piwik no script img

Schwarz-Rot in BerlinMiefig und provinziell

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Kai Wegner wird Berlin nicht zerstören. Die Stadtpolitik kreist vor allem um sich selbst, unfähig zur Selbstkritik.

Zeigt Chuzpe: Franziska Giffey, hier mit SPD-Co-Chef Raed Saleh Anfang März Foto: Jörg Carstensen / dpa

E s zählt zu den Eigentümlichkeiten der parlamentarischen Demokratie, dass Verlierer von Wahlen in aller Regel nicht einsehen wollen, dass ihre Niederlage möglicherweise damit zusammenhängen könnte, wie sie zuvor regiert haben. Dieses Schauspiel wird in diesen Tagen in Berlin wieder einmal geboten. Weder Grüne noch Linkspartei, aber auch die SPD wollen erkennen, dass sie etwas falsch gemacht haben könnten. Allenfalls zu wenig Zeit habe man gehabt, um all die schönen Ideen auch umzusetzen, und im Übrigen ist der schmutzige Wahlkampf des Gegners schuld an der eigenen Misere.

Nun ist es allerdings so, dass die Erfolge von sechs Jahren rot-grün-roter Politik in Berlin überschaubar sind. In Kürze: Mietendeckel – juristisch gescheitert. Wohnungsbau – unter den Versprechungen. Wahlorganisation – desaströs. Verkehr – ein paar Kilometer Radwege. Schule – marode wie eh und je. Öffentlicher Nahverkehr – überlastet. Termine für Personalausweis/ Reisepass/ Kfz-Zulassung/ Heirat (Nichtzutreffendes bitte streichen): zuverlässig ausgebucht. Einzig bei der Integration geflüchteter Ukrainer hat Rot-Grün-Rot gezeigt, wie man gute Politik macht.

Dennoch zeigen sich Grüne wie Linkspartei empört darüber, dass sie nicht weiter regieren dürfen, ja dass die SPD die Seiten gewechselt hat und unter die Fittiche der CDU schlüpft. Dabei zeigt Franziska Giffey Chuzpe: Sie verzichtet auf das Amt der Regierenden, regiert aber dennoch weiter. Sie wird sich ausgerechnet haben, dass der erneute Versuch einer vermeintlich linken Koalition die SPD bei der nächsten Wahl noch näher an die Fünf-Prozent-Hürde bringt. So etwas nennt man Parteipolitik mit Weitsicht.

Ein Regierungswechsel ist in einer Demokratie ein völlig normaler Vorgang. Kai Wegner wird als Regierungschef die Stadt nicht versenken. Er wird Berlin aber auch nicht neu erfinden, geschweige denn gerechter, ökologischer oder sozialer machen. Ganz einfach, weil Berliner Stadtpolitik eine miefige, provinzielle Angelegenheit bleibt, die vor allem um sich selbst kreist, unfähig zur Innovation wie zur Selbstkritik. Wer glaubt, dass man demnächst einen Termin im Bürgeramt bekommt – viel Glück!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Bewundernswert sind die phantasievollen Verweise der SPD auf den angeblichen Whlerwillen. Ernsthaft müssen demokrtische Alternativen zu Wahlen gefordert werden: Abgeordnete werden aus den Wahlberechtigten ausgelost!

  • Mal abwarten:



    Wird der Volksentscheid am 26.3. erfolgreich, wird Wegner zum Regierenden Bürgermeister für eine klimaneutrale Stadt.

    Dann wird es nichts mit der Stillstandspolitik.



    Wahrscheinlich unwillig, wird man den Senat möglicherweise mit Klagen zum Klimaschutz zwingen.

    Möglich wäre auch, dass die Koalitionsverabredung an diesem Punkt auf den letzten Metern scheitert.

  • Komme gerade zurück aus Valencia. Wie diese Stadt sich rasant entwickelt hat und aus dem Tourismus so viel Geld schöpft. Alles pieksauber. STändig ist die Stadtreinigung unterwegs. Keine Kippe, keine Hundekacke, die länger als eine STunde liegt. Ist es sauber, verhalten sich auch die Menschen vorsichtiger und bringen alles zum nächsten Papierkorb, in Valencia wird der ständig geleert! Ich habe keinen einzigen Kaugummiflecken gesehen, es ist teuer, erwischt zu werden! Und: Ordnungsamt hat genug Mitarbeiter, die aufpassen. Es gibt breite Radwege mit eigener Ampelschaltung, Fussgänger haben Flaniermeilen, Autos müssen sich klein machen und deshalb ist es eine lebenswerte STadt geworden, Parks, Plätze, Brunnen wo früher nur Parkplatz war, ein verdreckter obendrein. Die Bahnhöfe, die Metro, Tram, Busse, pieksauber. Bitte, Berliner Senat, Bezirksregierungen, bitte, alle mal hinfahren, gucken, lernen, zurück kommen, sich schämen für Dreck und Disfunktion, für miefige Architektur am BER, wo Valencia strahlt mit Calatrava und Leute an zieht. Berlin zieht nur Provinzler an, die mit der Bierflasche in der Hand herum laufen und denken, das ist cool. Das ist kein Wirtschaftsfaktor, der Geld bringt, aber auch die Bürger in Valencia profitieren von ihrer schöneren und saubereren STadt. Hinfahren, lernen, zurück kommen, umsetzen.

  • Die Erklärung einer linken SPD'lerin heute im Bericht aus Berlin, ARD, war armselig.



    Vorwurf der "linken" SPD-Frau an die Grünen in Berlin: Klientelpolitik!

    Leider gab es im Bericht aus Berlin keine Nachfrage, wo in einer gemeinsamen Koalition der SPD mit der CDU innovative, linke und nachhaltige Politik herkommen soll.

    Das bedeutet nicht nur miefige und provinzielle SPD-CDU-Politik ohne Innovation, sondern (hoffentlich!!!) auch einen weiteren Absturz der SPD bei der nächsten Berliner Wahl.

    Da SPD-Wähler nicht blöde sind, werden sie vielleicht auch Faeser bei der Wahl in Hessen eine Lektion erteilen, damit Faeser erkennt, was es heißt, ohne jegliche Gegenwehr linke und nachhaltige Politik auf dem opportunistischen Berliner Altar zu opfern.



    Dass Kevin Kühnert das Verhalten der linken Berliner Parteigenossen ebenfalls unwidersprochen hinnimmt, zeigt, dass der linke intellektuelle Star der SPD langsam aber sicher verglüht.

  • Diese Stadt ist aber auch gestraft. Erst der arme Sexy-Dauerbrenner und nun diese kostüm-rote Macht- und postenversessene Unschuld vom Lande mit ihrem Gatten aus der Halbwelt. Das ist das allerletzte was diese Stadt gebrauchen kann. Stillstand und eine Groko. Ich kann nicht mehr, ich will hier weg...

    • @duschkabine:

      Komplett mein aktuelles Lebensgefühl! Ich wache morgens auf und mir fällt ein: Ach, Kai und Franzi, das neue Dreamteam - mir kommt´s dann immer vor, der Alptraum ist doch noch am Laufen... ist aber kein Traum!!

  • Wenn das hippe und fortschrittlich nur leere Versprechungen macht (als Beispiel "wir haben Platz" - aber keine Wohnungen, keine Sozialarbeiter, keine ausreichend Zahl an Leuten, die Anträge zu bearbeiten), dann wählen die Leute eben irgendwann das weniger hippe, das aber dafür eigentlich immer ganz gut funktioniert hat.

  • Der wievielte Artikel in der Taz zur Wahl in Berlin ? Es ist vorbei mit RRG. Warten wir es ab in wieweit es sich was zum Guten wendet. Zum verbessern gibt es genug.

  • Ein deprimierender Kommentar. Es steht darin nicht weniger, als dass in Berlin eine ideologisch motivierte Sachpolitik ohnehin nie funktioniert und von daher egal ist, ob Sozialdemokraten menschen- oder finanzwirtschaftsnah regieren wollen. Zudem steht darin, dass Demokratie ohnehin überbewertet wird. Berlin ist aufgrund seiner Miefigkeit sowieso verloren. Menschen mit politischen Visionen haben in Berlin quasi nicht alle Tassen im Schrank. Letztlich ist es egal, wer den Kram verwaltet, solange sich die Verwalter einigermaßen verstehen.

    Wenn die leitenden Redakteure eine derartige Grundhaltung zur Politik an den Tag legen, braucht man sich über die Ablehnung in viel zu großen Teilen der Bevölkerung nicht zu wundern. Da zeigt also ein politisch verantwortlicher Mensch Chupze, indem er auf etwas verzichtet, nachdem die Menschen ihm endgültig das Vertrauen entzogen haben. Und es wird ein von Logik strotzendes Selbstverständnis dafür aufgebracht, dass Parteipolitik mit vermeintlicher Weitsicht über Gesellschaftspolitik steht. Das ist also das Politikverständnis 2023.

    Mal ganz davon abgesehen, dass eine Juniorpartnerschaft der SPD unter der Union insbesondere die SPD verzwergt und nicht etwa rettet. Das sollte ein Historiker mit Blick auf die bundesdeutsche Politik der 16 Merkeljahre verstanden haben. Profiteure werden in diesem Fall die Grünen sein. Oder eine komplett, also auch ideologisch neu aufgestellte Berliner SPD unter Kühnert – was vermutlich der parteipolitische Plan hinter dieser ganzen Nummer sein dürfte. Sicher sollte sein: Giffey hat fertig. Noch einmal Senatorin vielleicht - und tschüss. Ein weiterer Mensch in der Endlosschlange postengeiler Politiker ohne Eigenschaften, der nicht vermisst werden wird, wenn er endlich weg ist.

  • Das mag gehässig sein: aber die trutschige Frisur in Kombi mit Pieps-Stimme plus gefakter Doktorin wird bei mir leicht in einer Schublade 'altbacken, musste nicht ernstnehmen' landen.

    • @Anidni :

      genau das ist mir auch aufgefallen. die spd hat das ihr entsprechende personal: gefühlt +im herzen bürgerlich.



      wieso die nicht mit der cdu sich vereinigen - weiß jemand, was sie hindert???

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Anidni :

      „Wegen einer aufgetretenen Dysphonie (Stimmstörung durch Kehlkopfmuskelschwäche) rieten Ärzte ihr dringend davon ab, Lehrerin zu werden,…“ de.wikipedia.org/w...Beruf_und_Privates



      (Dass die Mediziner:innen was zur Frisur gesagt haben, ist unwahrscheinlich)

    • @Anidni :

      Inhaltlich leider wieder ein politisches Drama, das wohl nur eine gelebt bessere Politik heilen kann. Wie das mit der CDU gelingen soll ist mir schleierhaft.

  • Liebe SPD Berlin - Das ist alles nur noch peinlich, zum fremdschämen!!!



    Warum nur!!!!????



    Mit CDU koalieren - ohne Zwang?



    Ich verstehe nix mehr.

    • @Nilsson Samuelsson:

      muß man/frau nicht verstehen. es läuft drauf raus, daß es egal ist, ob cdu oder spd.



      war schon so seit 50 jahren, nur fällt das mehr leuten auf, heutzutage,

      wetten dass?????

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Nilsson Samuelsson:

      "Ich verstehe nix mehr." Franziska Giffey will wohl mit Jarasch-Grünen nicht (mehr) koalieren. Verständlich? Vermutlich kann sie mit (gegen) CDU mehr gewinnen als mit (gegen) B90/Die Grünen.

  • Da die werte Dame neuerdings lila favorisiert:



    Wie wär’s mal mit nem roten Momperschal!;)

    unterm——



    Wie schrieb Willy doch in seinen Memoiren?



    “Ich habe nicht die beste Menschenkenntnis.“



    Was Hans Mayer zu recht als typisch hanseatisches Understatement entlarvte:



    “Ich habe keine!“

  • Tut echt Not hier dieser Artikel. Dass die taz eine Regierung unter der CDU nicht abfeiert, ist ja völlig verständlich. Finden wohl die wenigsten gut. Dass man aber in den unreflektierten Kanon der bisherigen Koalitionskräfte nahezu kardinalstreu mit einstimmt und sich lieber auf Randnotizen gegen Wegner konzentiert, fand ich bis hierher ehrlich gesagt wenig ruhmhaft. Vielleicht braucht RGR ja genau diesen Tritt in den Allerwertesten, weil sich beim eigenen Klientel zu viel Selbstzufiedenheit eingeschlichen hat.