Schweiz trotzt globaler Mindeststeuer: Die Steueroase trocknet nicht aus
Die globale Mindeststeuer trifft in der Schweiz auf heftige Gegenwehr. Doch dem Land wird sie kaum schaden – und dem Globalen Süden nützt sie wenig.
Ginge es nach Céline Widmer, ist es mit Steuertricks in der Schweiz bald aus. Mit der sozialdemokratischen Partei setzt sich die Parlamentarierin schon lange für mehr Steuergerechtigkeit ein. „Die Debatten, die wir in der Schweiz über Steuergerechtigkeit oder staatliche Schulden führen, sind weit entfernt von dem, was die Forschung suggeriert und was international diskutiert wird. Ich befürchte, dass wir uns damit langfristig auf ein Abstellgleis manövrieren“, sagt Widmer.
Anfang Oktober lancierte die SP als Antwort auf die Pandora Papers eine Initiative, die das Geldwäschereigesetz reformieren und auch die Anwält:innen illegaler Steuergeschäfte belangen will. Eine solche Verschärfung war vor einem halben Jahr erst im Parlament abgelehnt worden. Der innenpolitische Widerstand ist zumeist zwecklos, auch weil das Parlament eine bürgerliche Mehrheit hat. Der Druck aus dem Ausland ist da effektiver. Etwa durch die neue globale Mindeststeuer.
In einem Brief an den Schweizer Bundesrat warnte die Zürcher FDP kürzlich vor einem „Angriff auf unsere Steuersouveränität“. Auch Wirtschaftsverbände pochen darauf, nicht klein beizugeben und das „Erfolgsmodell Schweiz“ zu schützen. Die globale Mindeststeuer würde den Wohlstand des kleinen Alpenstaats beschädigen, so die Befürchtung. Die Schweiz liegt laut Tax Justice Network auf Platz 5 der Top-Steueroasen weltweit, gleich hinter Bermuda und den Niederlanden. Mehr als ein Drittel der Gewinnsteuereinnahmen der Schweiz wurden im Ausland erwirtschaftet.
Multinationale Konzernriesen wie Glencore, Nestlé, Novartis oder Roche haben ihren Hauptsitz hier und profitieren von den günstigen Steuerkonditionen. Dagegen regt sich seit Jahren Widerstand im In- und Ausland. Die OECD-Steuerreform, die unter anderem eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent vorsieht, ist der neueste Versuch, Steuergerechtigkeit herzustellen. Trocknet die Steueroase Schweiz bald aus?
Schweizer Eigenheiten als Faktoren
Vier Schweizer Eigenheiten tragen dazu bei, dass sich das Land als Ort der Steuervermeidung eignet: Erstens, die vergleichsweise geringe Unternehmenssteuer von durchschnittlich 13 Prozent. In Deutschland liegt sie bei rund 30 Prozent. Zweitens der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen. Der Kanton Zug etwa wurde mit seinem extrem niedrigen Satz von rund 9 Prozent zu einem der attraktivsten Firmenstandorte. Hier hat der Rohstoffriese Glencore seinen Sitz. Ein dritter Faktor war das Bankengeheimnis.
Dominik Gross, Alliance Sud
2014 lenkte die Schweiz zwar ein und stimmte einem automatischen Austausch von Kundendaten zu, was dem Bankengeheimnis theoretisch den Garaus machte. Allerdings nicht ganz freiwillig: Insbesondere der Druck aus den USA und Großbritannien, aber auch aus Deutschland war entscheidend. Unvergessen sind den Schweizer:innen etwa gestohlene CDs mit Schweizer Bankdaten, die Norbert Walter-Borjans als Finanzminister NRWs kaufte, um Druck auf Steuerhinterzieher:innen auszuüben.
„Kavallerie“ und „Indianer“
Oder Steinbrücks Vergleich der Schweizer:innen mit „Indianern“, denen man die „Kavallerie“, sprich: OECD-Steuerstandards androhen müsse, damit sie kooperieren. In der Praxis ist das Bankengeheimnis aber auch im Jahr 2021 noch lebendig. Viele Länder in Afrika und Asien sind bis heute nicht Teil des automatischen Informationsaustauschs. Dabei wären gerade die Länder des Globalen Südens darauf angewiesen, dass Steuergelder in ihre Kassen fließen.
Laut Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei der NGO Alliance Sud, gibt es zudem zahlreiche Tricks, den Informationsaustausch zu umgehen: „So kann etwa ein nigerianischer Ölhändler ein Konto bei der Credit Suisse haben, offizieller Inhaber des Kontos ist aber via eines britischen Trusts eine Firma in Panama. Und das Ganze wird dann wiederum von Schweizer Anwälten verwaltet.“ Am Ende landet das Geld des Nigerianers in der Schweiz, die Anwälte versteuern ihre Löhne ebenfalls hier – und die Staatskassen Nigerias bleiben leer. Ein Viertel des Vermögens, das weltweit grenzüberschreitend angelegt wird, ist in der Schweiz deponiert.
Plattform für Steuervermeidung
Die Schweizer Anwälte sind der vierte Faktor. Wie die „Pandora Papers“ erneut zeigten, hat die Rolle der Schweiz im länderübergreifenden System der Steuervermeidung sich gewandelt: „Früher war die Schweiz ein Versteck für Geld. Heute ist sie vielmehr eine Plattform im Netz der globalen Offshoreindustrie, auf der transnationale Steuervermeidung organisiert wird“, so Gross. Die Enthüllungen des ICIJ ergaben, dass mindestens 26 Kanzleien und Beratungsunternehmen mit dieser Vermittlung Geld verdient haben.
Jahrelang stand die Schweiz auf der schwarzen, später auf der grauen Liste der unkooperativen Steueroasen in der OECD. Nun also die OECD-Steuerreform, die im vergangenen Sommer von der OECD beschlossen und im Oktober abgesegnet wurde. Sie soll die Verteilung der Steuern von multinationalen Konzernen gerechter machen, etwa beim Pharmakonzern Novartis, der seinen Hauptsitz in Basel hat. Obwohl er in der Schweiz nur 2 Prozent seiner Wertschöpfung generiert, bezahlt er hier 30 Prozent seiner Steuern. Das geht, weil Novartis Tochtergesellschaften in der ganzen Welt hat, denen die Firma Patente und Markenrechte verkauft. So schichtet der Konzern Gewinne um: von seinen Absatzmärkten, die oft Hochsteuerländer im Globalen Süden sind, ins Tiefsteuerland Schweiz.
Globalem Süden hilft es kaum
Ändert das etwas? „Nein“, sagt Dominik Gross, „das wird dem Finanz- und Konzernzentrum Schweiz kaum schaden.“ Denn es betrifft nur immaterielle Güter und damit vor allem Firmen, die mit Patenten, Marken und Lizenzen Gewinn machen. Rohstofffirmen wie Glencore wird das nicht berühren. Außerdem ist der Schwellenwert so hoch angelegt, dass die Reform in der Schweiz schätzungsweise nur fünf Unternehmen betreffen wird. Darunter voraussichtlich Novartis, Roche und Nestlé.
Wie ein Bericht des EU Tax Observatory ergab, wird die Reform den Industriestaaten zwar einiges an Steuereinnahmen mehr einbringen, den Ländern des Globalen Südens hingegen kaum helfen. Letztlich, so Gross, basiere der Schweizer Wohlstand zu einem Teil darauf, anderen, oft ärmeren Staaten deren eigenen finanziellen Ressourcen abzusaugen. Besser wäre es, die Schweiz würde die Wirtschaft so umbauen, dass das nicht nötig ist: „Es braucht einen Green New Deal für die Schweizer Wirtschaft.“ Die Schweiz könnte zum Beispiel Schulden aufnehmen, um damit in eine eigene grüne Industrie zu investieren.
Umbau nicht in Sicht
Momentan ist ein solcher Umbau nicht in Sicht. Als Reaktion auf die OECD-Reform schlug etwa der Wirtschaftsverband Economie Suisse dem Finanzdepartement Methoden vor, um die Reformen zu umgehen. Darunter war auch die Idee, hohe Löhne staatlich zu subventionieren, um Unternehmen zu entlasten. „Das finde ich dreist“, sagt Céline Widmer von der SP. „Es zeigt, wie stark sich diese Verbände fühlen.“ Vergangene Woche erteilte Finanzminister Ueli Maurer nach seiner Rückkehr von der G20-Konferenz in Rom diesen Ideen eine klare Absage.
„So ganz nehme ich ihm das nicht ab“, sagt aber Widmer. Maurer ist Mitglied der Schweizerischen Volkspartei. Deren Markenzeichen ist die Ablehnung von staatlicher Regulierung und „Einmischungen“ aus dem Ausland. „Maurer wird nichts tun, was die internationale Staatengemeinschaft zu sehr vor den Kopf stößt. Aber er wird auch nichts tun, was das Problem der Steuerungerechtigkeit bekämpft.“
Der Balanceakt gelingt bisher: Die Schweiz ist vermutlich mitverantwortlich dafür, dass der jetzige Mindeststeuersatz nicht bei den ursprünglichen 21, sondern bei 15 Prozent gelandet ist.
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