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Polizeigewalt beim G20-Gipfel wird amtlich

Die Hamburger Polizei muss Schadensersatz an drei Attac-Aktivist*innen zahlen. Sie waren beim G20-Gipfel im Jahr 2017 Opfer von Polizeigewalt geworden

Während des G20-Gipfels in Hamburg vielerorts zu sehen: Polizeigewalt Foto: Miguel Ferraz

Von Katharina Schipkowski

Für eine vier Zentimeter große Platzwunde am Hinterkopf zahlt die Polizei sieben Jahre nach dem G20-Gipfel 800 Euro, und die Sache ist gegessen. Mit der Zahlung von zwei weiteren, lächerlich geringen Summen, also mit insgesamt 1.600 Euro Schadensersatz, endet ein langjähriges Gerichtsverfahren zwischen der Nichtregierungsorganisation Attac und der Polizei Hamburg.

Geklagt hatten die drei von Polizeigewalt betroffenen Attac-Mitglieder schon im Januar 2018, ein halbes Jahr nach den Gipfelprotesten. Im Juli 2017 waren sie als Teil des „Roten Fingers“ Opfer massiver Polizeigewalt geworden, als sie versucht hatten, die Protokollstrecken der Staats­che­f*in­nen zu blockieren und in die Demoverbotszone zu gelangen.

Po­li­zis­t*in­nen hatten die De­mons­tran­t*in­nen ohne Vorwarnung angegriffen und mit Schlagstöcken auf sie eingeprügelt. Videos dokumentieren den Gewaltausbruch und die zum Teil schweren Verletzungen. Die drei Klä­ge­r*in­nen mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Als das Gericht seine Arbeit im Jahr 2018 aufnahm, weigerte sich die Polizei zunächst, eine Stellungnahme abzugeben. Stattdessen ermittelte die polizeiinterne Ermittlungsstelle gegen die Kolleg*innen, und auch die Staatsanwaltschaft wurde wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt tätig.

Das Verwaltungsgericht war im Gegenzug untätig, weil es die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten wollte, bevor es die Rechtswidrigkeit der Einsätze und mögliche Schadensersatzansprüche prüfte.

Doch dann passierte drei Jahre lang nichts. Schließlich stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein: Die Täter, die auf den Videos zu sehen sind, hätten nicht ermittelt werden können. Auch das Verwaltungsgericht erwachte nicht aus seiner Untätigkeit, bis Attac im August 2022 eine Untätigkeitsbeschwerde einlegte. Daraufhin schlug das Gericht einen Vergleich vor.

Das Gericht äußerte „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ der Gewaltanwendung ohne Vorwarnung. In einer Stellungnahme signalisierte es, dass es die Gewalt als unverhältnismäßig bewerten würde und es dann auf die Frage ankäme, warum es der Polizei nicht möglich gewesen sei, die Demonstration auf friedlichem Wege aufzulösen, bevor sie losprügelte.

„Eine Gewaltanwendung durch Polizeibeamte kann nicht als verhältnismäßig zu werten sein, soweit ihre Erforderlichkeit auf Mängel in der polizeilichen Einsatzplanung zurückzuführen sind“, findet das Gericht.

Die Polizei hatte argumentiert, eine Androhung von Gewalt sei aufgrund der Dynamik der Situation nicht möglich gewesen, deshalb habe sie die Demo mit Gewalt „aufstoppen“ müssen. Der Anwalt der Kläger*innen, Dieter Magsam, nannte diese Argumentation „absurd“. Die Polizei behaupte, sie müsse „eine friedliche Demonstration erst gewaltsam zusammenknüppeln, bevor sie diese rechtskräftig auflösen könne“, kritisierte Magsam. Wegen einer Vielzahl ähnlicher Fälle beim G20-Gipfel in Hamburg müsse man von einem systematischen Versagen der Polizei sprechen.

Die Frage, ob die Überforderung der Polizei selbst verschuldet war, vor Gericht zu klären, würde ein riesiges Fass aufmachen. Die Hamburger Polizei müsste ihre gesamte G20-Einsatzplanung offenlegen. Für so ein umfangreiches Verfahren seien in absehbarer Zeit allerdings keine Termine frei, habe der Richter den Betroffenen signalisiert. So berichtet es die Klägerin Sabine Lassauer der taz.

Angesichts des schon jahrelang verschleppten Prozesses entschieden sich die Klä­ge­r*in­nen jetzt, den Vergleich anzunehmen. „Es ist ein Schuldeingeständnis von Stadt und Polizei, sich auf den Vergleich und die Schadensersatzzahlung einzulassen“, sagt Lassauer. Deshalb sei das Ergebnis ein Erfolg.

Die Polizei habe den Eindruck erweckt, unter allen Umständen verhindern zu wollen, dass es zur Verhandlung samt Offenlegung der Einsatzplanung komme. „Aber die jahrelange Verschleppung hat auch bei uns Spuren hinterlassen“, sagt Lassauer. Die Motivation sei sieben Jahre nach den Ereignissen nicht mehr die gleiche, die Lebensumstände hätten sich verändert. Ihre Narbe, die sie von der vier Zentimeter großen Platzwunde am Hinterkopf hat, sei jedoch geblieben.

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