Schwarze Studierende in der Ukraine: Flucht in die Ratlosigkeit
Erst haben es Studenten aus Nigeria schwer, die Ukraine zu verlassen, weil rassistische Kontrollen sie nicht durchlassen. Dann wissen sie nicht, wohin.
„Als wir versuchten, in einen Zug zu steigen, sagten uns ukrainische Sicherheitskräfte: nur Frauen und Kinder. Das galt aber nicht für all jene aus Afrika.“ Dagegen protestierten sie mit Erfolg. Die Männer mussten jedoch weiter warten. „Wir konnten erst in der Nacht einen Zug nehmen.“
Kurz vor der Grenze ein weiterer Vorfall: Die Flüchtenden wurden nach Hautfarbe sortiert. „Afrikaner und Südostasiaten mussten auf der einen, Weiße auf der anderen Seite warten. Nach 100 Weißen, die gehen durften, waren es zwei Afrikaner. Es war so verrückt.“ Eins betont er im Gespräch mit der taz allerdings auch: Nicht die einfachen Ukrainer*innen waren für den Rassismus verantwortlich, sondern Uniformierte.
Somto Orah hat in den vergangenen Tagen immer wieder Videos gepostet und darüber gesprochen. Später sagt er am Telefon sehr nüchtern: „In Nigeria sind wir Diskriminierungen untereinander gewöhnt.“ Man kümmere sich nicht groß darum.
Erste Evakuierungsflüge sind unterwegs
Was sich an der ukrainischen Westgrenze abspielt, hat dennoch mittlerweile weltweit für Entsetzen gesorgt. Die Afrikanische Union (AU), deren Vorsitzender Senegals Präsident Macky Sall ist, verurteilte die Situation scharf: Alle Menschen, gleich welcher Nationalität, hätten das gleiche Recht, in einem Konflikt eine Staatsgrenze zu überqueren, mahnte er.
Der Resolution der UN-Vollversammlung zur Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine stimmten jedoch nur 28 der 54 afrikanischen Staaten zu. 16, darunter Senegal, enthielten sich – ein Land stimmte dagegen: Eritrea. Auf Twitter wird nun über die panafrikanische Solidarität gespottet.
Am Flughafen von Ghanas Hauptstadt Accra sind am Dienstag die ersten evakuierten Ghanaer*innen angekommen. In Nigeria wurde am Donnerstag das erste Evakuierungsflugzeug erwartet. Die zuständigen Botschaften in Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei hatten in den vergangenen Tagen gut 2.000 Menschen registriert, um sie zurück nach Nigeria zu bringen, heißt es aus dem Außenministerium. Es wird geschätzt, dass an ukrainischen Universitäten rund 16.000 Afrikaner*innen eingeschrieben sind.
Ein erster Flug soll mittlerweile Rumäniens Hauptstadt Bukarest verlassen haben, wo die nigerianische Botschaft 940 Landsleute registriert hat. Nicht an Bord ist Medizinstudent Pascal Patrick, über dessen Fluchtgeschichte die taz berichtet hatte. „Bis zum Abflug wurden wir in einem Hotel untergebracht und sind mit Essen versorgt worden“, sagt er am Donnerstagmorgen in einem Whatsapp-Gespräch. „Doch ich möchte nicht zurück, weshalb ich jetzt auf mich allein gestellt bin.“ Im Moment weiß er nicht, wo er unterkommen soll und was die nächsten Tage bringen.
Studium in Europa fortsetzen? Wer weiß, ob das möglich ist
Statt nach Nigeria zu fliegen, will Pascal Patrick sein Studium in Europa fortsetzen. Aber wo und wie? Er sucht nach Informationen, ob es möglicherweise Stipendien oder vereinfachte Aufnahmeverfahren gibt. Aber darf er überhaupt innerhalb der EU reisen? Und was passiert am Tag 91? Nur 90 Tage dürfen alle Ukraine-Flüchtlinge ohne Visum bleiben.
Auch Somto Orah in Warschau schließt eine Rückkehr nach Nigeria aus. „Ein Hochschulabschluss ist meine einzige Chance.“ Sein Hotelzimmer zahlt er im Moment selbst und bekommt Geld von Freunden. Er würde eigentlich gerne wieder in Kiew studieren. „Das war gut dort. Fast alle meine Freunde sind in die Ukraine gegangen.“ Ein wichtiger Grund, neben der Ratenzahlung der niedrigeren Studiengebühren, sei auch das Visum für die Ukraine gewesen. „Wir Nigerianer bekommen das viel leichter als für andere Länder.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern