Krieg in Syrien: Endschlacht mit C-Waffen

Das Regime hat eine Offensive auf die letzte Rebellenstadt bei Damaskus gestartet. Dabei sollen chemische Kampfstoffe viele Tote gefordert haben.

Rauchwolken über einem Straßenzug

Douma am Samstag Foto: ap/Syrian Civil Defense White Helmets

BERLIN taz | Bei einem Angriff mit chemischen Kampfstoffen auf die von Rebellen gehaltene Stadt Douma nordöstlich von Syriens Hauptstadt Damaskus sind in der Nacht zum Sonntag offenbar zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Fotos medizinischer Helfer zeigen reihenweise auf Boden liegende Kinder mit Schaum vor dem Mund, in Videos sind Kleinkinder an Beatmungsgeräten zu sehen. Verschiedene Quellen meldeten 55 bis 180 Tote.

„Um 20 Uhr 22 am Samstag 7. April warf ein Hubschrauber eine Fassbombe mit einem chemischen Kampfstoff auf Douma ab“, meldete die lokale Zivilverteidigung (Weißhelme). „40 Menschen, größtenteils Kinder und Frauen, sind getötet worden, und Hunderte werden in Gesundheitszentren behandelt.“ Die mit den Weißhelmen arbeitende Syrian American Medical Society (SAMS) berichtete, der Angriff sei in einem Kontext schwerer konventioneller Luftangriffe erfolgt.

„Am Samstag, 7. April um 19 Uhr 45 Ortszeit, inmitten pausenloser Bombardierung von Wohnvierteln in Douma, wurden mehr als 500 Fälle, zumeist Frauen und Kinder, mit Symptomen der Einwirkung eines chemischen Kampfstoffs in lokale medizinische Zentren eingeliefert“, so SAMS. Sechs seien gestorben. Weißhelme hätten 42 Tote oberirdisch gefunden, sie aber nicht bergen können, denn „im Anschluss an den chemischen Angriff wurde das Zielgebiet und das Umfeld der Klinik mit Fassbomben angegriffen“.

Während Russlands Regierung umgehend dementierte, dass die syrische Regierung dafür verantwortlich sei, kündigte US-Präsident Donald Trump am Nachmittag Vergeltung an. „Viele Tote, darunter Frauen und Kinder, tot in hirnlosem Chemieangriff in Syrien.“, twitterte er. „Präsident Putin, Russland und Iran sind verantwortlich dafür, das Tier Assad zu unterstützen. Hoher Preis zu zahlen. […]Hätte Präsident Obama seine selbst gezogene rote Linie im Sand überschritten, wäre das syrische Desaster längst zu Ende gegangen! Tier Assad wäre Geschichte!“

Ost-Ghouta, 21. August 2013: Acht bis zwölf Raketen mit dem chemischen Kampfstoff Sarin treffen frühmorgens die von Rebellen gehaltenen Orte Zamalka und Ein Tarma in der von Regierungstruppen eingekesselten Ost-Ghouta östlich von Damaskus. Die Zahl der Toten wird unterschiedlich mit bis zu 1.729 angegeben. UN-Inspektoren reisen nach Damaskus und werden tagelang vom Regime blockiert. Nachdem sie schließlich Zugang erhalten, bestätigen sie, dass Boden-Boden-Raketen mit Sarin eingesetzt wurden. Eine weitere Untersuchung stellt später fest, dass die Täter Zugang zu Regierungsarsenalen gehabt haben müssen. Die USA, Großbritannien und Frankreich bereiten Militärschläge gegen das Assad-Regime vor. Nachdem das britische Unterhaus dagegen stimmt, macht auch US-Präsident Barack Obama einen Rückzieher und Frankreich bleibt still. Auf Vorschlag Russlands wird Syriens undeklariertes Chemiewaffenprogramm unter internationale Aufsicht gestellt, um es bis 2014 zerstören zu lassen. 2015 allerdings melden OPCW-Inspektoren neue Sarinbestände in syrischen Militäreinrichtungen.

Chan Scheichun, 4. April 2017: Bei einem Angriff der syrischen Luftwaffe auf den von Rebellen gehaltenen Ort Chan Scheichun nördlich von Hama wirft ein Flugzeug eine Bombe ab, die nicht explodiert, sondern eine Wolke freisetzt, die sich ausbreitet und bis zu 92 Menschen tötet. Die US-Luftwaffe bombardiert am 7. April die syrische Luftwaffenbasis Shayrat, von der aus der Angriff geflogen worden war. UN- und OPCW-Untersuchungen rekonstruieren den Tathergang und machen Sarin oder einen ähnlichen Stoff verantwortlich. In Reaktion darauf setzt Russland im November 2017 per Veto im UN-Sicherheitsrat dem OPCW-Untersuchungsmechanismus für Chemiewaffen in Syrien ein Ende.

Trumps Vorwurf an seinen Amtsvorgänger Barack Obama bezog sich auf dessen Drohung aus dem Jahr 2012, ein Einsatz chemischer Waffen durch Syriens Assad-Regime wäre eine „rote Linie“, die ein Eingreifen nach sich ziehen würde. Obama ließ den Worten nie Taten folgen, Trump hingegen bombardierte eine syrische Luftwaffenbasis nach einem C-Waffen-Angriff vor einem Jahr.

Vor Kurzem hatte Trump angekündigt, die zum Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) in Nordsyrien auf Seiten der Kurden stationierten US-Truppen – ihre Zahl wird auf bis zu 2.000 geschätzt – abzuziehen. Nachdem das Pentagon widersprach, kündigte eine Assad-treue Miliz den Beginn eines „Dschihad“ mit iranischer Hilfe gegen die „US-Besatzer“ an.

Verhandlungen über Polizeitruppe

So stehen jetzt alle Zeichen auf Eskalation in Syrien. Für die 100.000 bis 150.000 Einwohner von Douma ist diese Eskalation bereits Realität. Seit Freitag wird um die größte Stadt der einstigen Rebellenenklave Ost-Ghouta wieder heftig gekämpft. Syriens Regime begann im Februar, die seit 2012 belagerte Ost-Ghouta zurückzuerobern.

Die in Douma stationierte Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) weigerte sich als einzige Rebellenarmee, einen Regierungsangebot auf bedingungslosen Abzug und freies Geleit in die Rebellenprovinz Idlib Folge zu leisten. Während alle anderen Orte der Ost-Ghouta in den vergangenen Wochen an das Regime fielen, verhandelte Dschaisch al-Islam unter Vermittlung Russlands mit dem Regime über einen Verbleib in Douma als Polizeitruppe. Das Faustpfand der einst mit Unterstützung Saudi-Arabiens als Gegengewicht zu Al-Qaida-nahen Gruppen aufgebauten Armee: ihre Kriegsgefangenen und ihre Stärke, mit rund 9.000 Kämpfern und schwerer Artillerie.

Vergangene Woche brachen die Gespräche ab und Syriens Regierung startete eine Großoffensive auf Douma, begleitet von Luftangriffen, die allein am Samstag 47 Tote gefordert haben sollen. Es gab verlustreiche Straßenkämpfe. Beide Seiten stellen die Kämpfe als Entscheidungsschlacht dar. Ein Einsatz von Chemiewaffen passt in das Bild einer Eskalation, in die beide Seiten alle verfügbaren Mittel werfen. Berichten zufolge könnten bei dem Einsatz sowohl Sarin als auch Chlorgase zum Einsatz gekommen sein.

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