Schuldenbremse für Landeshaushalt: Berlin will die Schuldenvollbremsung
Obwohl Berlin dringend Investitionen braucht, plant SPD-Finanzsenator Kollatz mehr Haushaltsdisziplin als nötig. Der Wirtschaftsweise Truger kritisiert das.
Zu diesem Zweck will die Senatsverwaltung für Finanzen die Schuldenbremse allgemein in der Landesverfassung verankern und mit einem eher strengen Gesetz den Paragraf 18 der Landeshaushaltsordnung ändern.
Ab dem 1. Januar 2020 greift die 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse (Art. 109 GG) auch auf Länderebene. Sie bedeutet die Festschreibung der schwarzen Null für alle Bundesländer – Berlin muss seinen Haushalt dann grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen.
Die grundgesetzliche Regelung gilt zwar ohnehin ab 2020 für die Bundesländer, den einzelnen Landesregierungen steht es allerdings frei, eigene landesrechtliche Umsetzungen zur genauen Auslegung der Schuldenbremse zu treffen – um im Falle von Katastrophen oder einer Rezession Ausnahmen zu definieren, die es erlauben, mehr Kredite aufzunehmen. Auch in Berlin enthält die geplante Gesetzesänderung solche Ausnahmeregelungen.
Es geht um die Extras
Viele Bundesländer haben die Schuldenbremse bereits in Landesrecht übersetzt, einige davon sehen allerdings von einer harten Schuldenbremse ab – so etwa das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg, die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, Rot-Schwarz in Niedersachsen und auch Rot-Rot-Grün in Thüringen.
Umso erstaunlicher, dass das ebenfalls rot-rot-grüne Berlin nun offenbar eine Schuldenvollbremsung hinlegen will. Dass Kollatz’ Haus für eine restriktive Schuldenbremse ist, wird deutlich, wenn man die Änderungen in der Landeshaushaltsordnung betrachtet: In Berlin soll die Schuldenbremse laut der geplanten Gesetzesänderung nämlich nicht nur für den Kernhaushalt, sondern auch für die sogenannten Extrahaushalte gelten, die dann ebenfalls nicht mehr zu größeren kreditfinanzierten Investitionen in der Lage wären.
Achim Truger
Betroffen wären von einer Schuldenbremse also nicht nur der knapp 30 Milliarden Euro umfassende Kernhaushalt des Landes Berlin, sondern laut statistischem Bundesamt auch über 80 landeseigene Unternehmen. Darunter sind unter anderem öffentliche Hochschulen und Unis, Berlin Energie, Bäderbetriebe, Grün Berlin und die Berliner Immobilienmanagement GmbH – die Liste ist lang. In einem Land wie Niedersachsen, wo die Schuldenbremse nicht für Extrahaushalte gilt, hätten diese Unternehmen eine deutlich freiere Hand für Investitionen und könnten Kredite zu günstigen Konditionen aufnehmen.
Nicht betroffen sind staatliche Unternehmen wie Wohnungsbaugesellschaften, Krankenhäuser oder auch die öffentlichen Verkehrsbetriebe. Die zählen nach geltender Definition nicht zu den Extrahaushalten, weil sie überwiegend ein Angebot für den Markt machen.
Zu Details der Vorlage möchte Kollatz sich auf Nachfrage der taz nicht äußern. Sein Haus stimme die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage noch ab, bevor eine offizielle Senatsvorlage Mitte des Jahres eingebracht werden soll. Generell versuche Berlin schon jetzt Kreditaufnahmen in Extrahaushalten „möglichst weitgehend“ zu vermeiden.
Zur restriktiven Auslegung scheint Kollatz sich dennoch tendenziell zu bekennen: „Soweit ich die Lage sehe, plant der Bund in die Berichterstattung über die Länder auch zukünftig den Kernhaushalt und die kreditaufnehmenden Extrahaushalte einzubeziehen. Das entspricht nicht nur der Logik der europäischen Schuldenbremse, sondern auch der Schematik der laufenden Haushaltsüberwachung von Bund und Ländern durch den Stabilitätsrat.“ Zur Einordnung: Das Grundgesetz lässt mehr Spielräume als die EU-Richtlinien zu.
Eine deutlich andere Meinung dazu hat der kürzlich in den Rat der Wirtschaftsweisen berufene Achim Truger, Professor für Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Nach seiner Meinung zur Berliner Version der Schuldenbremse gefragt, fand er deutliche Worte: „Die Umsetzung erscheint mir sehr restriktiv.“ Wenn man die Extrahaushalte einbeziehe, könnten öffentliche Landesunternehmen wie Bäderbetriebe keine Kredite aufnehmen. „Damit verbaut man sich als Land eine wichtige Investitionsmöglichkeit“, so Truger, „nicht umsonst steht in den meisten wirtschaftlichen Lehrbüchern, dass öffentliche Investitionen über Kredite finanziert werden sollen.“
Im Falle eines Konjunktureinbruchs drohe, dass Investitionsprojekte als erstes zusammengestrichen würden – so seien auch im südlichen Europa die Investitionen in der Krise extrem gekürzt worden, so Truger. Öffentliche Investitionen seien Wachstumstreiber – es sei nicht klug, diese zu kürzen. „Dann wird erstens die Infrastruktur schlechter und man dämpft zweitens empfindlich das Wachstum.“
Darüber hinaus befürchtet er, „dass bestehende oder geplante dringend notwendige, größtenteils kreditfinanzierte Lösungen für öffentliche Investitionen in Höhe von 6 Milliarden Euro, zum Beispiel für die BVG-Fahrzeugbeschaffung und S-Bahn-Beschaffung, als nicht zulässig klassifiziert werden könnten.“ Dieses Risiko bestehe, wenn man sich an den europäischen Vorgaben orientiere und diese verschärft würden – das Statistische Amt der Europäischen Union sei in Vergangenheit immer strenger geworden.
Logik der Bremse
Truger ist grundsätzlich gegen die Logik der Schuldenbremse und der Meinung, dass öffentliche Investitionen ausgenommen werden sollten. Mit den Extrahaushalten sei dies über günstige Kredite noch möglich – nicht jedoch, wenn diese bei der Schuldenbremse einbezogen würden. „Das ist ein unkontrollierbares Risiko, weil man sich gewissermaßen der europäischen Statistikbehörde ausliefert“, so Truger.
Auch innerhalb der Koalition ist mit Kollatz’ Vorstoß Streit vorprogrammiert. Steffen Zillich, haushaltspolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus sagte: „Wir sind dafür, die Berliner Investitionsfähigkeit möglichst wenig einzuschränken und dagegen, dass die Extrahaushalte miteinbezogen werden.“ In den kursierenden Entwurf seien viele Punkte, die man nicht mittragen werde, so Zillich. Eine Antwort der Grünen blieb aus.
Zuspruch bekam Kollatz hingegen aus der Opposition. Sibylle Meister, FDP-Sprecherin für Haushaltspolitik, will die Schuldenbremse ebenfalls möglichst weit fassen. Sie sagte: „Alle Extrahaushalte sollten unbedingt miteinbezogen werden, damit Schattenhaushalte vermieden werden könnten.“
Christian Goiny von der CDU-Fraktion ist wiederum dagegen, Extrahaushalte einzubeziehen, weil er das Entstehen von Schattenhaushalten befürchtet, wenn der Senat größere Aufgaben auslagere – wie zuletzt bei der Schulbau-Offensive des Landes Berlin.
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