Sicherheitskonferenz in München: Gabriels politischer Überlebenskampf
Ob Deniz Yücels Freilassung und ein staatsmännischer Auftritt in München Sigmar Gabriel retten, ist ungewiss.
Die Europäische Union dürfe sich nicht durch andere auseinanderdividieren lassen. „Um in einer Welt von morgen unsere Werte, unseren Wohlstand, unsere Sicherheit zu behaupten, müssen wir zusammenstehen.“ Europa solle seine „Zukunft gestalten und nicht erdulden“.
Es ist ein sorgsam ausgefeilter Wortbeitrag mit etlichen schönen Merksätzen fürs politische Poesiealbum. Jede Formulierung sitzt. Wenn sich Gabriel, für ihn äußerst ungewöhnlich, nicht immer wieder kleinere Versprecher und Verhaspler leisten würde. Gleichwohl ist seine Botschaft unüberhörbar: In solch unsicheren Zeiten bedarf es besonnener Politiker, wie er einer ist.
Mit keinem Wort erwähnt Gabriel in seiner Rede jenes Ereignis, das ihm die Zeit gekostet hat, sie vorher ausreichend zu üben: die Freilassung des deutschen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei. Stattdessen gibt er sich alle Mühe, als formidabler Staatsmann zu erscheinen, der das große Ganze im Blick hat. Seriös, kompetent, erfahren – das ist das Bild, das er von sich an diesem Samstag zeichnen will.
Diplomatisch und besonnen
Selbst als ihn Tagungsleiter Wolfgang Ischinger anschließend auf dem Podium doch noch auf den Fall Yücel anspricht, gibt sich Gabriel zurückhaltend, verweist auf die fünf Deutschen, die immer noch in türkischen Gefängnissen sitzen würden. „Wir müssen, glaube ich, dieses Momentum nutzen jetzt, alle Gesprächsformate wieder zu beleben mit der Türkei – wissend, dass das nicht einfach wird, wissend, dass das nicht von heute auf morgen zu ganzen einfachen Zeiten führt“, sagt er diplomatisch.
Es soll gar nicht erst der Eindruck aufkommen, der Sozialdemokrat würde seinen großen Erfolg auskosten. Das hat Gabriel bereits am Vortag zur Genüge getan. Der Auftritt in München ist eine Etappe im Kampf um sein politisches Überleben.
Vor fast zwei Wochen schien Gabriel schon erledigt. Unsanft hatte ihn die SPD-Spitze ins Abseits gestellt und zu seiner Empörung nicht in ihrer Kabinettsliste berücksichtigt. Beleidigt schoss er öffentlich gegen den damals noch amtierenden Parteichef Martin Schulz, der beschlossen hatte, ihn als Außenminister zu beerben.
Nach dessen freiwillig-unfreiwilligen Verzicht wittert Gabriel nun wieder die Chance, vielleicht doch im Amt zu verbleiben. Doch die Widerstände sind groß. Die Freilassung von Yücel hätte da für ihn nicht passender getimt sein können.
Die eigenen Verdienste
Die Nachricht aus Istanbul könnte Sigmar Gabriel den Job retten. Er weiß das – und legt schon am Freitag die perfekte Inszenierung hin. Um 12.30 Uhr, die Nachricht von der Freilassung ist da gerade eine Stunde alt, fährt sein Wagen in München vor dem Bayerischen Hof vor, wo kurz darauf die Sicherheitskonferenz startet. Drei Minuten spricht er am Eingang vor einem Pulk Journalisten sichtlich zufrieden darüber, „dass Diplomatie und der Versuch, miteinander im Gespräch zu bleiben, Erfolg haben kann“. Dann betritt er das Hotel, sagt seine Verabredungen für den Nachmittag ab und verschwindet schließlich fürs erste wieder – zuerst zu einem Redaktionsgespräch in die Münchner Zentrale der Süddeutschen Zeitung, dann zurück nach Berlin.
Dort taucht er keine vier Stunden später auf, Mitten in der Redaktion der Welt. Mit Chefredakteur Ulf Poschardt und Springer-Verlagschef Mathias Döpfner gibt er dort das nächste Pressestatement ab und preist seine eigenen Verdienste an: Die „Kraft der Diplomatie“ habe für Yücel das Gefängnistor geöffnet. Mit dem türkischen Außenminister habe er regelmäßig über den Fall gesprochen, „zwei Gespräche habe ich dann auch direkt mit dem türkischen Präsidenten geführt“.
Wie schon zuvor in München dankt er ausdrücklich der Bundeskanzlerin dafür, dass sie ihm die Freiheit „eingeräumt“ habe, in dieser Sache selbstständig zu handeln. Sie habe ihn „arbeiten lassen“, formulierte er vor dem Bayerischen Hof. „Ich! Ich! Ich!“, heißt das frei übersetzt: „Ich habe das geschafft!“
Wie auch immer Gabriel es genau angestellt hat, Deniz Yücel nach 367 Tagen aus dem türkischen Knast zu holen: Der Coup ist für ihn ein Glücksfall. Doch reicht das aus, um auch Außenminister zu bleiben?
Unter Gabriel körperlich gelitten
Über Gabriels Zukunft gibt es in der SPD zwei Lesarten. Die eine besagt, dass er auf keinen Fall im Amt bleiben darf. Gabriel hat in der SPD nur noch sehr wenige Freunde und viele Feinde. Es gibt kaum jemanden in der engeren SPD-Spitze, den er nicht irgendwann vor den Kopf gestoßen hätte. Sein Zickzackkurs bei wichtigen Fragen, seine Impulsivität, seine Neigung, andere arrogant abzukanzeln – viele in der SPD haben unter Gabriels gut siebenjähriger Führung geradezu körperlich gelitten.
Mit seiner Attacke auf Martin Schulz – „den Mann mit den Haaren im Gesicht“ – hat er seine Chancen weiter minimiert. So etwas sei „unentschuldbar“, sagen gut vernetzte SPDler. Gabriel werde in Zukunft nur noch einfacher Abgeordneter sein, sagte ein Vorstandsmitglied nach dem Schulz-Eklat. Er klang nicht unglücklich dabei.
Dass Gabriel sich in der vergangenen Woche bei dem gescheiterten Schulz entschuldigte, scheint ihm dabei nicht viel zu nützen, unterstellen doch die ihm nicht Wohlgesonnenen, dass hinter der Demutsgeste ohnehin nur mal wieder reines Kalkül steckt.
Die andere Lesart wird von Leuten vorgetragen, die Gabriel verteidigen. Sie lautet: Gabriel sei – bei all seinen unbestrittenen Schwächen – nach wie vor ein politisches Ausnahmetalent. Außerdem sei er einer der erfahrensten und ausgebufftesten Profis, über den die Sozialdemokratie im Moment verfüge. Nicht zuletzt sei er einer, wenn nicht gar der beliebteste Spitzenpolitiker in Deutschland – was allerdings noch fast jedem bundesdeutschen Außenminister seit Heinrich von Brentano gelungen ist.
Gleichwohl werden nach dem glücklichen Ende der Causa Yücel seine Sympathiepunkte wohl noch weiter steigen. Kann es sich die SPD leisten, einen solchen Mann abzuschießen?
Entscheidung bei Scholz und Nahles
Es ist nicht so, dass Gabriel keine FürsprecherInnen mehr hätte. Nicht nur der parteirechte Seeheimer Kreis hält ihm weiterhin die Stange, auch Parteilinke wie Gesine Schwan, die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, oder der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer sprechen sich für seinen Amtsverbleib aus. Nach der Freilassung Yücels gebe „es noch weniger Grund, Gabriel abzulösen“, sagte Schäfer dem Tagesspiegel. „Die SPD hat niemand besseren für das Außenamt.“
Entscheidend für Gabriels Zukunft sind jedoch Andrea Nahles und Olaf Scholz. Nahles wird die SPD in Zukunft führen, Scholz ist seit Schulz' Rücktritt der kommissarische Vorsitzende. Sie bestimmen – in Absprache mit der restlichen SPD-Spitze – darüber, wer ein Ministeramt bekommt. Das Ergebnis wollen sie Anfang März bekanntgeben, nach dem SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag.
Weder Nahles noch Scholz halten viel von Gabriel. Dem staubtrockenen Hamburger ist dessen impulsive Art zuwider, Nahles litt als Generalsekretärin jahrelang unter Gabriels Launen. Beide dürften nicht nur wegen alter Rechnungen wenig Interesse an einem Minister Gabriel haben. Er bliebe für sie ein ständiger Störfaktor. Schwer vorstellbar, dass sich das machtbewusste Alphamännchen aus Goslar ihren Ansagen unterordnen würde.
Entsprechend müht sich Nahles dieser Tage ab, Gabriel nicht zu glänzend dastehen zu lassen. Eine „Kampagne in eigener Sache“ warf sie ihm im Spiegel vor. In ihrem ersten Statement zur Yücel-Freilassung erwähnte sie den Außenminister mit keinem Wort – anders als zum Beispiel die Kanzlerin, die in ihrer Stellungnahme „auch ganz besonders“ Sigmar Gabriel dankte.
Fehlende Alternativen
Nahles hat aber auch ein Problem: Um Gabriel loszuwerden, muss sie eine überzeugende Alternative präsentieren. Und das ist nicht ganz einfach. Die SPD hat zwar einige erfahrene Außenpolitiker: Fraktionsvize Rolf Mützenich zum Beispiel, Außen-Staatssekretär Michael Roth oder den Bundestagsabgeordnete Niels Annen. Sie alle könnten in außenpolitisch schwierigen Zeiten ohne lange Einarbeitung durchstarten.
Gegen sie spricht aber alleine schon, dass sie bislang nicht in der ersten Reihe standen und nicht das politische Gewicht für den Posten mitbringen. Außerdem gehören sie allesamt zur Parlamentarischen Linken in der Bundestagsfraktion. Würde einer der drei berufen, geriete die sorgsam austarierte SPD-Strömungsarithmetik durcheinander. Der Unmut des mächtigen Seeheimer Kreises wäre programmiert.
Unter der Parteiprominenz wiederum fehlt die diplomatische Erfahrung. Einer der Namen, die derzeit unter der Hand genannt werden, ist der von Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. Aber für ihn spricht nicht viel mehr, als dass er wie Gabriel Niedersachse und Seeheimer ist. Reicht das schon für’s Außenamt? Und was würde für den ebenfalls gehandelten bisherigen Justizminister Heiko Maas sprechen?
Als realistischste Gabriel-Alternative scheint in dieser Riege noch die bisherige Familienministerin Katarina Barley, die in der Partei geschätzt ist und einen internationalen Hintergrund mitbringt: Sie besitzt den deutschen und den britischen Pass, studierte unter anderem in Frankreich und äußert sich immer wieder auch zu europapolitischen Fragen.
Die SPD, die die EU an den Anfang des Koalitionsvertrags gestellt hat, könnte um Barley eine passende Erzählung spinnen. Und sie selbst hätte offenbar Lust aufs Außenministerium. Zum politischen Aschermittwoch trat sie zu Hause in Rheinland-Pfalz aus. Beim Hering-Essen des SPD-Ortsverbands Zemmer sagte sie, als Außenministerin zur Verfügung zu stehen. So berichtete es hinterher zumindest der Chefreporter des Trierischen Volksfreund.
Was – zumindest aus Sicht des Seeheimer Kreises – gegen sie spricht: auch Barley gehört zur Parlamentarischen Linken. Können es Nahles und Schulz wirklich wagen, Barley gegen Gabriel in Stellung bringen? Ist die Freilassung von Deniz Yücel der Höhe- und Schlusspunkt seiner politischen Karriere – oder beschert sie ihm eine Verlängerung?
Der Außenminister, der in diesen Tagen sehr viel redet, gibt auf Fragen nach seiner Zukunft natürlich keine Antwort. Während seines Auftritts in der Welt-Redaktion fragt ihn eine Reporterin, ob seine Chancen auf dem Verbleib im Amt jetzt gestiegen seien. „Darüber habe ich mir ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht“, antwortet er schmallippig. Ganz sicher nicht, wie könnte es anders sein. „Ich kenne keine andere Methode, als gute Situationen zu nutzen, um die besseren anzusteuern“, sagte Gabriel am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz zum weiteren Umgang mit der Türkei. Der Satz passt allerdings ebenso gut auf den politischen Überlebenskampf, den er gerade führt. Ausgang offen.
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