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Seenotrettung im MittelmeerItaliens kaltherziges Kalkül

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Italien hält erneut ein Schiff von Seenotretter*innen fest. Das hört erst auf, wenn auch andere EU-Staaten zur Aufnahme von Geflüchteten bereit sind.

Die „Ocean Viking“ rettete 180 Menschen aus Seenot. Italiens Behörden haben das Schiff festgesetzt Foto: Flavio Gasperini/SOS MEDITERRANEE/dpa

G enau drei Jahre, nachdem die Behörden Italiens das deutsche Rettungsschiff „Iuventa“ auf Lampedusa festgesetzt hatten, traf es am Mittwoch die „Ocean ­Viking“, mit der die NGO SOS Méditerranée im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot rettet. Die Küstenwache legte es im Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien für unbestimmte Zeit an die Kette.

Dies ist in Malta und Italien gängige Praxis geworden. In den letzten Monaten gab es die Festsetzungen der Rettungsschiffe „Alan Kurdi“ der deutschen NGO Sea-Eye, „Aita Mari“ der italienischen NGO Salvamento Marítimo Humanitario, „Sea-Watch 3“ der gleichnamigen deutschen NGO und jetzt der „Ocean Viking“. Die Begründungen waren meist angebliche Mängel bei der Registrierung oder Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften. Die Folge: Auf dem Meer ertrinken Menschen, weil die, die sie retten würden, nicht ausfahren dürfen.

Die „Iuventa“ haben die Behörden bis heute nicht wieder freigegeben, der damaligen Crew werden monströse Strafen angedroht. Andere NGOs konnten ihre Schiffe behalten, auch wenn der Druck teils dazu führte, dass Organisationen aufgaben. Und genau das ist das Ziel der Angriffe durch die Behörden in Italien und Malta.

Dort weiß man: Die NGOs bringen die Geretteten nicht zurück nach Libyen, sondern in den nächstgelegenen EU-Hafen, also nach Italien oder Malta – auch wenn die beiden Länder die Einfahrt verbieten. Denn bald schon ist die Not auf den überfüllten Rettungsschiffen so groß, dass die Staaten nachgeben oder die Besatzungen sich über das Verbot hinwegsetzen müssen.

Moralisch verwerfliches Handeln

Und solange die EU sich nicht auf ein funktionierendes Verteilsystem einigt, müssen die beiden Länder damit rechnen, dass Flüchtlinge letztlich bei ihnen bleiben. Also versuchen sie zu unterbinden, dass die Rettungsschiffe losfahren – so moralisch verwerflich das ist.

Auf dem jüngsten EU-Gipfel war viel von europäischer Solidarität die Rede. Die Solidarität, die hier gefragt ist, kostet keine Milliarden. Italien und Malta wollen und brauchen in erster Linie verlässliche Zusagen, dass die Flüchtlinge, die sie an Land lassen, danach auch von anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Für den Zusammenhalt der EU ist das kaum weniger wichtig als finanzieller Ausgleich.

Im Prinzip ist ein entsprechender Mechanismus schon seit dem vergangenen Herbst beschlossen. Er funktioniert allerdings nur höchst schleppend und gilt nicht für alle Ankommenden. Solange sich das nicht ändert, wird den Retter*innen das Leben weiter schwer gemacht werden. Und deshalb wird so lange auch das Sterben im Mittelmeer weitergehen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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11 Kommentare

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  • Dieser seltsame, EU weite 'Konsens' des Antihumanismus... ist m. E. auch deutbar/sichtbar als ne art Stillstand in der Dialektik der Aufklärung, oder eben Stagnation in den trűgerischen Bedingungen der Profit/Konsum Wohlstandsgesellschaft! Darf von einer EU weiten "Solidarität in der Verdrängung humaner U. N. O. Doktrinen" geredet werden? Die Ideologie der "Menschen zweiter Klasse"



    oder eben Neokolonialismus gegen die Welt der Bedrohten, der Armen? (ob Klima, polit. oder Armutsflüchtlingen)..



    Es gibt doch die "Seebrücke" und die BRD/EU Städte der "sicheren Häfen" die da einen politisch/humanen Alleingang ziviler Lebensrettung im Mittelmeer



    legitimieren! Die antihumane Pattsituation, entstanden durch DUBLINIII, die da Malta, Italien und Griechenland überlastet, ist doch überwindbar? Gesetze, die da Antihumanismus, Ertrinken und Leiden festschreiben, gehören nicht in die Welt!



    Auch ist die Diskrimination der humanen Ehrenhaftigkeit der NGO Lebensretter eine Schande für die EU!



    Mein Respekt gehört den Journalisten, die das Unrecht publik machen.

  • Ja, das ist ein kaltherziges Kalkül. Genauso wie es ein kaltherziges Kalkül der EU-Mitglietsstaaten ist, die nicht am Mittelmeer liegen, das Problem auf Italien und Malta zu verschieben.

    Und so widerlich ich es finde, wenn Italien und Malta nicht so handelten wie sie es tun, es gäbe keinen Druck auf z.B. Deutschland Flüchtlinge aufzunehmen. Denn freiweillig wird das nicht geschehen, das zeigt die Erfahrung.

    Italien wurde z.B. mit der Rettungsaktion Mare Nostrum alleine gelassen und blieb auf den Kosten sitzen. Der Rest der EU hat sich schlicht aus der Verantwortung gestohlen. War ja nicht ihr Problem. Italien hat dann irgendwann Mare Nostrum eingestellt.

    Ich hasse das Verhalten von Italien und auch Malta. Menschenleben als Pokerchips nutzen ist widerlich. Das Verhalten des Rests der EU ist allerdings nicht besser, da es diese Staaten dazu zwingt.

    Die Situation ist nicht unbedingt neu, es ganz viele Jahre in denen man eine Lösung hätte finden können. Hat man aber nicht. Die EU ist eine Gemeinschaft von kaltherzigen Egoisten

  • Italiens kaltherziges Kalkül ist auch Deutschlands kaltherziges Kalkül. Schön, wenn man die Drecksarbeit "nach unten" weitergeben kann.

    Derweil schreibt das Bundesinnenministerium an die Seenotretter*innen, sie mögen doch bitte das Retten mal bleiben lassen [1].

    Ich habe nur Worte dafür, die die Moderation zu Recht kassieren würde.

    [1] taz.de/SOS-Mediter...assnahme/!5695405/

    • @tomás zerolo:

      "Derweil schreibt das Bundesinnenministerium an die Seenotretter*innen, sie mögen doch bitte das Retten mal bleiben lassen [1]."

      Wenn ich ihren Link lese, dann kann ich ihre Behauptung nicht finden. Die passt nur, wenn Sie die SOS Mediterrannee als eine Schleuserorganisation ansehen.

      SOS Mediterrannee betreibt Seenotrettung. Schleuser verdienen Geld mit der Not der Flüchtlinge und schicken diese mit Schrabbelbooten aufs Meer. Sind also mit ursächlich am Tot von Flüchtlingen beteiligt. Soll das etwa nicht kriminell sein?

      • @Rudolf Fissner:

        Da isser, Absatz 7:

        "Anfang April hatten Italien und Malta ihre Häfen für „unsicher“ erklärt [...] Kurz darauf erhielten zivile Seenotrettungsorganisationen in Deutschland einen Brief aus dem Bundesinnenministerium mit dem Appell, derzeit 'keine Fahrten aufzunehmen', und 'bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen'"

      • @Rudolf Fissner:

        Uuund raten Sie mal wer Seenotrettungsorganisationen gerne als Schleuser hinstellt. Ich könnte Tipps geben, aber eventuell kommen ja sogar Sie selber drauf

        • @Yodel Diplom:

          Nö Tips, Hörensagen oder Geraune bitte nicht. Belegen Sie doch einfach, dass mit "Schleuser" im verlinkten Artikel "Seenotrettung"gemeint ist. Vielleicht finden Sie ja auch einen Hinweis darauf, dass mit flach eigentlich und gemeint ist.

          Was halten Sie eigentlich von den Schleusern und ihren absaufenden Paddelbötchen?

          • @Rudolf Fissner:

            "Was halten Sie eigentlich von den Schleusern und ihren absaufenden Paddelbötchen?"

            Ich halte davon nichts, aber die Menschen haben schlicht keine andere Möglichkeit, weil die EU ihnen keine geben will. Also nehmen sie aus Verzweiflung was sie nehmen können. Diese Menschen wählen zwischen sicherem Tod und eventuellem Tod.

            Will man diese Art der Schleusung bekämpfen muss man sichere Alternativen schaffen. Das will die EU aber nicht, die hofft lieber darauf dass die Menschen umkommen, und dass das abschreckt. Tut es nicht.