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Simone Dede Ayivi über Denkmäler„Weg vom Blick auf die Täter“

Eine Onlinekarte listet Orte mit Kolonialvergangenheit auf. Es brauche eine antirassistische Perspektive, sagt Simone Dede Ayivi von der Initiative Schwarze Menschen.

„Der Anspruch ist höher, als nur die Scheiße aufzulisten“, sagt Simone Dede Ayivi Foto: Renata Chueire
Erik Peter
Interview von Erik Peter

taz: Frau Ayivi, Sie haben als Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zusammen mit dem Peng-Kollektiv eine Karte veröffentlicht, auf der Orte, Straßen und Denkmäler verzeichnet sind, die an Kolonialverbrechen erinnern. Was wollen Sie damit erreichen?

Simone Dede Ayivi: Schon lange arbeiten viele Organisationen am Thema der kolonialen Spuren im Stadtraum, es gibt künstlerische Projekte genauso wie Sammlungen über solche Orte in einzelnen Städten. Im Zuge der aktuellen Denkmalstürze haben wir beobachtet, wie jetzt immer mehr gefragt wird, wo stehen diese Dinger in Deutschland. Wir wollen also das Wissen zusammentragen, ohne vorzugeben, wer die größten Kolonialverbrecher sind. Und dazu einladen, Orte selbst zu finden und einzutragen. Nach wem ist meine Straße benannt, was sind das für Männer mit und ohne Pferd, die in den Innenstädten stehen? Was haben die getan, wofür stehen die? Wir wollen die Kolonialvergangenheit offenlegen. Der Anspruch ist höher, als nur die Scheiße aufzulisten.

Wie viel haben Sie gefunden? Was sind die häufigsten Namen?

Es sind jetzt schon einige hundert Straßen, Plätze, Denkmäler und Häuser verzeichnet. Die häufigsten Namen sind Lüderitz und Wissmann. In sehr vielen Städten gibt es eine Peters-Straße, benannt nach Carl Peters, Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Das hat mich verwundert, da in vielen Städten entsprechende Straßen schon umbenannt wurden. Und Bismarck-Türme sind fast schon eine Denkmalkategorie für sich.

Sollen alle Peters-Straßen umbenannt und Bismarck-Türme abgebaut werden?

Wir fordern, dass sich die Perspektive ändert. Aus der M-Straße soll nicht einfach nur die Schönste-Berliner-Straße werden, sondern die Anton-Wilhelm-Amo-Straße – das war der erste Gelehrte afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität. Umbenennungen sollen dazu führen, dass der Widerstand geehrt wird. Wir müssen weg vom Blick auf die Täter und Kolonialverbrecher hin zu einer antikolonialen und antirassistischen Perspektive.

Wenn wir eine antirassistische Gesellschaft wollen, müssen wir fragen, wer sind die Opfer, die wir ehren wollen? Ein leerer Sockel ist ein guter Schritt, um das herauszufinden. Über diese Leerstellen sollen breite Diskus­sio­nen geführt werden. Dann kann man etwa Künstler*innen vom afrikanischen Kontinent einladen, die Plätze, auf denen bislang Kolonialisten gedacht wurde, neu zu gestalten.

Im Interview: Simone Dede Ayivi

36, seit zehn Jahren Mitglied in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Autorin und Künstlerin aus Schwarzer feministischer Perspektive

Ist die Gesellschaft in der Aufarbeitung von Kolonialverbrechen weiter, als es die Fülle der Straßennamen und Denkmäler anzeigen?

Nein, das geht ganz gut zusammen. Es gab etwa einen enormen Widerstand im afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding gegen die Straßenumbenennungen. Es gibt überhaupt kein Bewusstsein für die Gräueltaten, selbst dann nicht, wenn jemand wie Carl Peters den Beinamen Hänge-Peters hat. Dabei ist die Ehrung dieser Mörder vor allem für Schwarze Menschen eine Gewalterfahrung im öffentlichen Raum. Wenn aber selbst so etwas nicht ausreicht, dann ist der Diskurs einfach noch nicht angekommen. Anderseits ist es aber auch so, dass uns die sehr harte Arbeit von vielen Organisationen in den vergangenen 20 Jahren an den Punkt gebracht hat, an dem wir jetzt sind – wo wir laut und öffentlich unsere Perspektive einfordern und mit so einer Website an den Start gehen.

Ist jetzt der Moment gekommen, um wirklich die Politik zum Handeln zu bewegen?

Es ist gerade ein politischer Moment, aber auch ein emo­tio­naler. „Enough is enough“ muss hier genauso gehört werden wie in den USA. Mit der Ermordung von George Floyd ist die Stimmung gekippt: Wir wollen nicht mehr aushandeln, ob die Perspektive von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, wichtig ist. Es muss jetzt gehandelt werden.

Fordern Sie zur Militanz, zum Stürzen von Denkmälern auch hierzulande auf?

Das kommt darauf an, was man unter Militanz versteht. Die Karte ist auf jeden Fall dafür gedacht, nicht mehr mit geschlossenen Augen vorbeizugehen, sondern natürlich ein Aufruf zum Handeln. Das kann eine E-Mail an die Bezirksverordneten sein oder eine Demonstration. Das bleibt alles selbst überlassen. Und ja, es ist ein wohl­tuen­des Bild, diese Statuen überall fallen zu sehen.

Die Deutschlandkarte gibt es unter www.tearthisdown.com.

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10 Kommentare

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  • Klar ist wieder die"Mohrenstraße" dabei Die Karte soll Namen enhalten, die an Kolonialverbrechen erinnern. Daran erinnert aber mitnichten an Kolonialverbrechen, sondern an ehrt eine afrikanische Delegation, die dort einquartiert worden ist. Eindeutige Belege gibt es dafür zwar nicht. Dafür aber, dass dort Sklaven gewohnt haben sollen, auf die der Name zurückgeht, gibt es aber auch nicht.

  • Man könnte natürlich jetzt aus schlechten Gewissen alle Straßen und Denkmälern von den Nachfolgern der Kolonialopfern bespielen lassen. Eine Auseinandersetzung mit unserer Geschichte wäre aber nicht. An Kriegsverbrechern ist nicht mehr zu gedenken, an alle aber, die letztlich auch nur Träger ihres Zeitgeistes waren, aber schon. Hier in Kreuzberg will sogar einer von den Grünen die Straßen der Generäle der Befreiungskriege umbenennen. Dabei sind Leute mit damals fortschrittlichen Ansichten wie Gneisenau dabei. Ich bin völlig gegen die ahistorische Gegenwartsapotheose, mit der die Vergangenheit von allem plattgewalzt wird, was der platten Moral von heute nicht genügt.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Meiner Kenntnis nach heißt Lüderitz immer noch Lüderitz - in Namibia.



    Sollte man sich da nicht zuerst darauf einigen?

  • Die Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit ist gut, aber dabei nicht vergessend, daß es sich (weitgehend) um Vergangenheit handelt.

    Der Blick, der all dies umstandlos in die Gegenwart verlängert, ist selbst wieder in dem Sinne geschichtslos, daß er die Geschichte nicht als Entwicklung versteht und daß er Fortschritte übersieht, und u.U. ein defaitistisches Gegenwartsbild befördet, das gegen Teufel kämpft, die längst abgedankt haben.

    Bei aller Kritik: Würdigen wir das Erreichte in angemessenem Maße, es ist nicht selbstverständlich, und es ist immer fragil. Es braucht Kräfte, die es verteidigen.

    Abgesehen vom (extremen) Einzelfall, der eine Entfernung einer Skulptur rechtfertigen mag: Wer erst einmal damit anfängt, Geschichte reinigen zu wollen, läuft Gefahr in einer Orwell'schen Dystopie zu landen.

    Lesen wir die Skulpturen kritisch und lernen wir dabei! - aber lassen wir sie stehen. Die Gefahren, die vom Geist der Reinigung ausgehen, scheinen mir größer zu sein, als die Gefahren, die von Statuen ausgehen, die Personen der Vergangenheit zeigen ( die ohnehin viele gar nicht kennen). Dieser Geist droht die beabsichtigten Zwecke zu kontaminieren.

  • Es ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob Straßen überhaupt nach Menschen benannt werden sollten.

  • Strassen, die nach Mördern benannt wurden, umzubenennen, ist verständlich. Muss man sich halt umstellen, wenn man des Namen so gewohnt war – aber bei Twix un O2 hats ja auch geklappt.



    Denkmäler sind auch nicht für die Ewigkeit bestimmt, dass die für immer rumstehen sollen ist ja eine Marotte der Neuzeit; wenn dann auch noch solche Verbrecher auf den Pferden drauf hocken, ab ins Museum damit, mit Kontext und so.

    Aber wenn wer unserer Region den Aussichtsturm kaputtmachen/abreissen wollert, den übrigens keine Sau hier "Bismarck-Turm" nennt (dass das einer ist oder war, hatte ich erst neulich durch Wikipedia erfahren), sondern Moritzbergturm, würde ich mit friedlich aber engagiert dagegen wehren.

  • Wir konzentrieren uns also nach wie vor auf Symbole und zersplittern die Kapazitäten auf zusätzliche Themen? Wirklich?

    Ich meine, vor den augenblicklichen Themen wie "Müll" mit Strafanzeige oder nicht, Statuen- und Bilderstürmern... redet da momentan noch groß jemand über Polizeibrutalität oder (z. B.) Nachteile am Mietmarkt? Nee... und die nächste Sau durch's Dorf wartet schon...

  • Persönlich glaube ich, dass gerade bei Straßennamen benannt nach einem Lettow-Vorbeck und Co, die ja eine Ehrung darstellen, einfach nur wiederlich ist und umbenannt werden müssen.



    Ein Argument lässt gleichzeitig meine Augen verdrehen: Straßennamen, die sich auf Ereignisse vor 110-140 beziehen, als Gewalterfahrung im öffentlichen Raum zu bezeichnen wird nicht dazu führen, die Menschen für die richtige Sache zu gewinnen.

    • @Andi S:

      Man könnte sagen, es ist eine Verharmlosung echter Gewalterfahrungen.

      • @Gustavo Cortes:

        Die nicht die Erfahrungen der Person sind, die meint dadurch Gewalt zu erfahren. Das ist einfach nur Pathos. Ähnlich wie bei den hellhäutigen Einwohnern der Republik, dürfte auch unter den dunkelhäutigen Einwohnern der Republik größtenteils Unwissen über den Ursprung der Straßennamen herrschen. Die Straßen sollte man definitiv umbenennen, wie auch einige von irgendwelchen Fliegerassen und eine Luddendorf- und Hindenburgstraße sollte es auch nicht mehr geben. Auch keine Siegessäulen für irgendwelche Kriegstreiber der deutschen Monarchie.