Skandal im Bundesamt für Migration: „Wir wissen derzeit zu wenig“
Die Grüne Luise Amtsberg erklärt, warum ihre Fraktion in der Bamf-Affäre noch keinen Untersuchungsausschuss fordert – anders als FDP und AfD.
taz: Frau Amtsberg, anders als die FDP und die AfD fordern die Grünen bisher keinen Untersuchungsausschuss zu den Vorfällen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Warum zögern Sie?
Luise Amtsberg: Wir zögern nicht. Ein Untersuchungsausschuss kann Teil der Lösung sein. Dieser aber bringt erst in ein, zwei oder drei Jahren konkrete Ergebnisse. In der Zwischenzeit aber entscheidet das Bamf weiter über Asylanträge. Deshalb ist es zentral, dass wir schon jetzt mit den uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln aufklären und reformieren. Die Behörde muss zügig wieder rechtsstaatlich sauber arbeiten.
Wenn Behörden wie in Bremen versagen, vertrauen Menschen dem Rechtsstaat nicht mehr. Rechtfertigt das keine ausführliche parlamentarische Aufklärung?
Natürlich besteht ein großes Aufklärungsinteresse – zu Recht. Der Vertrauensverlust ist massiv. AfD-Politiker lästern ja schon jetzt über „anerkannte Flüchtlinge“ – in Anführungszeichen –, um alle legal in Deutschland lebenden Geflüchteten zu diskreditieren. Es ist kein Nein zum Untersuchungsausschuss. Ich möchte nur deutlich machen, dass diejenigen, die darin das Allheilmittel sehen, den konkreten Handlungsdruck ignorieren.
Wann würde ein Untersuchungsausschuss aus Ihrer Sicht nötig?
Der Ausschuss wäre notwendig, wenn andere Instrumente versagen. Minister Seehofer darf uns nicht weiter Informationen vorenthalten. Außerdem wissen wir derzeit zu wenig, um einen präzisen Untersuchungsauftrag zu formulieren, zum Beispiel um was für „Unregelmäßigkeiten im Asylverfahren“ es sich handelt. Nur so können wir den Schaden abschätzen. Wir versprechen uns von der Sondersitzung des Innenausschusses kommende Woche durch Minister Seehofer erste Antworten.
Wie wichtig ist bei Ihrer Abwägung, dass die AfD einen Ausschuss instrumentalisieren würde?
Der AfD geht es ausschließlich darum, mit Merkels humanitärer Haltung von 2015 abzurechnen. Umso wichtiger ist es, dass die demokratischen Parteien sich dieser Frage annehmen. Das gilt für die Linkspartei, wie auch für die regierungstragenden Fraktionen SPD und Union. Ich hoffe, dass sie wissen, dass wir hier eine gemeinsame Verantwortung tragen.
Luise Amtsberg, 33, ist die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Amtsberg ist ordentliches Mitglied im Innenausschuss.
Horst Seehofer hat für sich die Rolle des Chefaufklärers entdeckt. Nehmen Sie sie ihm ab?
Warten wir es ab. Herr Seehofer hat angekündigt, personelle und organisatorische Konsequenzen zu ziehen. Bisher ist es bei Ankündigungen geblieben. Wir erwarten von ihm ehrliche, engagierte Aufklärung – und Transparenz gegenüber dem Parlament.
Muss Behördenchefin Jutta Cordt gehen?
Frau Cordt wird jetzt mit vielen Problemen verbunden. Und Vertrauen hat immer auch mit Führungspersonal zu tun. Wenn sich die Hinweise verdichten, dass sie früh informiert war und nicht adäquat reagiert hat, wird sie kaum zu halten sein. Aber man muss schon auch festhalten, dass die Probleme im Bamf weit über ihre Zeit hinausgehen. So leicht sollte es Seehofer sich nicht machen.
Was muss im Bamf passieren, damit solche Fehler nicht mehr passieren?
Ganz wichtig ist es, Tempo raus zu nehmen. Die MitarbeiterInnen des Bundesamtes mussten in den vergangenen Jahren eine Asylverschärfung nach der anderen im Eiltempo umsetzen. Damit muss jetzt Schluss sein. Das sage ich auch ausdrücklich in Richtung Seehofer und seinen Anker-Zentrums-Fantasien. Das Bamf braucht mehr und vor allem gut geschultes Personal und vertrauenswürdige Dolmetscher. Wir schlagen darüber hinaus eine Expertenkommission vor, die jetzt sofort interne Strukturen unabhängig prüft. Also: Was passiert in den verschiedenen Dienststellen? Wo haben Mitarbeiter zu viele Freiheiten, wo zu wenige? Da könnten Experten, etwa Richter, Anwälte, Verwaltungswissenschaftler oder Kirchenvertreter, die sich mit der Materie auskennen, hilfreiche Hinweise liefern.
Das Bamf wurde in den vergangenen Jahren wegen der vielen Flüchtlinge eilig vergrößert. Besichtigen wir gerade die Folgen dieser Hektik?
Absolut. Das Bamf wurde von Cordt und ihrem Vorgänger Frank-Jürgen Weise auf Quantität getrimmt. Motto: Möglichst viele Verfahren in möglichst kurzer Zeit abarbeiten. Die Qualität – etwa gute, ausführliche Schulungen für Mitarbeiter – blieb auf der Strecke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner