Situation in Syrien: Eskalation mit ungewissem Ausgang
Beim Hin und Her um ein westliches Eingreifen gegen Assad geht es nicht nur um Syrien. Die Zukunft der Weltmächte steht auf dem Spiel.
Genial oder irre? Die ganze Woche lang hat sich die Welt von Donald Trumps Syrien-Tweets an der Nase herumführen lassen. Mal dachte man, der US-Präsident habe einen Militärschlag angekündigt, dann wieder das Gegenteil. Doch geschehen ist noch nichts. Und dennoch war dies eine aufschlussreiche Zeit.
Nach dem Giftgasangriff auf die syrische Rebellenstadt Douma am 7. April ist auf westlicher Seite eine Koalition der traditionellen Westmächte im Entstehen. Die USA, Frankreich und Großbritannien ziehen militärisch im Nahen Osten an einem Strang – zum ersten Mal seit 1991 beim zweiten Golfkrieg gegen Saddam Hussein. Beim Irakkrieg 2003 war das nicht der Fall, und bei den Debatten über eine Syrien-Intervention zehn Jahre später führte das Dreierbündnis zu nichts.
Seit 15 Jahren war kein so großer US-Flottenverband Richtung Mittelmeer unterwegs wie heute, berichtete am Freitag die britische Times. Donald Trump, Emmanuel Macron und Theresa May sind aus anderem Holz geschnitzt als Barack Obama, François Hollande oder David Cameron – sie sind ernüchtert durch den Dauerstress mit Wladimir Putin, der ständig seine Grenzen testet. Und sie sehen keine Notwendigkeit, auf Angela Merkel zu warten. Mit einem entschlossenen Mindset sowie mit Israel, der Türkei sowie arabischen Verbündeten scheint der Boden bereitet für eine Intervention größeren Stils.
Unklar, ob es ein Interventionskonzept gibt
Allerdings ist völlig unklar, ob es tatsächlich ein Interventionskonzept gibt – und wenn, welches. Trump, May und Macron handeln aus unterschiedlichen Motiven. Macron möchte beweisen, dass Frankreich die Nummer eins in Europa ist. May möchte nicht hinter Frankreich zurückstehen. Trump geht es vor allem um seine Enttäuschung mit Russland.
Wenn es eine Konstante in den öffentlichen Äußerungen aus Washington in diesen Tagen gibt, dann die, dass Russland kein Partner mehr ist. Trump hat mit Putin nur Ärger: Die Berichte und Untersuchungen über eine russische Beeinflussung des US-Wahlkampfs 2016 zugunsten Trumps belasten seine Präsidentschaft auf Dauer.
Neben der verbalen Konfrontation zwischen den USA und Russland in Bezug auf Syrien war diese Woche auch von einer wirtschaftlichen Konfrontation geprägt. Am 6. April verhängte die US-Regierung wegen „bösartiger Aktivitäten“ weitreichende Sanktionen gegen 17 russische Regierungsbeamte, sieben Oligarchen und acht russische Unternehmen, darunter einige der wichtigsten des Landes. Die Sanktionen schließen die Betroffenen aus dem Dollar-Bankensystem aus, es sind die härtesten ihrer Art seit Ende des Kalten Krieges. Die Folge: ein Börsencrash in Moskau, der Rubel im Fall, Erschütterungen auf den Weltmärkten.
Oligarchen im Visier der Sanktionen
Im Visier der Sanktionen steht unter anderem Oleg Deripaska, bis vor Kurzem der reichste Mann Russlands und ein Vertrauter Putins. Deripaska besitzt einen zypriotischen Pass, seine Energiefirma EN+ ging vor wenigen Monaten in London an die Börse, er war befreundet mit Trumps einstigem Wahlkampfmanager Paul Manafort und den britischen Exministern George Osborne und Peter Mandelson. Sein Unternehmen Rusal, zweitgrößter Aluminiumproduzent der Welt, ist jetzt infolge der Sanktionen von den wichtigsten globalen Rohstoffbörsen in London und Chicago ausgeschlossen worden und nun dem Ruin nah.
Deripaska war Symbol für Russlands Integration in die Weltwirtschaft. Nun steht sein Schicksal, auch vor dem Hintergrund der britischen Skripal-Affäre, für den Wunsch, diese Integration zu beenden – ein Vorgang von globaler Tragweite, was auch Deutschland mit seinen ökonomischen Russland-Verflechtungen zu spüren bekommen wird.
Wirtschaftlich, das zeigt sich jetzt, hat Trump also Putin in der Hand. Der Kreml-Chef muss im Gegenzug wenigstens militärisch unangreifbar erscheinen, sonst ist sein Nimbus als Führer einer Supermacht dahin.
Das sind die tieferen Gründe, warum die russischen Reaktionen auf Trumps öffentliches Nachdenken über Militärschläge in Syrien jetzt viel schärfer ausgefallen sind als vor einem Jahr. Damals reagierte Russland kaum, als 59 US-Marschflugkörper die syrische Luftwaffenbasis Shayrat trafen. Und die scharfen Reaktionen heute sind wiederum ein Grund, warum jetzt bisher nichts passiert ist. „Auf der strategischen Ebene geht es darum, wie wir verhindern, dass dies außer Kontrolle eskaliert“, sagte US-Verteidigungsminister Jim Mattis am Donnerstag in Washington.
Wenn die Sorge um eine Eskalation zwischen den Großmächten schwerer wiegt als das Bedürfnis, mit einem Militärschlag in Syrien tatsächlich etwas zu erreichen, ist der einfachste Ausweg, von einem Militärschlag ganz abzusehen – oder ihn auf einem symbolischen Niveau zu belassen. Der US-Fernsehsender CNBC berichtete am Donnerstag, das US-Militär habe acht Ziele in Syrien identifiziert, darunter zwei Luftwaffenstützpunkte, ein Forschungszentrum und eine Chemiewaffenfabrik. Experten wiesen schnell darauf hin, dass spätestens mit diesem Bericht diese Ziele keine Ziele mehr seien.
Schon zuvor war berichtet worden, dass Syriens Regierung ihre komplette Luftwaffe auf russische Stützpunkte verbracht habe. Arabischen Medien zufolge soll sich sogar Präsident Assad in einen Bunker auf der russischen Basis Hmeimim im Nordwesten Syriens zurückgezogen haben – kurz zuvor waren Gerüchte laut geworden, Assad habe das Land verlassen.
Die meisten möglichen militärischen Ziele in Syrien dürften mittlerweile verwaist sein. All das hat die Planung einer Militärintervention eher erschwert. Ein britischer Verantwortlicher äußerte sich nach den Sitzungen in London am Donnerstag anonym: Nach Trumps Twitter-Sturm habe man die eigentlich schon ausgearbeiteten Pläne wegschmeißen können.
Zugleich aber hat Assads Selbstschutzreflex zur Folge, dass diese Woche in Syrien selbst eine der ruhigsten seit Langem gewesen ist. Von Artilleriebeschuss an der Kriegsfront nördlich der Stadt Hama abgesehen sind in diesen Tagen aus Syrien keine Kampfhandlungen oder Luftangriffe gemeldet worden. Assads Militär hat derzeit schlicht keine Zeit.
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Aber wenn noch mehr Tage vergehen, ohne dass auf die Worte aus Washington, London und Paris Taten folgen, werden die syrischen Bomber bald wieder aufsteigen. Derweil behält Russland die Kontrolle über die angestrebten internationalen Untersuchungen des Giftgasangriffs von Douma: Die Stadt wurde am Mittwoch von der Rebellenarmee Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) an Russlands Militärpolizei übergeben, im Gegenzug für freies Geleit in den Norden. Ein Team der internationalen Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) ist nach Damaskus unterwegs und soll ab Samstag in Douma mit der Untersuchung des Angriffs vom 7. April beginnen – unter Aufsicht Russlands, dessen Außenministerium am Freitag behauptete, der Angriff sei „von Spezialkräften eines russophoben Staates durchgeführt“ worden. Die Anwesenheit von OPCW-Personal ist natürlich auch ein Faustpfand für Russland gegenüber möglichen Militärschlägen.
Ein Führer der Dschaisch al-Islam bestätigte gegenüber AFP, man habe sich in Reaktion auf den Giftgasangriff aus Douma zurückgezogen. Die 150.000 Einwohner der schwer zerbombten Stadt leben größtenteils in Kellern, und die Rebellen haben Tunnelsysteme zur Versorgung eingerichtet. Chemische Kampfstoffe sind ideal, um große Anzahlen von Menschen in geschlossenen Räumen zu töten.
Insofern war der Chemiewaffenangriff auf Douma der militärische Durchbruch für Assad zum Abschluss der Rückeroberung der Ost-Ghouta. Zwei Tage vor dem Giftgaseinsatz waren Verhandlungen über eine kampflose Räumung Doumas gescheitert, es drohte ein langer, verlustreicher Häuserkrieg. Der ist nun nicht mehr nötig.
Wenn nun ein westlicher Militärschlag ausbleibt, werden Assad und Russland daraus den Schluss ziehen, dass Verbrechen und Drohgebärden wirken. Bis Jahresende will Assad die Rebellenprovinz Idlib mit ihren drei Millionen Menschen, die Hälfte davon Kriegsvertriebene, „befreien“.
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