piwik no script img

Schulbesetzung in GöttingenWie man Radikalisierung einübt

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

In Göttingen besetzten Kli­mak­ti­vis­t*in­nen eine leere Schule. Dem Rektor fiel nichts besseres ein, als die Polizei zu rufen.

Nicht alleine: Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen der Gruppe „End Fossil: Occupy“ besetzen die Leipziger Uni Foto: Benedict Bartsch/dpa

M an fragt sich ja schon, was den wohl geritten hat. Die schlichte Nachricht ist die: Am Montag besetzten junge Kli­mak­ti­vis­t*in­nen eine leere Schule in Göttingen. Leer, weil der Unterricht aufgrund der flächendeckenden Blitzeiswarnungen ausgesetzt wurde. Der Schulleiter war trotzdem an Bord. Und rief erst die Polizei und dann die Schuldezernentin an.

Geht es noch armseliger? Landauf, landab, nein, eigentlich weltweit kommt es zurzeit zur Besetzung von Schulen und Hörsälen. Auch in Göttingen, schon im November. Die meisten verlaufen friedlich. Die Ak­ti­vis­t*in­nen nehmen ein oder zwei Räume in Beschlag, organisieren Zusammenkünfte, Seminare, Vorträge, machen ihre Standpunkte klar.

Einige sind – so hört man – sogar ausnehmend gut organisiert. Es gibt An­sprech­part­ne­r*in­nen für besorgte Eltern, Un­ter­stüt­ze­r*in­nen von außen, die kochen und Essen liefern, Reflexions- und Diskussionsrunden, in denen gemeinsame Beschlüsse gefasst und Konflikte beigelegt werden.

Wünscht man sich nicht eigentlich genau das? Engagement, Leidenschaft, demokratische Diskussionskultur, selbstständiges Handeln? Zumal ja niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit ihres Anliegens leugnen kann? Was also bewegte den Schulleiter des Felix-Klein-Gymnasiums in Göttingen?

Sicherung durchgebrannt?

Was glaubte er in diesem Moment mit polizeilicher Hilfe verteidigen zu müssen? Den nicht stattfindenden Schulbetrieb? Eine anstehende Weihnachtsfeier? Die Unversehrtheit des Aula-Fußbodens? Sind ihm – angesichts von Pandemierückständen, Krankheitsausfällen und noch x anstehenden Klausuren – einfach die Sicherungen durchgebrannt? Ist er einem archaischen Instinkt der Revierverteidigung erlegen? Man hätte ihn das gern gefragt, aber natürlich geht er nicht ans Telefon und beantwortet gerade auch keine E-Mails.

Er war wohl – das kann man dem Göttinger Tageblatt entnehmen – sauer, weil „seine“ Schule schon ein paar Tage zuvor mit Graffiti beschmiert worden war. Außerdem glaubte er unter den Ak­ti­vis­t*in­nen zu viele Schulfremde erblickt zu haben.

Und den Hausmeister haben sie auch ausgetrickst! Nun ja. Ob bewusst oder unbewusst, er hat jedenfalls ein Beispiel dafür geliefert, wie man es lieber nicht macht. Schuldezernentin und Polizei gingen dann ins Gespräch mit den Be­set­ze­r*in­nen und sahen von einer gewaltsamen Räumung erst einmal ab.

Die – die Älteren unter uns erinnern sich – ist übrigens das sicherste Mittel, eine rasche und umfassende Radikalisierung zu produzieren. Aber vielleicht ist das ja auch die Absicht – genauso wie bei dem Gefasel von der Klima-RAF. Wer immer nur über die Aktionsformen debattiert, spart sich ja bequemerweise auch die Auseinandersetzung mit den politischen Inhalten.

Aber schön, dass wir zumindest eine Frage endgültig geklärt haben: Nein, die freitäglichen Schulstreiks waren keine blöde Ausrede, um die Schule zu schwänzen. Diese Kids gehen da sogar bei Blitzeis hin, wenn es Not tut – und bleiben über Nacht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Ich kann das Verhalten des Schulleiters verstehen, selbst wenn er die Ziele der Aktivisten persönlich teilt.

    Als Schulleiter ist er verantwortlich für seine Schule und konnte zunächst nicht absehen, was evtl. noch passieren würde. Wenn er nicht die Polizei und seine übergeordnete Behörde gerufen hätte, hätte man ihn persönlich für alle Folgen haftbar gemacht, z.B. wenn es im Rahmen der Aktion einen Unfall gegeben hätte und die Versicherung dann nicht zahlen will. Da reicht es schon, wenn jemand stolpert und sich dabei blöd verletzt. Immerhin hat die Polizei dann vernünftig reagiert.

    Interessant ist nun, ob es für den Schulleiter damit erledigt ist, oder ob er es zum Anlass nimmt, einen demokratischen (Bildungs-)Prozess zu starten und entsprechende Veranstaltungen zu organisieren.

  • Die Autorin hat nicht beachtet, welch schlechten Ruf Klimaaktivismus in manchen Bevölkerungskreisen dank LG mittlerweile erhalten hat.

    Natürlich ruft da ein Schulleiter erstmal die Polizei.

  • Wäre es nicht fruchtbarer den Mann einfach Mal nach seinen Beweggründen zu fragen? Statt so merkwürdig nebelhaft-mutmaßendes stochern? Wäre doch auch Mal spannende journalistische Arbeit, könnte ich mir denken.

  • Es klingt schon ziemlich naiv, was die Autorin vorschlägt: einen Rechtsbruch als demokratische Diskussionskultur und selbständiges Handeln zu beschönigen. Das Rufen des Schulleiters nach der Polizei war das richtige Verhalten.

    • @Black & White:

      War dieser Rechtsbruch denn nicht selbstständig organisiert und auf das Ziel von Diskussion und Handlung angelegt? Naiv scheint mir daran allenfalls der unerschütterliche Glaube der jungen Generation daran, dass ein konstruktiver Dialog mit der älteren doch irgendwie noch gelingen könnte, statt sich allmählich mal dazu gezwungen zu sehen andere Saiten aufzuziehen.

      • @Ingo Bernable:

        Sie scheinen zu glauben, daß es um eine gleichberechtigte Diskussion und die gemeinsame Erarbeitung von nötigen Maßnahmen geht ? Nein, es geht um die einseitige Durchsetzung von eigenen Vorstellungen unter der angeblichen Agenda eines demokratischen Diskurses.