Sittenpolizei des iranischen Regimes: Der Westen lässt mit sich spielen
Sittenpolizei hin oder her – Unterdrückung von Frauen und menschenverachtende Ideologie sind Grundpfeiler des Regimes.
D ie Nachricht schlug ein. Zumindest in deutschen Medien. Bild.de titelte am Sonntag: „Mullah-Regime löst iranische Sittenpolizei auf!“ Auf allen großen Nachrichtenseiten war die Meldung zu lesen, dass der iranische Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri am Samstag verkündet hat, die sogenannte Sittenpolizei aufzulösen.
Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob die Meldung so wirklich stimmt: Denn Montaseri hat im gleichen Atemzug gesagt, dass die Kontrollen weitergehen sollen. Insgesamt gab es am Sonntag einige widersprechende Meldungen. Auch über Dementi vonseiten des iranischen Regimes wurde in den sozialen Medien gesprochen. Grundsätzlich kann man sagen: Ob die Sittenpolizei abgeschafft wird oder nicht – für die Menschen im Iran macht es keinen Unterschied.
Es war ebendiese Sittenpolizei, die Jina Amini am 13. September festgenommen hat. Ihr Tod löste die Protestbewegung aus, die nun seit fast drei Monaten mit unvorstellbarer Kraft Widerstand gegen das System der Islamischen Republik leistet.
Genau darum geht es: um das System. Über die Sittenpolizei spricht im Iran schon lange niemand mehr. Sie spielt bei der Niederschlagung der Proteste keine Rolle, ebenso wenig bei der systematischen Ausübung sexualisierter Gewalt in iranischen Gefängnissen oder bei der Verhängung von Todesurteilen. Die Menschen wollen nur eines: den Sturz des Regimes. Sie wollen Frau, Leben, Freiheit.
Die Sittenpolizei ist ohnehin eine eher neue Erfindung in der Islamischen Republik. Die „Sitten“, wie sich Frauen zu kleiden, was sie zu tun und zu lassen haben, gibt es seit 1979, seit der Machtübernahme Ruhollah Chomeinis. Polizei und Basidsch-Milizen kontrollieren und setzen diese Regeln mit äußerster Brutalität durch – auch schon vor der Einführung der Sittenpolizei 2005.
Im Iran hat die Meldung vom Sonntag viele Menschen gar nicht interessiert. Sie wissen, wie das Regime agiert. Im Iran gehen viele davon aus, dass die Verkündung, die Sittenpolizei abzuschaffen, eine Ablenkung ist. Westlichen Staaten soll signalisiert werden, dass der Iran sehr wohl reformfähig sei – ein Spiel, dass das Regime seit vielen Jahren mit dem Westen spielt. Das überwältigende Echo deutscher Medien ist ein Hinweis darauf, dass dieses Spiel immer noch allzu gut funktioniert.
Unterdrückung der Frauen und menschenverachtende Ideologie sind Grundpfeiler des Regimes. Die iranische Führung hat vor 2005 auch ohne die Sittenpolizei erfolgreich Frauen unterdrückt und wird es weiter tun – Sittenpolizei hin oder her.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen