Separatisten stimmen für Unabhängigkeit: Katalanisches Drama
Die Separatisten fordern Spaniens Regierung heraus: Das Regionalparlament verabschiedet eine Resolution zur Unabhängigkeit. Madrid kontert.
Im Vorwort der Resolution der Fraktion des Wahlbündnisses Gemeinsam für dass Ja (JxSí) und der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) steht, was das genau bedeutet: „Wir machen uns den Auftrag des Volkes von Katalonien, der im Referendum zur Selbstbestimmung am 1. Oktober zum Ausdruck gebracht wurde, zu eigen, und erklären, dass Katalonien sich zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wandelt.“ Die Befürworter stimmten die Nationalhymne an. Ihr Traum von der Unabhängigkeit schien zum Greifen nah.
Die Resolution erhielt 70 Ja-Stimmen, zehn Nein-Stimmen. Zwei Abgeordnete gaben einen leeren Stimmzettel ab. JxSí und die CUP verfügen zusammen über 72 Stimmen. Bis auf die Abgeordenten der Liste Ja, Katalonien kann (CSQP) hatten alle Oppositionsparteien – die rechtsliberalen Ciudadanos, die sozialistische PSC und die in Madrid regierende Partido Popular (PP) – den Plenarsaal aus Protest verlassen, bevor die Befürworter der Unabhängigkeit damit auch den letzten Schritt zur Eigenständigkeit verabschiedeten.
Bei dem vom Verfassungsgericht für illegal erklärten Referendum am 1. Oktober, auf das sich die Resolution beruft, hatten etwa 90 Prozent für die Unabhängigkeit der wirtschaftsstarken Region gestimmt. Es beteiligten sich allerdings nur 43 Prozent der Wahlberechtigten. Das Gesetz zum Übergang, auf das sich die Resolution bezieht, wurde ebenfalls für ungültig erklärt.
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„Die letzten beiden Tagen waren wie eine Achterbahnfahrt“, erklärt Nil Rider. Der 24-jährige Geschichtslehrer ist den zweiten Tag in Folge auf der Straße. Erst besorgt, dann verstört, schließlich verärgert, dann wieder voller Hoffnung. Und jetzt feiert er sein „Freies Katalonien“, überglücklich vor dem katalanischen Parlament in Barcelona. Dass es soweit kommen würde, daran hat er nicht mehr geglaubt.
Denn am Donnerstag um die Mittagszeit wurde bekannt, dass Puigdemont mit dem Gedanken spielte, statt der Unabhängigkeit Neuwahlen auszurufen. Rider war unter denen, die vor dem Regierungspalast auf der Plaça Sant Jaume im Herzen Barcelonas enttäuscht demonstrierten. „Verräter“, riefen sie und meinten damit den Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt so etwas wie ein Vater für die Unabhängigkeitsbewegung war, weil „er Katalonien soweit gebracht hat“ – an die Schwelle zur Unabhängigkeit.
Dreh auf Dreh
Immer wieder sagte der „President de la Generalitat“, so Puigdermonts Titel, eine öffentliche Erklärung ab, bis er dann um Donnerstagnachmittag um 17 Uhr endlich vor die Kameras trat. Und alles nahm erneut einen Dreh um 180 Grad. Puigdemont erklärte, er habe sehr wohl die Einberufung von Neuwahlen in Erwägung gezogen, doch von der Regierung in Madrid unter dem Konservativen Mariano Rajoy „keinerlei Garantien erhalten“. Puigdemont hatte verlangt, dass die spanische Regierung keine Zwangsmaßnahmen gegen die katalanische Autonomie ergreife. Der Machtkampf zwischen beiden ist da längst an der Schwelle zur Eskalation.
Rajoys Partido Popular (PP) machte demnach in Madrid weiter wie gehabt. Die zweite Kammer des spanischen Parlaments beriet über die Anwendung des Verfassungsartikels 155 und damit über die Aussetzung der katalanischen Autonomie, die Amtsenthebung der Regierung Puigdemont und die Verwaltung der nordostspanischen Region von Ministerien in Madrid.
„Es gibt keine Alternative. Das Einzige, was man tun kann, ist zum Gesetz zu greifen, um zu erreichen, dass das Gesetz respektiert wird“, forderte Ministerpräsident Rajoy den Senat auf, für den Paragraf 155 zu stimmen. Seine PP hat die absolute Mehrheit und wird außerdem von der sozialistischen PSOE und den rechtsliberalen Ciudadanos unterstützt. Am Samstag werden die Maßnahmen im Amtsblatt veröffentlicht und umgesetzt.
Außerdem hat die spanische Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Puigdemont wegen „Rebellion“ angekündigt. Die Behörde werde in der kommenden Woche Anklage erheben, sagte ein Sprecher am Freitag. Auf „Rebellion“ steht im spanischen Recht eine Höchststrafe von 30 Jahren Haft.
DUI gegen 155
Es war wie die Übertragung zweier Fußballspiele – DUI, wie die „einseitige Unabhängigkeitserklärung“ auf Katalanisch abgekürzt wird, gegen den Paragrafen 155. Radio und Fernsehen sowohl in Katalonien als auch im restlichen Spanien schalteten permanent hin und her. Überall in Kneipen und Cafés liefen die Fernseher, an so manchem Arbeitsplatz das Radio. Puigdemont war von einer Minute zur anderen wieder der allseits geliebte Held der Befürworter der Unabhängigkeit. Als er am Freitag den Regierungspalast in Richtung Parlament verließ, applaudierte die Menschenmenge, die sich mit ihren Unabhängigkeitsfahnen auf dem Platz Sant Jaume versammelt hatte.
Im Parlament hatten sich neben den Abgeordneten über 200 der insgesamt 942 katalanischen Bürgermeister versammelt. Ihren Amtsstab in der Hand skandierten sie „Unabhängigkeit“. Draußen demonstrierten Tausende für die Ausrufung der Republik Katalonien. Darunter auch Rider, der einen Großteil seiner Freizeit der Erforschung katalanischer Bräuche widmet. „Wenn wir stark dran ziehen, werden wir es zu Fall bringen. Es kann nicht mehr lange dauern. Ganz sicher: Es fällt, es fällt, es fällt …“, sangen die Menschen vor dem Parlament immer wieder.
Es ist das Lied des katalanischen Protestsängers Lluis Llach aus den letzten Jahren der Franco-Diktatur. Llach saß mit unter den Abgeordneten von Puigdemonts Bündnis Gemeinsam für das Ja (JxSí) und stimmte stolz und entschieden für die Unabhängigkeit.
Freitag, 16:04 Uhr
Bernardo Ramón López ist einer von denen, die am Freitag den Bildschirm keinen Moment aus den Augen ließen. „Eine Katastrophe. Jetzt wird der Staat mit den 155 umsetzen“, ist sich der 63-jährige sicher. Am Donnerstag noch war er den ganzen Tag durch Barcelona gestreift, beobachte die Demonstrationen und verfolgte das politische Hin und her. „Keiner kann sich außerhalb des Gesetzes stellen. Wäre das Referendum am 1. Oktober legal gewesen, hätte ich abgestimmt. Mit Nein“, sagt der Mann, der mit 18 aus dem zentralspanischen Avila nach Barcelona kam.
Aber dass jetzt Zwangsmaßnahmen eingeleitet werden, das unterstützt er auch nicht. „Das wird ein Volk verarmen lassen“, meint er besorgt. „Das hier ist meine Heimat. Meine Frau ist Katalanin“, sagt er. Für López ist alles, was in den letzten Wochen passiert ist, der Unfähigkeit der Politik zuzuschreiben. „Ich habe Angst vor der Zukunft.“
Auch Rider ist besorgt angesichts dessen was jetzt mit dem Artikel 155 kommen kann. Er spricht von passivem Widerstand und befürchtet eine Welle der Repression. „Wir müssen stark sein und zu unserer Überzeugung stehen. Wir haben uns niemals in Spanien wohlgefühlt“, sagt er. Die Unabhängigkeit ist für ihn genau das: „Gefühl“. Dann um 16:04 Uhr die Nachricht: Der spanische Senat stimmt für die Zwangsverwaltung der autonomen Region Katalonien. Ein Ende des Krimis ist nicht in Sicht.
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