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Schulz' SozialdemokratenAufatmen bei der SPD

Die Partei erhofft sich vom Kanzlerkandidaten Schwung für den Wahlkampf. Über politische Vorhaben sagt Martin Schulz bislang wenig.

Erleichterung in der SPD-Fraktion, aber wieder keine sozialdemokratische Kanzlerkandidatin Foto: ap

Berlin taz | An Selbstbewusstsein mangelt es Martin Schulz jedenfalls nicht. „Die SPD will dieses Land führen“, verkündete der sozialdemokratische Hoffnungsträger am Mittwochmittag im Berliner Reichstag. „Wir wollen, in welcher Konstellation auch immer, den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland stellen.“ Kein bescheidener Anspruch für eine Partei, die derzeit in den Umfragen zwischen 20 und 22 Prozent gehandelt wird.

In der SPD sorgt die Personalie Schulz für geradezu euphorische Gefühle. Die Bundestagsfraktion begrüßte den designierten Kanzlerkandidaten am Mittwoch bei ihrer Sondersitzung mit überschwänglichem Jubel. „Aufbruchstimmung“ – kein Wort kam den Abgeordneten häufiger über die Lippen. „Wir glauben, dass wir jetzt mit Martin Schulz etwas bewegen können“, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann.

Am Tag nach dem überraschenden Verzicht Sigmar Gabriels auf Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz sprach die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig von einem Befreiungsschlag: „Wir waren einfach ziemlich festgefahren.“ Schulz könne „die Herzen der Menschen erreichen“, schwärmte sie.

„Der große Vorteil ist: Nicht jeder in der Partei hätte Sigmar Gabriel unterstützt, aber ich kenne keinen, der nicht Martin Schulz unterstützt“, sagte Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, der taz.

Die Parteilinke und Juso-Chefin Johanna Uekermann nannte es „die absolut richtige Entscheidung, die der Partei viel Motivation gibt“. Schulz sei „der richtige Kandidat zum jetzigen Zeitpunkt“. Die Jusos hätten ihn bereits eingeladen und würden sich nun darauf konzentrieren, dass „die richtigen Themen“ Einzug ins Wahlprogramm finden würden.

SPD als Bollwerk der Demokratie

Doch was will der angehende Kanzlerkandidat Schulz – außer Kanzler werden? Sowohl nach der Präsidiumssitzung am Dienstag als auch nach seinem Auftritt vor der Fraktion am Mittwoch blieben seine Aussagen dazu weitgehend vage: „Wir wollen, dass die hart arbeitenden Menschen in diesem Land, die sich an die Regeln halten, sicher und gut leben können.“ Wer wollte das nicht? „Wir wollen, dass es gerecht und fair zugeht.“ Auch das hat bisher noch jeder Spitzengenosse behauptet, selbst Gerhard Schröder, der „Genosse der Bosse“.

Wir wollen, dass die hart arbeitenden Menschen in diesem Land, die sich an die Regeln halten, sicher und gut leben können.

Martin Schulz

Was folgt daraus für die praktische Politik? Für den Tag seiner offiziellen Nominierung durch den Parteivorstand am Sonntag hat Schulz eine programmatische Rede angekündigt. Vielleicht lichten sich dann die Schleier.

Auf eine Koalitionsaussage dürfte er sich dann aber kaum festlegen. Offenkundig will Schulz keinen rot-rot-grünen Lagerwahlkampf führen, sondern sich alle Optionen offenlassen.

Klare Ansagen machte er allerdings bereits in zwei Punkten, die ihm eindeutig am Herzen liegen. Mit ihm werde es weder ein „Bashing gegen Europa“ noch eine „Hatz gegen Minderheiten“ geben. „Die Fliehkräfte der Demokratie setzen die Kräfte der Demokratiefeinde frei“, warnte Schulz vor dem erstarkenden Rechtspopulismus. Demgegenüber sei die SPD „das Bollwerk der Demokratie“.

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15 Kommentare

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  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Schulz, ein Befürworter von TTIP, CETA und der Agenda 2010. Toll SPD! Die Wahlen hat die SPD so bereits erneut vermurkst.

    • @2097 (Profil gelöscht):

      An TTIP, CETA und der Agenda 2010 wird die SPD auch weiterhin festhalten, ansonsten könnte ja noch der Bürger auf die Idee kommen, die SPD wieder einmal zu wählen. Da sich die SPD aber mit dem Steigbügelhalterposten für Frau Merkel begnügt, wird soziale Gerechtigkeit ohnehin nicht mehr auf der Fahne der SPD stehen. Dass die SPD nichts mehr mit ihrem eigentlichen Markennamen zu tun hat, sondern nur noch die Interessen der Reichen vertritt, das haben langsam auch die Dümmsten in diesem Land kapiert.

      • @Ricky-13:

        Wichtig ist, dass so viele Parteien wie möglich auch äußern, dass deutliche soziale Verbesserungen in einem immer werdenden Deutschland möglich und auch wünschenswert wären.

         

        Damit würde die SPD auch der AfD Stimmen wieder wegnahmen, die ihre Wähler glauben macht, wegen der FLüchtlinge könne da nichts mehr gezahlt werden. Als wäre das Vermögen in Deutschland nicht durchgehend auch während der Ankunft von Flüchtlingen jedes Jahr um satte 5 % reicher geworden.

         

        Ich hoffe, die SPD ergreift die Chance für mehr soziale Politik und gegen die AfD. Wenn nicht, wird der Kandidat Schulz im Weahlkampf enorm absacken.

  • Schulz kann die SPD auch nicht in zehn oder sonst wie vielen Monaten 'retten', dazu hat die Partei zu sehr unter Schröder eine Neuausrichtung Agenda 2010 erfahren. Deswegen halte ich von Schulz einiges, aber seine Wirkung wird beschränkt bleiben. Damit die SPD sich ändert, müsste Schulz die SPD fünf oder sechs Jahre neuausrichten und dies immer stringent, nachvollziehbar, ohne jeden Zweifel. Tatsächlich ist die SPD heute ganz anders als vor 20 Jahren: Sie lässt heute in den Städten und Kommunen privaten Investoren Vortritt, hat den Arbeitsmarkt liberalisiert und ein rigides, unterdrückerisches Sozialhilfesystem eingeführt, was auf Arbeitslose und schwache Menschen ohne Puffer angewendet wird. Dazu kommt noch die blinde Regierungsfähigkeit: Die regiert mit, egal was sie zuvor im Wahlkampf ankündigte oder versprach. Diese 'Treuelosigkeit' ist aus der Sicht einer Demokratie tödlich. Dass es eine AfD gibt und soviel Frust: Die SPD stellt ihn stetig her. Wie soll ein einziger Mensch so eine Partei aus dieser gefährlichen Beliebigkeit und Nähe zum Establishment wieder wählbar machen. Und selbst wenn er es schaffen würde, mit wem soll er ein progressives Regierungsprogramm überhaupt umsetzen? Bzw. mit wem ginge es?

  • Und wieder hat die SPD es geschafft einen Partei-Rechten aufzustellen...

    Hoffentlich wird die SPD dafür 3. stäkste Kraft...

    Nach mindestens 20 Jahren Verrat wählt das alte SPD Klientel eben AfD und das werden wahrscheinlich zwischen 15 und 20% tun.

    Die Bindung der alten SPD Klientel an die Linke ist bedauerlicherweise gescheitert, Bild und Anti-Ds sei dank

  • Diese Hoffnungen werden bestimmt bald von der Realität erdrängt.

     

    Auch mit Schulz ist zu erwarten, dass man die 20% unterschreitet.

  • 3G
    36119 (Profil gelöscht)

    Die Politiker hierzulande namentlich bei der SPD haben immer noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Die Bürger haben Angst vor der Globalisierung, sie sind skeptisch, sie bezweifeln, dass die EU ihre Probleme lösen kann. Indes einen Martin Schulz, der nicht viel vom Narionalstaat hält und alles Wichtige woanders regeln und bestimmen möchte, ins Rennen zu schicken, ist schon bizarr. Eigentlich bräuchte die SPD einen Anführer wie Lafontaine oder meinetwegen wie Schröder, dem man zumindest eine gewisse emotionale Nähe zu seinem Land Deutschland ansehen und unterstellen kann.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "In der SPD sorgt die Personalie Schulz für geradezu euphorische Gefühle."

     

    Sind die alle auf Medizin-Grass? Schulz hatte doch bei allen möglichen Leuten geschleimt, weil er unbedingt in seinem geliebten Brüssel bleiben wollte. Natürlich nicht bloß als stinknormaler EU-Abgeordneter.

    Dass man politisch Leute recycelt ist nichts Neues und ich habe auch grundsätzlich nicht dagegen, aber muss man bitte so was gleich als Spitzenkandidaten servieren?

  • "Aufatmen bei der SPD"

     

    Warum? Weil ein Mann vom CDU-Flügel der Partei zum Kandidaten auserkoren wurde? Wie will ein Mann, der als treuer Vertreter der Mutti das EU Parlament angeführt hat, gegen sie antreten? Wie will er sich unterscheiden?

     

    Die SPD hätte die Möglichkeit gehabt, wieder in Richtung Sozialdemokratie zu schwenken und damit Wähler zu gewinnen. Aber so? Es wird schon schwer werden, die Wahlplakate von CDU und SPD zu unterscheiden.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Es gibt viele Gründe, ihn aufzustellen. Er kann sich als Mann des Volkes inszenieren, er strahlt in gewissem Maße natürliche Sympathie aus.

       

      Selbstverständlich kann das nur aufgehen, wenn er sich als deutliche Alternative zu Merkel positioniert und ein Programm contra Soziale Schere macht. Hier müssen klare, nach der Wahl einforderbare Aussagen getroffen werden. Sonst wird er genauso untergehen, wie Gabriel auch untergegangen wäre. Aber ich traue ihm zu, dass er sich dessen bewusst ist.

       

      Die Frage ist, wie weit ist die sonstige SPD-Fraktion bereit, wieder wirklich soziale Politik für ihre eigentliche Stammklientel zu machen. Man wird sehen.

       

      Aber gerade durch den Überraschungseffekt wurde sehr viel erreicht: Die SPD kommt mal wieder vor.

      • @Co-Bold:

        "Selbstverständlich kann das nur aufgehen, wenn er sich als deutliche Alternative zu Merkel positioniert und ein Programm contra Soziale Schere macht."

         

        Und genau dafür ist Schulz der falsche Mann. Er hat bis jetzt in Brüssel an wichtiger Stelle mitgeholfen, dass eine "große Koalition" das Gegenteil durchgesetzt hat.

         

        Statt dessen will er auf "Werte" setzen. Das will M. aber auch. Also kein Unterschied. S. ist letztlich leider nichts weiter als ein Zählkandidat.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Meine Kandidatin wäre die Generalsekretärin gewesen, die eine ordentliche Ausbildung als Juristin hat, früher Rock'n Roll tanzte und noch nicht so lange in der SPD ist.

       

      Mich tröstet, dass es nicht der Mensch aus Goslar ist. Dieser unerträgliche Narzisst.

      • @Pink:

        "...früher Rock'n Roll tanzte..."

         

        Eine wichtige Kernkompetenz für eine Kanzlerin...

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Herzlichen Dank, dass Sie dieses Tanzen aufgenommen haben ;-)

           

          Natürlich hat sie viel, viel mehr getan in der Vergangenheit.

           

          In einem der letzten Ciceros 2016 war sie hervorragend beschrieben. Nix für ungut ;-)

  • Ich fürchte, das Aufatmen könnte schon bald zu einer veritablen Schnappatmung mutieren......