Schwangerschaftsabbrüche: Ausbildung mangelhaft
Zu wenige Ärzt:innen lernen, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Eine Ausbildungsreform soll helfen, doch sie droht ins Leere zu laufen.
Wie ein Uterus soll die Papaya in dem medizinischen Workshop betrachtet werden. Zu Beginn muss die Papaya fixiert werden. Dafür greift eine filigran chirurgische Zange die Frucht in der Nähe des Stielansatzes bei der sogenannten Kelchgrube. Mit einem Kunststoffröhrchen durchsticht man sie dort und führt das Röhrchen durch das weiche Fruchtfleisch, bis es in der Mitte der Papaya auf Höhe der schleimigen, schwarzen Kerne zum Liegen kommt. Nun sollen die Kerne raus.
Dafür wird eine Handpumpe auf das Röhrchen gesetzt. Durch leichten Sog gleiten die Kerne heraus in den Auffangbehälter. Auf diese Weise wird in sogenannten Papaya-Workshops der operative Schwangerschaftsabbruch geübt.
Studentische Gruppen wie Students for Choice oder die Kritischen Mediziner*innen bieten diese Kurse an. Denn das Thema Schwangerschaftsabbruch finde zu wenig in der medizinischen Ausbildung statt. Die Lehre sei zu lückenhaft und zu theoretisch, kritisieren die Gruppen. Mit ihren Workshops wollen sie Abhilfe schaffen.
Dieser Missstand in der Ausbildung ist auch auf politischer Ebene angekommen. Wer einen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch nimmt, müsse auf ein hohes qualitatives Niveau vertrauen können, hielt bereits die Große Koalition unter Angela Merkel 2019 fest. Die aktuelle Bundesregierung plant daher eine Ausbildungsreform, sodass das Thema verpflichtend und einheitlich an allen medizinischen Universitäten gelehrt wird.
Streit um Finanzierung
Nur droht die Reform trotz der gesehenen Notwendigkeit seitens der Ampelparteien und von Fachstimmen wie dem Ärzt:innentag, der Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch und Gruppen wie Doctors for Choice wieder in der Mottenkiste zu verschwinden. Streitpunkt sei die Finanzierung, über die sich Bund und Länder uneins bleiben, sagt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage der taz. Für die ohnehin schwierige Versorgungslage erhöht das den Druck.
Seit Jahren häufen sich die Berichte über die fehlenden Ärzt:innen und Krankenhäuser, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In einigen Landstrichen fehlen Angebote gänzlich. Um das Ausmaß der Versorgungssituation nachzuvollziehen, veranlasste die Ampelregierung die großangelegte sogenannte ELSA-Studie. Sie kommt zu dem Schluss: In 85 von 400 Kreisen sind die Voraussetzungen für eine adäquate Versorgung nicht erfüllt.
Die Konsequenzen sind lange Wege und eine hohe psychische Belastung der ungewollt Schwangeren. Und weil der Nachwuchs fehlt, gibt es kaum Hoffnung auf Besserung. Was läuft also konkret in den Ausbildungsstätten, den medizinische Universitäten, schief?
Die taz hat alle medizinischen Universitäten angefragt, in welchem Format der Schwangerschaftsabbruch bei ihnen gelehrt wird. Dreißig von 36 Universitäten haben bis Redaktionsschluss geantwortet. Zwar wird in fast allen Universitäten das Thema grundsätzlich behandelt, aber vereinzelt nur in Kombination mit Themen wie komplizierten Schwangerschaften oder einer schweren Fehlbildung des Embryos.
Schauspielpat*innen in Heidelberg
Meistens wird das Wissen als theoretischer Frontalunterricht in einer Vorlesung vermittelt und nicht in Seminaren mit Diskussionsmöglichkeiten. Trotzdem gibt es auch positive Beispiele. So wird in Heidelberg ein Seminar mit Schauspielpatient*innen angeboten, um die Gesprächsführung zu üben, und die Universität Magdeburg etwa verweist explizit auf das freiwillige Angebot von Papaya-Workshops.
Mit der Reform der Bundesregierung soll eine einheitliche, gute medizinische Lehre möglich werden. Sie sieht vor, den sogenannten Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) verpflichtend für alle Universitäten einzuführen. Er ist eine Handreichung mit bisher unverbindlichen Vorschlägen, welche Inhalte in welchem medizinischen Fach unterrichtet werden sollen.
Für Schwangerschaftsabbrüche sollen demnach sowohl der operative als auch der medikamentöse Abbruch und die „ethischen, rechtlichen und psychischen Aspekte“ gelehrt werden. Statt großer Vorlesungen soll das Thema praktischer in Seminarform unterrichtet und ein Fokus auf die Gesprächsführung gelegt werden. Mit der Reform wären diese Lernziele nicht mehr nur freiwillig, sondern verpflichtend.
Alicia Baier unterstützt diese Ansätze. Sie ist Vorsitzende der Doctors for Choice und betont, wie wichtig eine gute Lehre im Studium ist. Untersuchungen der Gruppe hatten gezeigt, dass viele Studierende ihr Wissen zu Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb der Universität etwa aus den Medien oder dem Religionsunterricht schöpfen.
Jede achte schwangere Frau treibt ab
„Diese Lücke muss die Universität schließen“, fordert Baier. Denn „alle Ärzt*innen werden später in ihrer Laufbahn mit dem Thema in Kontakt kommen“. In Deutschland hat statistisch jede achte Frau, die jemals schwanger geworden ist, mindestens einmal im Leben einen Schwangerschaftsabbruch.
Doch der praxisnahe Lehransatz ist teuer. Veranschlagt ist für die Reform ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag. Zahlen will das bisher niemand. So wurde die Reform im Februar ins Kabinett eingebracht, flog dann aber von der Tagesordnung.
Tina Rudolph, Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für die Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung, spricht „von einem großen Patt“ zwischen Lauterbachs Gesundheitsministerium und den Gesundheitsministerien der Länder. Ein weiterer Hebel könnte aber noch darin liegen, die medizinische Weiterbildung zu verbessern. Genauer gesagt, die Ausbildung der Fachärzt:innen für Gynäkologie.
Wer es nicht übt, macht es später seltener
Alicia Baier hatte Glück. Nach ihrem Medizinstudium wollte die heutige Vorsitzende der Doctors for Choice Frauenärztin werden. Dafür begann sie ihre Weiterbildung zur Fachärztin in einem privaten Krankenhaus. Fünf Jahre dauert die Weiterbildung. Dabei lernt man im besten Fall alles, was Frauenärzt:innen wissen müssen – von der Schwangerschaft über Brustkrebs bis hin zu aufwendigen Operationen.
Auch der Schwangerschaftsabbruch sollte gelehrt werden. In Baiers Lehrkrankenhaus wurde er durchgeführt, dadurch konnte sie ihn erlernen. Selbstverständlich ist das nicht. Eine Correctiv-Recherche aus dem Jahr 2022 fand heraus, dass unter den öffentlichen Kliniken mit frauenheilkundlicher Abteilung nur 60 Prozent überhaupt Abbrüche durchführen. Viele Ärzt:innen kommen in ihrer Weiterbildung mit dem Thema also gar nicht in Kontakt. Sie müssen dann Seminare der großen Fachgesellschaften belegen oder bei niedergelassenen Ärzt:innen hospitieren, um sich auszubilden. Das hat enorme Folgen für die Versorgungsqualität.
Schwangerschaftsabbrüche werden nicht zuverlässig nach dem erforderlichen Standard durchgeführt. In den ersten zwölf Wochen sollten sie den deutschen Leitlinien nach durch Medikamente oder Absaugung erfolgen. Doch nach der ELSA-Studie haben nur 30 Prozent der Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, den medikamentösen Abbruch überhaupt gelernt.
Kritisierte Methoden
Und immer noch erfolgen knapp 10 Prozent der Abbrüche durch Ausschabung. Die Methode wird nicht mehr empfohlen, da sie Risiken wie starke Blutungen trägt. Eine Erklärung dafür, warum dennoch ausgeschabt wird, könnte sein, dass die operative Methode etwa für Fehlgeburten angewendet wird und so weitreichend von Ärzt:innen aller Krankenhäuser mit frauenheilkundlichen Abteilungen gelernt wird.
Alicia Baier wünscht sich, dass alle öffentlichen Krankenhäuser Abbrüche machen. Zumindest aber müsse es ein Rotationssystem geben, das es allen Ärzt:innen in der Weiterbildung erlaubt, Schwangerschaftsabbrüche – vom Eingriff bis über die sensible Vor- und Nachbetreuung – zu erlernen.
Die Daten des Forschungsprojekts ELSA zeigen, wer Schwangerschaftsabbrüche nicht übt, macht sie später seltener. Aber es gibt auch einen positiven Ausblick. Denn nur 6 Prozent der befragten Ärzt:innen führen keine Abbrüche durch, weil sie es grundsätzlich ablehnen. Eine Mehrheit der Ärzt:innen wäre bereit, Abbrüche durchzuführen, wenn sie von dem Krankenhaus, in dem sie arbeiten, als medizinische Leitung angeboten würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite