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Selenskis PersonalentscheidungenDurchregieren in Kiew

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Präsident Selenski trennt sich von zwei wichtigen FunktionärInnen. Die eine Entscheidung ist überfällig, die andere jedoch fragwürdig.

Bakanov und Venediktova in festlicher Kleidung mit Mundschutz Foto: Sergii Kharchenko/NurPhoto/picture alliance

P räsident Selenski liebt vor allem eine Eigenschaft unter seinen MitstreiterInnen: Loyalität. Und so hatte er kurz nach seiner Wahl Iwan Bakanow zum Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU gemacht. Nicht, weil er mit Bakanow einen Profi für Geheimdienstarbeit an der Spitze einer Organisation mit 30.000 MitarbeiterInnen wusste. Der Grund ist banal: Bakanow ist ein Freund von Selenski seit ihrer gemeinsamen Kindheit in der ostukrainischen Bergarbeiterstadt Kriwij Rih, und er ist langjähriger Partner Selenskis in der Spaßtruppe „Quartal 95“.

Deswegen kann man davon ausgehen, dass Selenski seine Entscheidung, Bakanow zu entlassen, nicht leichtgefallen ist. Doch zu viel hatte der Inlandsgeheimdienst falsch gemacht und auch versäumt, schon vor Bakanows Amtsantritt. Mit seiner gefakten Ermordung des russischen Emigranten und Journalisten Arkadij Babtschenko 2018 hatte er sich zum Gespött der Gesellschaft und der ausländischen Partner gemacht.

Ebenfalls 2018 wurden zwei tschetschenische Oppositionelle nach Russland abgeschoben. Verantwortlich für diese Abschiebungen war der Inlandsgeheimdienst. Einer der beiden Tschetschenen ist wenig später, so berichten ukrainische Menschenrechtler, in seiner Heimat zu Tode gefoltert worden. Und das waren nicht die einzigen Abschiebungen, die der SBU in Zusammenarbeit mit seinen russischen KollegInnen durchgeführt hatte. Und nun wurde bekannt, dass ausgerechnet der ukrainische Geheimdienstler, der für die Krim zuständig war, mit Russland zusammengearbeitet hat. Ja, man kennt sich wohl noch von früher aus der KGB-Schule.

Nicht immer Spionage

Somit scheint Selenskis Entscheidung wohl ein überfälliger Schritt gewesen zu sein. Gleichwohl ist auch hier Vorsicht angebracht. Nicht immer ist eine der Spionage überführte Person wirklich ein Spion. Mittlerweile macht man sich in der Ukraine schon verdächtig, wenn man nach Russland telefoniert. Spionomanie hat in Kriegszeiten Hochkonjunktur. Und genau deswegen muss die Ukraine, will sie nicht das Vertrauen der westlichen Partner verlieren, mit dem Spionagevorwurf transparent umgehen.

Anders gelagert ist die Entlassung von Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass man im Präsidialamt den Kriegszustand nutzt, um eine Generalstaatsanwältin loszuwerden, die offensichtlich sehr eigenständig agiert. Der Entlassung Bakanows zum Trotz sind nun in allen wichtigen Schlüsselstellungen Gefolgsleute von Präsident Selenski und Präsidialamtschef Andrij Jermak an den Schalthebeln.

Und damit lässt sich gut regieren.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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10 Kommentare

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  • Aha, der Geheimdienstchef ist nicht vertrauenswürdig ums mal vorsichtig zu sagen, plus 600 weitere Schlapphüte wie in anderen Medien berichtet wird. Das bringt natürlich die Frage auf, ob das ganze Geld und die Waffen die an die Ukraine geliefert werden, und deren Verbleib auch nicht eben transparent ist, tatsächlich so verwendet werden wie es sein sollte. Die amerikanische Medien stellen da schon sehr laute Fragen, aber in Deutschland schaut man wohl lieber weg.

  • Wir können gut konstatieren, wo wir doch Putins Medien selbst nicht in den Griff bekommen. In der Ukraine ist das doch alles viel komplexer. Ich kann Zweifler am Sinn des Krieges verstehen, auch wenn ich das für katastrophal halte, wenn Menschen vor Putin kapitulieren, dann ist er bald in Litauen oder Polen. Meine Großmutter war zu Hitlerzeiten Pazifistin und ihr Spruch war: 'Lieber rot als tot'. Angesichts der Gräuel insbesondere gegenüber der Zivilbevölkerung wird klar: Putins Zermürbungs- und Zersetzungstaktik ist Teil des nicht nur psychologischen Krieges, das können wir kaum nachempfinden...

    • @Dietmar Rauter:

      Wenn es darum geht, das nackte Leben zu retten, hatte Ihre Großmutter sicher recht … das muss nicht unbedingt Opportunismus, Fatalismus oder Feigheit bedeuten, vor der „Obrigkeit“ einzuknicken - auch nicht unter repressiven oder totalitären Bedingungen -, sondern der Erkenntnis entspringen, dass das Leben an sich ein zu kostbares Gut ist, um es den Ideologen oder Kriegstreibern zu opfern.



      Daher reagiere ich immer äußerst neuralgisch, wenn ich Parolen höre wie „lieber tot als rot“ … bei Ihrer Großmutter war es wohl umgekehrt und das scheint mir eher dem gesunden Menschenverstand zu entsprechen. Das wiederum immunisiert gegen jegliche Heilsversprechen - sowie die Bereitschaft, dafür Kriege zu führen -, aus welcher politischen Richtung auch immer.

  • Vielleicht sollten unsere Medien nicht ganz so nur den Schreibtischtier machen für die ukr. Regierung. Denn wenn ich Tickermeldungen von gestern so anschaue, ist genau der kritische Punkt zu Venediktova, kein bisschen bisher aufgearbeitet. Aber klar die Russen sind Schuld, das reicht ja heute schon aus. Es ist brandgefährlich wenn deutsche Journalisten nicht mehr ihrer Aufgabe nachkommen kritisch und unabhängig zu agieren, sondern nur noch Tickermeldungen wiederzugeben ohne Sinn und Verstand.

    Aber das kennen wir ja seit vielen Jahren mittlerweile nur noch so, wenn es um "Freunde" geht. Dann gehen wir über in eine völlige abstruse Doppelmoral.

    Danke für zumindest den Anzeichen einer kritischen kurzen Draufsicht auf die Personalien, die scheinbar gar nicht soviel mit "russischen Spionen" zu tun hat.

    • @Daniel Drogan:

      Volle Zustimmung.

    • @Daniel Drogan:

      kyivindependent.com/



      Zumindest diese Publikation hat die kritische und distanzierte Draufsicht auf das politische Ganze und sein teils zweifelhaftes Personal konsequent beibehalten - trotz Krieg.

    • RS
      Ria Sauter
      @Daniel Drogan:

      Das sehe ich auch so..

  • Man kann ja zu allem eine Meinung haben, aber "drängt sich der Verdacht auf" ist doch sehr dünn.

  • Ich begrüße, dass der Krieg in der Ukraine allmählich auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird.



    Ein Krieg ist immer dreckig und schwarz- weiß Malerei Wunschdenken.



    Es ist richtig, unsere angegriffenen Nachbarn zu unterstützen.



    Man sollte aber nicht aus den Augen verlieren, dass auch Russland ein Teil Europas ist.



    Putins Regime ist zu verurteilen, nicht die Russen.



    Die UkrainerInnen sind nicht per se bessere Menschen.



    Wie weit es mit der Demokratie in der Ukraine bestellt ist, wäre zu diskutieren.



    Russischen JounalistInnen ist, wie vielen KollegInnen weltweit, eine freie Berichterstattung unmöglich.



    Die deutschen JournalistInnen und die der freien Welt, sollten es als Privileg betrachten, die Wahrheit sagen zu dürfen .



    Nicht nur verbogene Überschriften produzieren, um viele Klicks zu erreichen.



    Ich habe meine Berufsehre und sehe hier, dass es auch noch Jounalisten gibt, denen so etwas nicht fremd ist.



    Schön, wenn die taz anders aussieht, als die Bild!

    • @Philippo1000:

      Wenn sich eine Gesellschaft bzw. ein Staat in den Kriegsmodus begibt - auch wenn sie von einem äußeren Aggressor angegriffen wird -, besteht immer die Gefahr, dass Demokratie und Menschenrechte unter die Räder geraten können … paradoxerweise mit dem Argument, dass man sich ja eines äußeren Feindes erwehre, der einem die Situation schließlich aufgezwungen habe. Auch die Ukraine ist da keine Ausnahme, zumal die demokratischen Strukturen vor dem Krieg schon äußerst fragil waren. Und natürlich möchte Putin keine demokratische, rechtsstaatliche Entwicklung in seinem Nachbarland zulassen … wäre sie erfolgreich, würde das schließlich auf kurz oder lang den Tod seiner autokratischen Herrschaft im eigenen Land bedeuten. Auch deshalb wird dieser Krieg geführt.



      Ihrer Kritik an der Rolle des Journalismus bzgl. der westlichen “Kriegsberichterstattung” stimme ich jedoch zu.