Sexualisierte Gewalt vor Gericht: Schlechte Chancen für Betroffene
Bei Prozessen wegen sexualisierter Gewalt steht häufig Aussage gegen Aussage. Viel zu häufig kommen die Angeklagten damit ungestraft davon.
R ichterin Nicole Spiegelhalder findet gleich am Anfang klare Worte. „Das Urteil geht so nicht“, sagt die Vorsitzende am ersten Prozesstag eines Berufungsverfahrens am Landgericht Hamburg. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Hamburg-Barmbek 2020 einen Masseur freigesprochen, der bei der Arbeit in der Sauna eines städtischen Schwimmbads eine Kundin sexuell belästigt haben soll.
Während er die Tat bestreitet, gibt die betroffene Nebenklägerin an, sie leide bis heute unter den Folgen des Übergriffs. Es steht also Aussage gegen Aussage, im Sexualstrafrecht keine Seltenheit.
Im ersten Prozess seien die beiden Aussagen aber nicht ausreichend gewürdigt worden, meint die Richterin im Berufungsverfahren. „Wir werden uns gründlich ein eigenes Bild machen“, stellt sie daher klar.
Das ist zunächst mal ein wichtiges Zeichen, denn viel zu häufig werden bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen von Gewalt betroffene Frauen infrage gestellt.
Ob im Spa, Zuhause oder sonst wo: Nach Statistiken des Bundeskriminalamts erlebt jede dritte Frau in Deutschland in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Dabei gibt es Kritik an den Zahlen des BKA, noch immer gibt es keinen zentralen Datensatz zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Nur eins steht fest: Sie ist Alltag.
In den letzten fünf Jahren sind allein in Hamburg und Bremen drei Masseure verurteilt worden, die Frauen während der Arbeit sexuell belästigt haben. In einem Fall aus diesem Jahr hat ein Masseur eine Kundin vergewaltigt.
Während Anzeigen wegen sexualisierter Gewalt in den letzten Jahren gestiegen sind, nehmen gleichzeitig Verurteilungen ab. Die offensichtlich noch immer herrschenden patriarchalen Zustände allein sind natürlich noch kein Beweis für die Schuld des Angeklagten im aktuellen Fall. Vor Gericht geht es um die Beurteilung eines ganz konkreten Tatvorwurfs gegen eine ganz bestimmte Person. Dafür braucht es Beweise.
Das ist oft nicht gerade einfach. Die Nebenklägerin im Prozess um die mutmaßliche sexuelle Belästigung in der Sauna berichtet, sie habe am Tag nach dem Vorfall bei der Rechtsmedizin angerufen, um mögliche Spuren des Übergriffs zu sichern. Allerdings habe man ihr am Telefon erklärt, dass sie ohne eindeutige Verletzungen gar nicht erst zu kommen brauche.
Es bleiben also nur die Aussagen. Zwar sind die im juristischen Sinne auch Beweismaterial, wenn es aber eben nur zwei gegensätzliche gibt, geht es am Ende um die Frage: Wem glaubt man?
Die Antwort lautet viel zu oft: nicht den Frauen. Das berichtet etwa die Rechtsanwältin Christina Clemm, die seit Jahrzehnten Betroffene patriarchaler Gewalt vertritt. Die Gefahr sei groß, dass Verfahren mit einem Freispruch oder einer Einstellung enden. Für ihre Mandantinnen sei das oft unerträglich, schreibt die Anwältin in ihrem Buch „Akteneinsicht“ (2020).
Unerträglich kann schon der Prozess nach einem Übergriff sein. Schließlich bedeutet das, Einzelheiten eines traumatischen Ereignisses in einem Raum mit fremden Menschen und dem Täter noch einmal in allen Einzelheiten zu schildern. Warum sollte man sich das antun?
Unerträgliche Freisprüche
„Es geht mir nicht um Schadensersatz, ich möchte einfach, dass andere Frauen diese Erfahrung nicht machen müssen“, sagt die Nebenklägerin im Berufungsverfahren am Landgericht Hamburg am Dienstag.
In diesem Fall ist noch nichts entschieden. Drei Prozesstage sind angesetzt, mehrere Zeug*innen sind geladen, das Urteil wird für Ende November erwartet. Bis dahin wird das Gericht klären müssen, was aufzuklären möglich ist.
Natürlich ist der Grundsatz mit „Im Zweifel für den Angeklagten“ ein hohes Gut. Natürlich muss in jedem Fall einzeln entschieden werden. Klar ist aber auch: Gewalt gegen Frauen ist verdammt alltäglich und ein Freispruch oder eine Einstellung nach einem Übergriff verdammt unerträglich.
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