt nun den radikalen Schritt: Ab nächstem Jahr ist die Nutzung sozialer Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren verboten. Ein Pilotprojekt, das weltweit Nachahmer finden könnte –auch in Deutschland.
Eine aktuelle Umfrage von YouGov zeigt: Eine große Mehrheit der Deutschen unterstützt ein solches Verbot. Rund 77 Prozent der knapp 2.000 Befragten gaben an, ein Social-Media-Gesetz nach australischem Vorbild „voll und ganz“ oder „eher“ zu befürworten. Nur 13 Prozent lehnen es ab. Die Diskussion um ein Verbot ist also in vollem Gange. Kritiker:innen argumentieren, dass technische Hürden leicht umgangen werden könnten. Kinder und Jugendliche, die bereits wissen, wie sie sich in der digitalen Welt bewegen, könnten ihre Identität verschleiern oder sich in unregulierten Räumen treffen. Doch ist das wirklich ein schlagkräftiges Gegenargument? Auch rauchen ist für Minderjährige verboten, viele tun es trotzdem. Ist eine Regelung deswegen sinnlos?
Social-Media-Konsum ist kein harmloses Hobby, ein Verbot würde hier ein klares gesellschaftliches Zeichen setzen. Denn Fakt ist: Social Media macht süchtig. Es raubt Zeit – Zeit, die Kindern und Jugendlichen für andere, für ihre Entwicklung essenzielle Aktivitäten fehlt. Ein voller Feed hinterlässt am Ende leere Köpfe.
Während Wissenschaftler:innen noch nach eindeutigen Belegen für die negativen Langzeitfolgen der Nutzung suchen, erleben viele junge Menschen längst, was Worte wie „Brain Rot“ treffend beschreiben: ein gammeliges Gehirn, überfordert und ausgelaugt durch den übermäßigen Konsum meist belangloser Online-Inhalte. Die befürchteten Folgen der Hirnfäule: Konzentrationsprobleme, Motivationsverlust, eine immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne.
Ständig auf der Jagd
Das Gehirn, ständig auf der Jagd nach dem nächsten Dopamin-Kick, wird gefüttert – doch an den Content, der stundenlang konsumiert wurde, erinnert sich niemand mehr. Dass „Brain Rot“ vor wenigen Tagen von Oxford Press zum Wort des Jahres 2024 gewählt wurde, macht deutlich, wie weitreichend dieses Phänomen ist. Doch was passiert? Nichts! Die Nutzung bleibt weiter Privatsache, nur dass die meisten Eltern und Kinder es augenscheinlich nicht schaffen, dem endlosen Scrollen eigenverantwortlich den Riegel vorzuschieben.
Die Zahlen sprechen für sich: Laut der Copsy-Studie gaben 40 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen an, digitale Medien mindestens vier Stunden am Tag für private Zwecke zu nutzen. Jede weitere Stunde erhöht das Risiko für psychische Auffälligkeiten und eine geringere Lebensqualität laut den Expert:innen um ein Vielfaches. Jedes dritte Kind berichtet, online belastenden Inhalten zu begegnen, jedes vierte sagt, die Nutzung sozialer Medien tue ihm nicht gut.
Kinder zwischen 13 und 16 Jahren dürfen soziale Medien in Deutschland nur mit der Zustimmung der Erziehungsberechtigten nutzen. Auch die Dauer der Nutzung liegt in deren Hand. Doch die Realität zeigt, dass viele Eltern überfordert sind. Das Resultat: Kinder verbringen Stunde um Stunde in einer digitalen Welt, die für sie weder gesund noch sicher ist. Ein generelles Verbot für Kinder unter 16 könnte diesen Druck von den Eltern nehmen und eine klare Grenze ziehen. Es wäre ein Signal: Social Media ist kein Spielzeug, sondern eine Technologie, die verantwortungsvoll genutzt werden muss – und eben erst ab einem Alter, in dem junge Menschen diese Verantwortung übernehmen können.
Natürlich bleibt die Frage: Wäre ein solches Verbot nicht auch ein Eingriff in die Freiheit der Jugendlichen? Die Antwort darauf ist komplex. Einerseits ja, denn ein Verbot schränkt die Teilhabe ein. Andererseits ist Sucht das Gegenteil von Freiheit. Wer nicht in der Lage ist, sich von etwas zu lösen, handelt nicht unabhängig, sondern getrieben. So gesehen könnte ein Social-Media-Verbot nicht nur Schutz bedeuten, sondern auch eine Grundlage dafür schaffen, dass junge Menschen später selbstbestimmt mit digitalen Medien umgehen können.
Für die heutige Generation von 14- und 15-Jährigen wäre ein Social-Media-Verbot ein Schock: Viele von ihnen sind längst auf Plattformen wie Instagram oder Tiktok aktiv. Doch für kommende Generationen könnte ein solches Gesetz eine Art Neuanfang sein. Ein radikales Experiment, das scheitern kann. Es geht nicht darum, soziale Medien zu verteufeln. Es geht darum, ihnen einen angemessenen Platz in unserem Leben zuzuweisen. Denn: Der Status quo ist keine Lösung. Wir können nicht weiter über Handy-Zombies schimpfen, während wir tatenlos zusehen. Australien hat den Mut, neue Wege zu gehen. Diesen Mut sollten wir auch in Deutschland aufbringen – und Kindern die Chance geben, ohne „rottende Gehirne“ aufzuwachsen.
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