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Selenski in den USAGroße Emotionen im Kapitol

Vor dem US-Kongress zieht der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski alle Register. Sein Ziel? Andauernde Unterstützung.

Schwerste Symbolik: Selenski übergibt eine ukrainische Fahne aus der Frontstadt Bachmut Foto: Carolyn Kaster / dpa

Washington dpa/afp | Mit einer emotionalen Rede vor dem US-Kongress hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski unter dem Jubel der Abgeordneten den Vereinigten Staaten für ihre Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg gedankt. Abgeordnete und Senatoren empfingen den Gast mit lang anhaltendem stehenden Applaus. „Im Gegensatz zu all den dunklen Vorhersagen ist die Ukraine nicht gefallen“, sagte Selenski. „Die Ukraine lebt und kämpft.“

Immer wieder flammte in den Reihen Applaus auf. Der Ukrainer betonte die historische Bedeutung des Verteidigungskampfes für die Demokratie. Er machte aber deutlich, dass es für einen Sieg seines Landes weitere schwere Waffen brauche.

Die USA sind der wichtigste Verbündete der Ukraine bei der Verteidigung gegen Moskau. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden hat die US-Regierung Kyjiw Militärhilfe in Höhe von knapp 22 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Es verwunderte daher nicht, dass Selenski sich für seine erste Auslandsreise seit Beginn des Krieges Washington ausgesucht hat. Biden nutzte das Treffen, um Kyjiw die Lieferung des Patriot-Flugabwehrsystems zuzusagen. Das Luftverteidigungssystem dürfte Russlands Angriffe mit Raketen und Drohnen auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine erschweren.

Biden wies bei der Pressekonferenz russische Vorwürfe zurück, die Lieferung des Patriot-Systems stelle eine Verschärfung des Krieges dar. „Es ist ein defensives Waffensystem. Das ist nicht eskalierend, es ist defensiv.“ Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte zuvor über das US-Luftabwehrsystem gesagt: „All dies führt sicherlich zu einer Verschärfung des Konflikts und verheißt nichts Gutes für die Ukraine.“

„Ukrainischer Mut und amerikanische Entschlossenheit“

Der ukrainische Präsident betonte in seiner auf englisch gehaltenen Rede vor den Demokraten und Republikanern im Kongress, dass die Militärhilfe nicht abreißen dürfe. „Die Ukraine hat die amerikanischen Soldaten nie gebeten, an unserer Stelle auf unserem Land zu kämpfen. Ich versichere Ihnen, dass ukrainische Soldaten amerikanische Panzer und Flugzeuge perfekt selbst bedienen können“, sagte er.

Aber die bislang gelieferte Artillerie reiche nicht aus. „Ihr Geld ist keine Wohltätigkeit, es ist eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie, mit der wir auf höchst verantwortungsvolle Weise umgehen“, versicherte er. Die Republikaner hatten zuletzt angedeutet, bei den Ukraine-Hilfen auf die Bremse treten zu wollen.

Selenski machte klar, dass es bei dem Krieg gegen die Ukraine nicht nur um das Schicksal der Ukrainer gehe. „Der Kampf wird definieren, in welcher Welt, unsere Kinder und Enkelkinder leben werden, und dann ihre Kinder und Enkelkinder“, warnte er. Ein russischer Angriff gegen Verbündete sei nur eine Frage der Zeit. Die Welt sei zu sehr vernetzt, als dass sich irgendjemand sicher fühlen könne, wenn der russische Angriff weiterginge. „Ukrainischer Mut und amerikanische Entschlossenheit“ müssten die Zukunft der Freiheit garantieren.

Der ukrainische Präsident fand in seiner Rede immer wieder eindringliche Worte und betonte das Durchhaltevermögen seiner Landsleute. Die Ukrainer hätten keine Angst – und niemand auf der Welt sollte sie haben, sagte er. „Sie haben viel mehr Raketen und Flugzeuge als wir je hatten, das stimmt, aber unsere Verteidigungskräfte stehen.“ Die Ukraine werde niemals kapitulieren.

Auch im Weißen Haus war der 44-Jährige vor seinem Auftritt im Kongress feierlich empfangen worden. Biden und seine Ehefrau Jill begrüßten Selenski mit rotem Teppich vor dem Weißen Haus. Biden und sein Kollege sprachen anschließend rund zwei Stunden im Oval Office miteinander. Der US-Präsident machte weitere finanzielle, militärische und humanitäre Hilfszusagen und sicherte Selenski den größtmöglichen Beistand der USA zu, „solange es nötig ist“.

Symbolische Geschenke an Biden und Pelosi

Auch wenn die Zusage für die Patriot-Batterie wohl das größte Geschenk für den Ukrainer bei seiner US-Reise gewesen sein dürfte, wurden noch weitere Präsente verteilt. Selenski gab Biden als Dank für die Unterstützung der USA die Medaille eines ukrainischen Soldaten. „Unverdient, aber sehr geschätzt“, sagte Biden. Er revanchierte sich laut dem Weißen Haus ebenfalls mit zwei Medaillen – eine für den ukrainischen Soldaten und eine für Selenski.

Im US-Kongress übergab die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Selenski eine US-Flagge, die auf dem Kapitol in Washington geweht hatte. Auch Selenski kam nicht mit leeren Händen: Er überreichte Pelosi eine Flagge aus der ostukrainischen Frontstadt Bachmut, die er noch am Vortag besucht hatte.

Selenski schlug in Washington einen globalen Friedensgipfel vor, bei dem es um die Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine und die internationale Ordnung gehen müsse. Bis zu einer Friedenslösung diene jeder Dollar an US-Hilfe für die Ukraine auch der globalen Sicherheit. Biden machte deutlich, dass die Ukraine mit Hilfe der USA in Friedensverhandlungen erfolgreich sein könne, weil sie auf dem Schlachtfeld gewinnen werde. Bei der Entscheidung über den Zeitpunkt solcher Gespräche werde er Selenski freie Hand lassen.

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12 Kommentare

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  • Interessant finde ich hier die Idee des Friedensgipfels, die er schon vor einigen Tagen aufgebracht hat.



    Historisch haben sich immer Doppelstrategien bewährt, sei es in der Kuba-Krise, sei es beim NATO-Doppelbeschluss.

    • @Kartöfellchen:

      Das sind aber merkwürdige Vergleiche, um es nett zu formulieren, Kuba, das war klassisches Säbelrasseln, wie bedrohlich auch immer, m.W. direkt kein einziger Mensch zu Schaden gekommen. Ich möchte auch daran erinnern dass es die Sowjetunion lange nicht mehr gibt, und an ihrer Stelle niemanden, der gegenüber anderen Ländern oder gar der NATO solche Ansprüche stellen könnte. Das kann Russland einfach nicht mehr. Was Selenski nicht müde wird aufzubringen und jetzt auch in Washington noch mal wiederholte, das sind die Voraussetzungen (!) damit es mal zu sowas kommen könnte, die sind ja aber hinlänglich bekannt. Ein Vernichtnugskrieg ist keine Strategie, ist nicht mal Krieg i.e. völkerrechtlichen Sinn und bevor die Aggression hier eingestellt ist, kann in den betr. Landesteilen ja nicht mal humanitäre Nothilfe geleistet werden, da von Friedensgipfeln zu schwärmen ist für mich blanker Hohn. Niemand kann dir das Recht auf Notwehr verwehren, oder die Pflicht zur Hilfeleistung, solange sich ein Einbrecher in deinem Haus befindet oder gar Mitbewohner nötigt, das ist im Völkerrecht nicht anders. Die Ukraine kann gar nichts anderes tun, und zwar auch rechtlich nicht, will sie als Staat bestehen. Den Luxus für Doppelsonstwas gibt's im Überlebenskampf nicht. Wir. Wir haben den Luxus sie nicht (wenigstens) doppelt dabei zu unterstützen.

  • Gut, dass es die USA gibt.

    Europa und vor allen Deutschland hätte die Ukraine schon längst als Messer geliefert.

    • @V M:

      Ohne die USA und Großbritannien wäre das Schlachtfeld wohl jetzt, oder bald darauf, Polen. Schon peinlich was sich unsere Regierung hier in Deutschland so leistet.

      • @Shasu:

        Sie sprechen mir aus dem Herzen.

  • Ähnlich wie bei deutschland damals kann die intensive unterstützung der usa großflächigen nutzen bringen, auch abseits des schlachtfelds.

  • Es gibt im Guardian unter 'Analyse' einen Video Zusammenschnitt. Sehr klug auch von Joe Biden, dem Vielunterschätzten, diesen Auftritt arrangiert zuhaben. Die ukrainische Flagge, die dem Kongress überreicht wurde, soll die Unterschriften von ukrainischen Frontsoldaten tragen

    • @Konfusius:

      Das stimmt. Selensky und Biden wissen, wie man große Inszenierungen macht. Und Selensky weiß, wie man die Amerikaner ansprechen muss und tut, was er tun muss.

      • @Kartöfellchen:

        Eher umgekehrt.

      • @Kartöfellchen:

        Er kommt halt aus dem Showgeschäft.

  • Wenn man die Rede angeschaut hat: Was für eine Sehnsucht ist da zu spüren, einen starken Führer zu haben der die US amerikanischen Werte verkörpert, insbesondere Freiheit und Unabhängigkeit. Kein US Politprofi kann das bieten was Selenskyi denen geboten hat. Interessant diese Gefühlslage zu sehen/spüren.

    • @Tom Farmer:

      Na mit der Sehnsucht nach einem starken Führer kennen wir uns in Deutschland ja aus....