Seehofers Anzeige-Ankündigung gegen taz: Mysterium im Innenministerium
Horst Seehofer zögert die Entscheidung weiter hinaus, ob er die taz wegen einer Kolumne verklagt. Die SPD geht auf Kontra.
Dabei hatte Seehofer am Sonntag noch über die Bild vollmundig erklärt, er werde die taz wegen einer Kolumne über die Polizei verklagen. Schon am Montag aber bekundete er, er müsse dies noch mit seinen Juristen besprechen. Gleichzeitig bestätigte Regierungssprecher Steffen Seibert „vertrauliche Gespräche“ zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Seehofer in der Sache. Am Dienstag tauchte Seehofer dann gänzlich ab, sagte die Vorstellung des jährlichen Verfassungsschutzberichts ab und die Teilnahme an einem Festakt in Neustrelitz.
Inzwischen macht aber auch der Koalitionspartner von der SPD klar, was er von der Anzeigen-Idee hält: gar nichts. Betont wird dort die Pressefreiheit, eine Anzeige gegen eine Journalistin von staatlicher Seite verbiete sich. Zudem klingt „Minister klagt gegen Autorin“ wie eine Nachricht aus Ungarn oder der Türkei.
Und Seehofer hat einen Zusammenhang zwischen der „Enthemmung der Worte“ und der „unweigerlich folgenden Enthemmung der Taten“ wie bei den Krawallen in Stuttgart konstruiert. Dass er sich dort vor einem eigens für das Fotoshooting herbeigeschafften demolierten Polizeiauto ablichten ließ, wirkt auch nicht gut.
„Heute oder morgen“
Am Mittwochnachmittag nun stellt sich Seehofer den Medien, auf einer Pressekonferenz mit Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Berlin. Ein länger geplanter Pflichttermin. Seehofer lobt Nehammer wegen Corona und Migrationspolitik, Nehammer lobt Seehofer wegen Corona und Migrationspolitik. Dann geht es um die taz.
Er sei ja sowohl Verfassungsminister, und damit für die Pressefreiheit zuständig, als auch Innenminister mit Fürsorgepflicht für die Polizei, sagt Seehofer. Deshalb müsse er sorgfältig abwägen. Auch könne er sich damit nicht dauernd befassen, er habe viele Termine. Entscheiden werde er nun, „heute oder morgen“. Warum Seehofer diese „sehr sorgfältige“ Abwägung nicht vor der donnernden Ankündigung einer Strafanzeige getroffen hat, verrät er nicht.
Dabei wusste Seehofer es am Mittwoch letzter Woche selbst schon mal besser. In der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses im Bundestag äußerte er Bedenken gegen juristische Schritte. Ein AfD-Vertreter hatte dort laut Teilnehmern über den „Polizeischmähartikel“ geklagt und Seehofer gefragt, wie er sich nun vor die Polizei stelle. Auch die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) fand den taz-Text unterirdisch.
Seehofer sagte darauf laut vorläufigem Ausschussprotokoll, er könne dies nur unterstreichen. Sein Haus müsse prüfen, ob es „da einen Ansatzpunkt für strafrechtliche Reaktionen“ gebe. Dann aber folgte seine klare Einschätzung: „Die Pressefreiheit ist ja immer so hoch, dass man kaum die Möglichkeit hat, da strafrechtlich etwas zu unternehmen.“
Krude Verweise auf Nazi-Terror
Offenbar aber schwankte Seehofer schon damals. Auf den Einwurf der AfD, dass man Anzeigen doch nicht den Polizeigewerkschaften überlassen dürfe, entgegnete ein CDU-Mann, der Text disqualifiziere sich selbst. Seehofer stellte daraufhin klar, dass dies „für uns Vernunftgeleitete“ gelte. Und verwies dann ausgerechnet auf die Anschläge von Hanau und Halle. „Solche Artikel lösen bei verwirrten Geistern möglicherweise auch Taten aus. Deshalb ist es für mich keine Bagatelle.“
Von einer eigenen Anzeige sprach Seehofer damals also noch nicht – wohl aber war ihm der Stellenwert der Pressefreiheit bewusst. Vier Tage später, am Sonntag, galt das nicht mehr.
Woher der Sinneswandel? Eine Erklärung: In der Zwischenzeit nahm Seehofer in Erfurt an der Innenministerkonferenz teil, auch dort wurde die taz-Kolumne dem Vernehmen nach scharf kritisiert, ebenso wie die jüngste Polizeikritik von SPD-Chefin Saskia Esken.
Am Freitag verfassten die Innenminister gar eine „Vertrauenserklärung“ für die Polizei. Eine Gleichsetzung der deutschen mit der US-Polizei sei abzulehnen, „jeder Generalverdacht verbietet sich“. „Wir stellen uns entschlossen vor die Polizei, wenn sie diffamiert wird.“ Zwei Tage später gab Seehofer über die Bild seine geplante Anzeige gegen die taz bekannt, die er als „als Bundesminister“ stellen werde. Ohne Zweifel und Konjunktiv.
Offenbar versucht Kanzlerin Merkel den irrlichternden Seehofer seitdem von der Strafanzeige abzubringen. Am Mittwoch besprachen sich beide dazu am Rande des Kabinetts. Die Kanzlerin und der Innenminister, so eine Regierungssprecherin am Mittwoch, seien „sich einig über den Stellenwert der Pressefreiheit“. Am Nachmittag, nach Seehofers Pressestatement, ist man sich da nicht mehr so sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“